Mittelschwaebische Nachrichten
Mehr Fälle von häuslicher Gewalt
Das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West hat aktuelle Zahlen für das Corona-Jahr 2020. So ist die Situation in den Landkreisen Günzburg und Neu-Ulm
Landkreis Die Corona-Pandemie mag das öffentliche Leben in den vergangenen Monaten gebremst haben – für die Polizei im Bereich des Präsidiums Schwaben Süd-West gab es nicht viel weniger zu tun. Die Zahl der Straftaten ist im vergangenen Jahr nach mehreren Jahren des Rückgangs wieder leicht gestiegen. Trotzdem ziehen Polizeipräsidentin Claudia Strößner und Leitender Kriminaldirektor Michael Haber für 2020 ein positives Resümee in Bezug auf die Kriminalitätslage.
Im Jahr 2020 registrierte das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West 39.636 Straftaten mit einem leichten Anstieg von 2,2 Prozent. Mit den Vergleichszahlen des Jahres 2019 stellt dies den zweitniedrigsten Stand seit Gründung des Polizeipräsidiums 2008 dar. Bereinigt um die Taten, die nur von Nichtdeutschen begangen werden können (wie Verstöße gegen das Aufenthalts- und Asylgesetz), konnten 36.268 Delikte und somit eine Zunahme um 2,0 Prozent festgestellt werden. Die Häufigkeitszahl (HZ) – also die Zahl der bekannt gewordenen Straftaten pro 100.000 Einwohner – erhöhte sich nach dem Allzeittief im Vorjahr um 1,6 Prozent, lag aber noch deutlich unter dem Durchschnitt in Bayern. Einen Spitzenwert erreichte das Präsidium mit der Aufklärungsquote von 74 Prozent. Noch nie wurden zwischen Donau und Allgäuer Alpen mehr Straftaten aufgeklärt.
Eine deutliche Zunahme registriert die Polizei beim Thema häusliche Gewalt. Die Anzahl der angezeigten Fälle stieg in den vergangenen zehn Jahren um über 50 Prozent auf aktuell 1576 Straftaten an. Die Ursache sieht die Polizei weniger in einer Steigerung der Delikte, sondern eher darin, dass mehr Fälle angezeigt werden. Das hohe Dunkelfeld bei Beziehungstaten helle sich auf, heißt es im Sicherheitsbericht. Das Angebot der polizeilichen Beratungsstellen nutzten zehn Prozent mehr Betroffene, die anschließend Anzeige erstatteten. Die Anzahl der Vergewaltigungen stieg ebenfalls wieder an. Nach wie vor bestand bei mehr als zwei Drittel aller Fälle mit dem Täter eine Beziehung.
in Zeiten der Corona-Pandemie Gewalt zu Hause zugenommen haben dürfte, ist von der Statistik für das vergangene Jahr vermutlich noch gar nicht erfasst. „Die Auswirkungen der Lockdowns auf die tatsächliche Gewalt in Familien werden erst mit einigem Abstand erkennbar sein“, meint der Leitende Kriminaldirektor Michael Haber, „da diese Beziehungstaten häufig erst im Nachgang angezeigt werden“. Wie ernst die Polizei das Thema nimmt, zeigt eine Aktion, die Polizeipräsidentin Claudia Strößner dazu im vergangenen Jahr mit der Leitenden Oberstaatsanwältin Petra Strohbach (Kempten) und dem dem Leitenden Oberstaatsanwalt Christoph Ebert (Memmingen), unter dem Titel „Gemeinsam gegen häusliche Gewalt“gestartet hat.
Vor allem in den Landkreisen Günzburg und Neu-Ulm fanden im vergangenen Jahr immer wieder groß angelegte Durchsuchungsaktionen statt. Die Ermittler beschlagnahmten Computer und Mobiltelefone, die für die Verbreitung von Kinderpornografie genutzt wurden. Auch diese Aktionen schlagen sich in der Statistik des Polizeipräsidiums nieder: Nach einem starken
Rückgang der Fallzahlen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Jahr 2019 kam es 2020 zu einer Steigerung um 42 Prozent. Der Anstieg der registrierten Sexualdelikte um 263 Fälle könne meist auf die Zunahme von Verbreitung pornografischer Schriften, sexuellem Missbrauch und exhibitionistischen Handlungen zurückgeführt werden. „Das Tatmittel Internet nimmt in diesem Bereich deutlich zu – gleichzeitig sinkt das Alter der BeDass schuldigten“, so Leitender Kriminaldirektor Haber. Seien im Jahr 2018 noch 2,6 Prozent der Beschuldigten Minderjährige gewesen, stieg der Anteil nun auf 36 Prozent. „Der unreflektierte Umgang mit dem Handy trägt dazu bei, dass sich solche Fälle häufen.“Mit jedem sichergestellten Handy bekomme die Polizei weitere Ermittlungsansätze.
Der Lockdown hatte in einem Bereich sogar eine positive Wirkung: Bei der Einbruchskriminalität registriert das Polizeipräsidium einen Rückgang der Fallzahlen im Jahr 2020 von 2793 auf 2290 (-16,4 Prozent). Der Schaden blieb allerdings im Vergleich zum Vorjahr mit circa 3,8 Millionen Euro auf ähnlichem Niveau (-100.000 Euro). Deutlich zurückgegangen sind die Wohnungseinbrüche von 273 auf 208 Fälle. Damit gingen die Fallzahlen seit einem Höchststand im Jahr 2016 zum vierten Mal in Folge zurück, gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote im Vergleich zu 2019 um 5,7 Prozent an. Ein Hauptgrund: 2020 waren viele Menschen in der Region im Homeoffice oder in Kurzarbeit und damit vorwiegend zu Hause. Das hat potenzielle Täter abgeschreckt. Auch die pandemiebedingten Grenzkontrollen ab Mitte März dürften ein Hindernis für organisierte, reisende Tätergruppierungen dargestellt haben.
Ein Deliktsbereich, der die Polizei nach wie vor sehr beschäftigt, ist der Callcenterbetrug. Das Polizeipräsidium spricht von tausenden Anrufen, mit denen organisierte Banden von Callcentern überwiegend aus dem Ausland aus verschiedene Betrugsmaschen ausprobieren. Die Bilanz 2020 im Präsidiumsbereich: Mehr als 1700 registrierte Fälle, 47 erfolgreiche Taten und ein Beuteschaden von insgesamt 610.000 Euro. Die Fallzahlen haben im Bereich des Polizeipräsidiums im Jahr 2020 erstmals nicht mehr zugenommen, sind aber weiter hoch. Strößner: „Auch wenn die Maschen der Anrufbetrüger mittlerweile in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt sind, gelingt es den Betrügern immer wieder, durch geschickte Gesprächsführung vornehmlich ahnungslose Senioren um ihr Erspartes zu bringen.“Die häufigste Betrugsmasche ist der „falsche Polizeibeamte“. 1354 Fälle wurden 2020 angezeigt. Die Fallzahlen stiegen bei diesem Phänomen (2017: 243 Fälle) rasant an und erreichten 2019 mit 1950 Fällen ihren bisherigen Höhepunkt. Der entstandene Beuteschaden stieg 2020 auf über 400.000 Euro. In dem schadensträchtigsten Fall Anfang Mai 2020 gelang es angeblichen Fahndern aus München, einen damals 83-jährigen Mann um über 100.000 Euro zu betrügen.