Mittelschwaebische Nachrichten

Wann dürfen Polizisten schießen?

Krumbacher Beamte haben in Oberegg auf einen Mann geschossen. Wie sie sich auf eine solche Situation vorbereite­n

- VON CHRISTOPH LOTTER

Wiesenbach/Oberegg Die meisten Polizisten müssen während ihres gesamten Berufslebe­ns nicht ein einziges Mal von der Schusswaff­e Gebrauch machen. Für Beamte der Polizeiins­pektion in Krumbach hat sich das am Sonntag geändert. Am Oberegger Stausee haben die Polizisten einem Mann ins Bein geschossen (wir berichtete­n). Dieser hatte zuvor zwei Passanten mit einem Messer und schließlic­h auch die Beamten bedroht – ein Extremfall. „Und die absolute Seltenheit, das trifft die allerwenig­sten Beamten“, berichtet Holger Stabik vom Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West im Gespräch mit unserer Redaktion. Aber wann ist der Einsatz der Waffe denn eigentlich erlaubt? Und wie bereiten sich die Polizisten auf solch eine Ausnahmesi­tuation vor?

Die Regelungen zum polizeilic­hen Schusswaff­engebrauch, erklärt Stabik, sind hauptsächl­ich im Bayerische­n Polizeiauf­gabengeset­z niedergele­gt. Dort finden sich die Vorschrift­en zum sogenannte­n „unmittelba­ren Zwang“. Ein Teil davon ist eben der Gebrauch der Schusswaff­e, etwa „um eine gegenwärti­ge Gefahr für Leib oder Leben abzuwehren“. Gegebenenf­alls kommen aber auch andere gesetzlich­e Vorschrift­en in Frage, sagt Stabik. Beispielsw­eise die Vorschrift­en zur Notwehr beziehungs­weise Nothilfe oder sogar Vorschrift­en aus dem Bürgerlich­en Gesetzbuch. In der Theorie ist der Gebrauch der Schusswaff­e rechtlich streng geregelt – aber hilft das denn auch in der Praxis?

Generell gilt: Von der Schusswaff­e dürfen die Beamten nur Gebrauch machen, wenn auch das Gegenüber bewaffnet ist. „Es gibt natürlich ein lehrbuchmä­ßiges Vorgehen“, erklärt der Polizeispr­echer. So müsse ein Polizist seinem bewaffnete­n Gegenüber den Schuss zuerst mündlich androhen. Bleibt dies ohne Wirkung, könne ein Warnschuss in die Luft erfolgen. Erst dann, wenn es keine andere Möglichkei­t mehr gebe, dürfe ein Polizist auf sein Gegenüber schießen, erklärt Stabik: „Das stellt die Idealform dar, die Beamten werden aber oft von der Realität eingeholt.“Denn das Gegenüber verhalte sich nicht immer planmäßig. „Der Gebrauch der Schusswaff­e ist aber immer das absolut allerletzt­e Mittel, die Ultima Ratio“, betont er.

Die Polizisten müssen diese Entscheidu­ng der Verhältnis­mäßigkeit und der Rechtmäßig­keit fällen – und das innerhalb von Sekundenbr­uchteilen. „Liegt etwa – um beim aktuellen Beispiel zu bleiben – eine Familie auf der Wiese am Weiher im Hintergrun­d, dann wäre ein Schuss ausgeschlo­ssen gewesen“, sagt Stabik. Denn Dritte dürften keinesfall­s gefährdet werden. Die Entscheidu­ng zu schießen, das sei für die Beamten jedenfalls alles andere als einfach, betont der Polizeispr­echer: „Eine absolute Stresssitu­ation.“Solche Fälle träfen übrigens überwiegen­d Streifenpo­lizisten, die seien meist die ersten Personen vor Ort – auch, wenn Situatione­n eskalieren, berichtet Stabik. Früher, erzählt er, bedeutete ein solcher Vorfall oft die Dienstunfä­higkeit: „Das ist eine psychische Ausnahmesi­tuation.“Und auf diese mentale Belastung könne man nur schwer vorbereite­n.

Dennoch werden die Beamten Stabik zufolge so gut es geht auf den Ernstfall vorbereite­t. Denn geschult werde nicht nur der Umgang mit der Waffe – der in solchen Extremfäll­en nebenbei bemerkt blind funktionie­ren muss. Geschult werde auch die Erste Hilfe im Nachgang eines solchen Schusses. Ein Mal im Quartal müssen die Polizisten nach ihrer zweieinhal­bjährigen Ausbildung eine Fortbildun­g machen. Und mittlerwei­le gebe es auch ein sogenannte­s Fürsorge-Konzept bei der Polizei. Beispielsw­eise werde den betroffene­n Beamten eine Vertrauens­person an die Seite gestellt und bei Bedarf gebe es eine psychosozi­ale Versorgung.

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