Mittelschwaebische Nachrichten
Glück kann auch eine neue Frisur sein
Friseure und Barbershops dürfen wieder öffnen. Im Landkreis Günzburg freuen sich die Kunden, wenn sie einen Termin ergattert haben. Und natürlich auch die Salon-Inhaber. Hätten sie ihren ersten Termin versteigert?
Landkreis Behutsam fährt Oktay Akkaya seinem Kunden Remzi Kültür mit dem Rasierer über den blonden Nacken. Im Hintergrund wuselt Mavish, die saloneigene schwarze Old English Bulldogge, herum. Das Telefon klingelt, Mitinhaberin Melissa Ünal nimmt im Hintergrund ab: der nächste Kunde, der einen Termin möchte. Zumindest am Montag wird das nichts mehr, denn der Salon ist von zehn bis 18 Uhr ausgebucht.
Seit dem 1. März ist so eine Szene im „Günzburger Barbershop“wieder möglich, denn Friseure dürfen seit diesem Datum wieder öffnen. Inhaber Oktay Akkaya ist froh, wieder arbeiten zu dürfen: „Erstens finanziell, zweitens hat man immer wieder unmoralische Angebote bekommen.“Vom doppelten Preis bis zum Vorschlag, ihn für Termine zu sich nach Hause zu fahren hätten ihm Kunden viel geboten, um illegalerweise an einen neuen Haarschnitt zu kommen. Hat er denn jetzt, seit die Salons offiziell wieder öffnen dürfen, auch einen der begehrten Termine versteigert? „Nein“, sagt der Saloninhaber und lacht. Die Vorschriften seien fast die gleichen wie vor dem Lockdown. Der Kunde trägt FFP2-Maske, der Friseur eine Einwegmaske. Nur, wenn es an den Bart geht und der Kunde deshalb die Maske auszieht, muss der Barbier auf FFP2 umsteigen. Kunde Remzi Kültür hat Oktay Akkaya vor zwei Wochen über WhatsApp angeschrieben. Darüber und telefonisch läuft die Terminvergabe. „Sehr dringend“sei der Friseurbesuch gewesen, sagt der 25-Jährige. Normalerweise sei er alle zwei Wochen beim Friseur. Nun ist es sein erster Besuch seit dem 16. Dezember, als die Friseure schließen mussten. Für ihn ein Stück Rückkehr in die Normalität: „Dadurch, dass die Friseure wieder aufhaben, hat man den normalen Tagesablauf wieder.“
Das Tagesgeschäft hat auch bei anderen Friseuren Einzug gehalten. „Natürlich ist die Freude groß, dass wir wieder öffnen können“sagt Sandra Köhle vom Friseursalon „haarscharf 46“in Edelstetten. Nach zehn Wochen Lockdown herrscht wieder Betrieb in ihrem Salon, wenn auch mit Auflagen. Andreas Pilz aus Krumbach war heute Morgen ihr erster Kunde. Und da gab es einiges zu schneiden. Um dem Stuhl verteilt liegen am Boden büschelweise Haare. „Es waren schon Existenzängste“, sagt die Friseurmeisterin. Ihre Mitarbeiterinnen musste sie in Kurzarbeit schicken. Aber jetzt können sie wieder loslegen. Die Öffnungszeiten hat Sandra Köhle ausgeweitet, auch am Montag ist vorerst geöffnet. „Die nächsten Wochen ist der Terminkalender gut gefüllt, sagt sie. Gefreut hat sie sich über das Verständnis ihrer Kunden. Viele haben Gutscheine erworben und sie damit unterstützt.
Öffnet man die Tür im „Salon Lang“in Günzburg, schlägt einem eine bunte Geräuschkulisse entgegen: Der Föhn brummt, das Glätteisen zischt, das Wasser tröpfelt von den Haaren ins Waschbecken. Das Telefon klingelt, am anderen Ende der Leitung: Menschen, die ganz dringend einen Termin brauchen. Seit 15. Februar konnten die Kunden offiziell einen Termin ausmachen. „Das war echt sehr, sehr heftig“, erinnert sich Jonas Lang, angehender Friseur und Sohn des Salonbetreibers Andreas Lang. „Teilweise haben die Leute zwei Stunden lang versucht, durchzukommen. Das ging von morgens bis abends so.“Für den 1. März selber durften sich 73 Kunden über einen Termin freuen. Versteigert haben sie keinen.
Während der vergangenen Wochen floss kein Geld in die Kasse, da sei es natürlich schwierig gewesen, berichtet Jonas Lang. Die Mieten bezahlten sie von ihren Rücklagen. Aber die Lieferanten seien ihnen entgegengekommen. Während der Salon coronabedingt geschlossen war, hat das Team ihn in der Tiefe gereinigt. Die Wände sind frisch in dunkelgrau gestrichen, die Produkte wieder aufgefüllt und die Deko ist den Frühling angepasst. Blaue Schilder erinnern an den Mindestabstand und die Maske. An der Decke hängen Rohre der Lüftung, die Inhaber Andreas Lang einbauen ließ. In einer Nische im hinteren Teil des Salons föhnt Claudia Lang Kreisrätin Marianne Stelzle mit einer Rundbürste die Haare. Sie hatte eigentlich für den ersten Tag des Lockdowns einen Termin, sie ließ sich gleich weitermelden. Den Friseur mit einem Psychologen gleichsetzen würde sie zwar nicht. „Aber es tut der Seele gut.“
Einfach für ein paar Stunden ausspannen: Das „Verwöhnprogramm“mit Farbe, Schnitt und Pflege hat sich Kundin Rosemarie Renner im Günzburger Salon InStyle von Michaela Widmann gegönnt. „Ich fühle mich einfach wohl und sicher und gut aufgehoben“, sagt sie. Seit ihrem letzten Friseurtermin am 16. Dezember habe sie sich selbst vor den Spiegel gestellt und die Haare geschnitten. „Es blieb mir ja nichts anderes übrig. Aber ich war natürlich nicht zufrieden.“Ihre Friseurin Teresa Lange stülpt durchsichtige Plastikhandschuhe über die Hände, nimmt mit einem Pinsel die Farbe für die Strähnchen auf und beginnt, sie am Scheitel aufzutragen. Die Stammkundin plaudert mit ihrer Friseurin. Beide sind sich einig: Es ist auch der soziale Austausch, der die Menschen zum Friseur gehen lässt – wenn man sonst gerade nicht viele Möglichkeiten dazu hat. Während des Lockdowns nutzte das Team die unfreiwillige Pause mit Online-Seminaren, sagt SalonInhaberin Michaela Widmann. Zum Beispiel zum Thema Calligraphing: Bei dieser Technik wird die Kopfhaut massiert und Oxytocin freigesetzt – das auch als Kuschelhormon bekannt ist.
Zum Friseur zu gehen ist normalerweise mehr als nur Haareschneiden. Im Salon „Kamm und Schere“in Günzburg liegen an diesem Tag aber keine Zeitschriften aus. Auch den üblichen Kaffee bekommen die Kunden wegen Corona nicht. Kundin Melanie Balkenhol sitzt vor eian nem Spiegel, um einige Haarsträhnen mit Farbe ist bereits Folie gewickelt. Ein paar Meter weiter frisiert Jusuf Solunoglu seinen Sohn Luis, an der Kasse steht seine Frau Paula. Der Vater freut sich, wieder arbeiten zu dürfen: „Wenn man es so viele Jahre gewohnt ist, zu arbeiten wie ich, hatte ich das Gefühl, ich sei ein Frührentner.“Er sei regelmäßig mit seiner Frau spazieren gegangen, weil er so viel Zeit hatte.
Seit 25 Jahren hat er seinen Salon, doch die vergangenen Wochen hätten bei ihm „Existenzängste“ausgelöst. Corona-Hilfen seien noch nicht gekommen. Kunden hätten ihn schon gefragt, ob er schwarzarbeiten würde. Was er nicht getan habe. Aber dann habe er Kunden von sich gesehen, die sich die Haare hätten machen lassen. Mit der großen Fläche kann er nun, seit der Öffnung, zwei bis drei Kunden bedienen. Andere haben nicht das Glück, so viel Platz zu haben. „Die Kunden freut’s“, sind sich Paula und Jusuf Solunoglu einig. Und die Friseure freut’s auch.