Mittelschwaebische Nachrichten
Wie Illertissen zur SputnikHoffnung wurde
Der Standort für die Produktion des russischen Impfstoffs hat eine bewegte Pharmageschichte
Illertissen Seitdem bekannt ist, dass bei R-Pharm in Illertissen die Produktion eines Corona-Impfstoffes geplant ist, kursiert im Netz wieder ein legendäres Video: Es stammt von einem Spiel des Fußball-Regionalligisten FV Illertissen gegen Greuther Fürth II aus dem Jahr 2013. Ein beinahe einsamer Fan singt und trommelt auf der Tribüne: „Illertissen spielt international.“In den sozialen Netzwerken wurde daraus nun eine humorvoll gemeinte Anspielung auf die hoffnungsvollen Erwartungen an den russischen Impfstoff Sputnik V – made in Illertissen. Doch bis es soweit ist, kann es noch dauern.
Dabei hat die Herstellung von Medikamenten in der Vöhlinstadt eine lange Tradition. Seinen Ursprung
verdankt der Standort dem Fabrikant Heinrich Mack. Er produzierte bereits 1875 kosmetische Produkte an der Iller. Seine Firma begründete Illertissens Image als Bienenstadt. Ab den 1930er Jahren wurde dort das auf Bienengift basierende Rheumamittel Forapin hergestellt. Es entstand die größte Bienenfarm Europas mit rund 150 Millionen Tieren mit einstmals bis zu 1500 Mitarbeitern.
1971 kam dann Pfizer. Über vier Jahrzehnte produzierte der USPharmariese in der Stadt im südlichen Landkreis Neu-Ulm. Das Weltunternehmen sortierte allerdings sein Produktionsnetzwerk neu – und Illertissen dabei aus. Das Werk stand zum Verkauf. 2014 übernahm der russische Pharmakonzern R-Pharm und eröffnete eine deutsche Tochter. Besitzer ist der russische Milliardär Alexey Repik, der zum Besuch standesgemäß mit dem Privatjet einflog. Er will den Standort zu einer Art Brückenkopf seines Unternehmens in Westeuropa ausbauen, so die Vision.
Die Zusammenarbeit mit Pfizer ging erst noch weiter. Der US-Konzern ließ von R-Pharm Medikamente
verpacken. 2018 gab es aber einen deutlichen Auftragsrückgang. Während einst von Jobabbau die Rede war, stehen heute Neueinstellungen im Raum. Denn im September vergangenen Jahres wurde verkündet: Am Standort soll es mit der Impfstoff-Produktion wieder aufwärtsgehen. Anfangs war auch AstraZeneca im Gespräch, mittlerweile dreht sich alles nur noch um Sputnik V. 30 Millionen Euro sollen angeblich investiert werden.
Doch offenbar stockte es lange bei der Zusammenarbeit mit den Behörden. Wohl auch deshalb schaute vor drei Wochen der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) in Illertissen vorbei. Dass der Freistaat, wie jetzt bekannt wurde, quasi im Alleingang Sputnik-Dosen abgreifen möchte, soll damals aber noch nicht besprochen worden sein.
Geht es nach R-Pharm-Manager Alexander Bykow, könnte man in Illertissen im Juni oder Juli starten. Ob diese Pläne umsetzbar sind, ist fraglich. Denn aus behördlicher Sicht war an dem Vorhaben bislang fast nichts „rechtskonform“. Mittlerweile wurde zwar eine Teilgenehmigung für die Impfstoff-Produktion erteilt. Ein Brandschutzkonzept fehlt weiterhin. Auch das immissionsschutzrechtliche Verfahren, das bis zu sieben Monate dauern kann, steht noch aus. Hier befinde man sich „in den Anfängen“, so die zuständige Sachbearbeiterin am Neu-Ulmer Landratsamt, das aber zu verstehen gibt: „Wir sind ein Rechtsstaat und halten uns an die Gesetze. Aber natürlich werden alle Ärmel hochgekrempelt, um das so schnell wie möglich auf die Reihe zu bekommen.“