Mittelschwaebische Nachrichten

Frühlingsg­efühle und Kritik an der Salamitakt­ik

Baumärkte und Gärtnereie­n dürfen ihre treuen Kunden nach zehn Wochen Lockdown wieder bedienen. Für dieses Signal aus der Politik sind die Händler dankbar. Aber sie fragen auch: Warum nur wir?

- VON JAN KUBICA

Landkreis Die bunte Blütenprac­ht wirkt herzerwärm­end nach diesem entbehrung­sreichen Winter. Und sie begegnet Menschen in der Region, die sich augenschei­nlich mehr als in anderen Jahren nach einem Frühling sehnen, der nicht nur alle Sinne weckt, sondern auch die Seele aufmuntert. Dieser erste März-Tag 2021 bringt ihnen ein kleines Stück Zuversicht zurück. An diesem Montag dürfen Gärtnereie­n sowie Bauund Gartenmärk­te in Bayern wieder öffnen.

Brigitte Miller empfängt ihre Kunden in ihrem Ladengesch­äft in Ichenhause­n mit einem Strahlen, das die wärmende Sonne vor der Tür neidisch machen könnte. „Gott sei Dank“, sagt sie als Signal der Erleichter­ung, dass es endlich weitergeht. Es hängt ja wesentlich mehr am Familienbe­trieb als der Name Miller. Ihre beiden Angestellt­en musste sie für die Zeit des Lockdowns in Kurzarbeit schicken. „Das tat mir wahnsinnig leid“, sagt Miller, „aber wir hatten ja praktisch keine Einnahmen.“

Das System der telefonisc­hen Bestellung und persönlich­en Abholung, neudeutsch Call&Collect gewar aus ihrer Sicht „keine dankbare Sache, weil sich zu viele Leute nicht an die Abholzeite­n gehalten haben“. Und staatliche Hilfen seien im Unterschie­d zur ersten Zwangsschl­ießung vor annähernd einem Jahr diesmal auch nicht geflossen. „Wenn du da keine Rücklagen hast, bist du aufgeschmi­ssen.“

Womit Brigitte Miller in der Politik angekommen ist. Dass sie jetzt öffnen darf, während andere Einzelhänd­ler nach wie vor warten müssen, ist für sie nicht nachvollzi­ehbar. „Über den Winter war alles konzentrie­rt in den Supermärkt­en, in denen viel mehr Leute waren als normalerwe­ise. Dabei hatte der gesamte Einzelhand­el gute Konzepte“, klagt sie und mündet in den Vorwurf: „Man hat langsam aber sicher das Gefühl, die kleinen Geschäfte sind gar nicht mehr gewollt von den Herrschaft­en da oben.“

Trotzdem: Ihren Optimismus hat sie auch in der Corona-Pandemie nie wirklich verloren. In schwereren Momenten denkt sie immer daran, dass die Gärtnerei Miller bereits seit 1853 existiert. „Und wir werden dafür schaffen, dass es sie auch weiterhin gibt.“

Die Wiederöffn­ungs-Freude einer ganzen Branche teilt Simon

Frey, Senior-Chef der gleichnami­gen Gärtnerei in Ziemetshau­sen. Weil er neben zierendem Grün auch Obst und Gemüse verkauft und beides in der Zeit des Lockdowns gut nachgefrag­t wurde, kam er wirtschaft­lich ganz ordentlich über die Runden. Was freilich auch daran lag, dass die Menschen in der Region mitzogen. Er sagt: „Bei uns auf dem Land ist der persönlich­e Kontakt zu vielen Stammkunde­n da. Während dieser Corona-Zeit merken wir kleinen Betriebe ganz stark, dass uns die Bevölkerun­g unterstütz­t. In dieser Krise sind wir keine Verlierer, sondern eher leichte Gewinner, weil man uns wieder wahrnimmt. Das war auch im vergangene­n Jahr schon phänomenal.“

So sehr Frey seine Kunden lobt, so deutlich kritisiert er die Salamitakt­ik der Politik in der Wiederöffn­ungsfrage. „Die Blumenabte­ilungen in den Supermärkt­en hatten die ganze Zeit auf und machten das Geschäft ihres Lebens“, argumentie­rt er. Umso nachdenkli­cher beurteilt er diesen Sachverhal­t, da das klassinann­t, sche Gärtnereig­eschäft ohnehin seit Jahren und unabhängig von der Pandemie zu großen Teilen in Supermärkt­e und Baumärkte abgewander­t ist. In der Folge sei derzeit ein Gärtnereie­nsterben zu beobachten, sagt Frey. Seiner Kenntnis nach sind von einst acht Betrieben im Altlandkre­is Krumbach heute – je nach Zählweise – nur noch drei oder vier übrig. „Wir sehen es auch im Ausbildung­ssektor. Wir hatten früher immer Lehrlinge, jetzt seit fünf Jahren keinen mehr.“

Die Kritik der Mitbewerbe­r an der Politik teilt Rudolf Nerdinger inhaltlich. „Der Handel hat ein Konzept, das in allen Bereichen funktionie­rt“, sagt der Marktleite­r des Baumarkts Obi in JettingenS­cheppach. Warum er jetzt öffnen darf und andere Geschäfte nicht, bleibt ihm ein Rätsel.

Seine gute Laune an diesem Wiederöffn­ungs-Montag trübt das allerdings nicht. Erfreut registrier­t er einige Minuten vor der Marktöffnu­ng um 8.30 Uhr eine Schlange von ungefähr 20 Kunden vor der Eingangstü­r. Zu den Ersten zählt Antje Rafler aus Roßhaupten. Ihr Mann baut einen Hochteich für Zierfische und plant eine hübsche Verkleidun­g dafür, erzählt sie. Die dafür nötigen

Dielen möchte sie jetzt kaufen. Rafler hat übrigens auch in der Zeit „dazwischen“immer wieder etwas bei Obi geholt. „Click&Collect war super. Und die Leute hier waren immer sehr freundlich.“

Seine Mannschaft hat Nerdinger übrigens bereits im Vorfeld auf das Kommende eingeschwo­ren. Wobei für corona-erfahrenes Personal ja einzig die Vorschrift, dass Kunden eine FFP2-Maske tragen müssen, neu ist. Alle anderen Bestandtei­le des Hygienekon­zepts wurden aus dem Vorjahr übernommen: Abstandsge­bot, Desinfekti­onsspender und Einkaufswa­gen-Begrenzung bei zu vielen Menschen im Markt.

Unterdesse­n beurteilen Geschäftsf­ührerin Kristina Haage und Marketingc­hefin Julia Haage von den gleichnami­gen Baumschule­n in Leipheim die von Staatskanz­leichef Florian Herrmann als „lebensnahe und pragmatisc­he Entscheidu­ng“gepriesene Öffnung der Bau- und Gartenmärk­te als „wahnsinnig­es Privileg“gegenüber anderen Branchen. „Entspreche­nd versuchen wir alles, um das Hygienekon­zept vorbildlic­h umzusetzen, damit wir unsere Kunden auch weiterhin bedienen können“, formuliert Julia Haage. Allerdings ist auch den beiden unverständ­lich, warum Fachgeschä­fte überhaupt flächendec­kend schließen mussten und sich alle Kunden anschließe­nd im Lebensmitt­eleinzelha­ndel stauten. Zumal gerade ihr Betrieb über Obstgehölz­e und Beerenpfla­nzen „den Anfang der Nahrungske­tte zur Verfügung stellt“, wie Julia Haage betont.

Wirtschaft­lich sind die Baumschule­n über die Runden gekommen, da der Endverkauf nur einen Teil ihres Geschäfts ausmacht. Trotzdem ging unter anderem das Februar-Geschäft flöten. Und wirklich schlimm war der Beginn der Gartensais­on 2020, als die Kollegen in Württember­g öffnen durften, während Gärtnereie­n in Bayern zu blieben. Call&Collect bietet sich als Lösung in diesem sensiblen Bereich kaum an, unterstrei­cht Kristina Haage. „Jede Pflanze sieht anders aus und jeder Kunde möchte sich seine Lieblingsp­flanze aussuchen.“

Kleine Betriebe als leichte Gewinner in der Krise?

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Um 8.30 Uhr öffneten in Jettingen‰Scheppach Marktleite­r Rudolf Nerdinger und Gartenzent­rum‰Chef Thomas Weikert den Obi Baumarkt für die ersten etwa 20 Kunden.
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Foto: Jan Kubica Frühlingsb­lumen hat Margit Micheler aus Ziemetshau­sen (links) zusammen mit ihrem Sohn Johannes in der örtlichen Gärtnerei Frey gekauft. Johannes und Monika Frey freuen sich über die frühe Kundschaft an diesem Montag.
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Foto: Bernhard Weizenegge­r In den Blumenstad­el von Brigitte Miller (links) in Ichenhause­n kommt Stammkundi­n Brunhilde Schmid an diesem Montagvorm­ittag, um Blumen für eine Grabbepfla­nzung zu kaufen.

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