Mittelschwaebische Nachrichten
Die Gesprächsserie
nach verlangt denn zurzeit die Seele? Zeigt sich eine geistige Verödung?
Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen. Ich höre, dass Menschen entdecken: Ich brauche das alles gar nicht, es geht auch so. Aber, ganz ehrlich: Ich kann nicht beurteilen, ob es wirklich so ist. Ich mache mir viele Gedanken, wie systemrelevant – ein schreckliches Wort! – wir sind. Manche Seelsorger verfallen in der Pandemie in einen geistlichen Aktivismus, und es ist unfassbar, was alles erfunden und ersonnen wird! Ich selbst frage mich: Wie bleibt die Kirche am Lebendigen? Wir sind ja kein Verschönerungsverein oder was ganz Nettes, was man so dazugibt, sondern die Botschaft des Evangeliums ist es ja, den Menschen zu helfen, dass sie lebendig bleiben und sich nicht abschneiden von dem, was Menschsein ausmacht. Im Evangelium gibt es ganz viele Gegensätze: dass die leben, die eigentlich tot sind, und umgekehrt.
Ich merke, dass es den Leuten in dieser Pandemie nicht allein darum geht, gesund zu bleiben und ihr Leben einigermaßen zu managen. Unsere Kirche war in diesen Monaten immer offen, und wir haben gesehen, es sind immer Menschen gekommen. Es besteht das Bedürfnis zu beten. Wir bieten ganz viele Anregungen und Impulse, was Menschen mitnehmen können. Das wird supergut angenommen. Und beim Abhaken an der Kirchentür kommt man ganz anders ins Gespräch. Das ist das Positive. Man lernt viele Leute in einer neuen Weise kennen, wie es bisher nicht mög
Haug: Braun:
lich war. Das Bedürfnis nach Seelsorge, wie auch immer sie aussehen kann und soll, ist einfach groß.
Es geht auch um das Erheben der Seele, und wenn es nur ein kleiner Moment ist, mal in eine andere Perspektive einzutauchen. Da ist unser weiter, weißer Kirchenraum wirklich ein Schatz. Gerade wenn sonst nichts an Pastoral möglich ist. Unser Architekt sagte: Der Pfarrer predigt einmal in der Woche, aber der Kirchenraum predigt ständig. Ich hätte nicht gedacht, dass das so wahr werden würde. Der Raum ist zurzeit unser Haupt-Seelsorgeangebot. Dort können sich die Menschen einfach zurückziehen, dasitzen, den
Haug:
● Die Serie
In dieser Gesprächsreihe bringen wir Menschen zusammen, die Beruf oder Passion verbindet, die durch Corona aber getrennt sind.
● Die Gesprächspartner
– ist Pfarrer der Augsburger Moritzkirche und außerdem katholischer Stadtdekan. – ist Lehrerin für Biologie und Chemie am MariaWardGymnasium Augs burg. In der Pfarrei St. Moritz ist sie Vorsitzende des Gemeinderates.
Helmut Haug Renate Braun
Raum und seine spirituelle Botschaft aufsaugen. Jetzt, wo die Figur des Christus Salvator im Chorraum wieder sichtbar und der große Olivenbaum wieder da ist.
Könnten das Spuren sein für eine Pastoral der Zukunft in der Stadt?
Auch wenn kirchliche Strukturen am Verschwinden sind und sich manches verändern wird, glaube ich, dass diese uralten Räume für die Menschen anziehender werden. Klar wird der Massentourismus so nicht mehr bleiben, wie er war. Trotzdem werden die Menschen, wo immer sie hinfahren, nach wie vor von den Kirchen angezogen werden.
Haug:
Im Moment zeigen sich Lücken. Werden die Leute wieder zurückkommen?
Ich denke ja. Es sind vielleicht nicht dieselben Leute. Nach der Neugestaltung der Moritzkirche haben wir auch schon erlebt, dass viele Menschen wieder gekommen sind, und zum Teil waren es andere Leute. Ich merke, dass viele Leute mit uns per E-Mail Kontakt halten und sagen: Im Moment traue ich mich nicht, aber ich komme wieder.
Ich kenne einige, die sagen: Die Art und Weise, jetzt Gottesdienst zu feiern – ich kann das nicht. Für mich ist der Punkt, wie authentisch der Gottesdienst gefeiert wird. Wenn wir nicht meinen, wir müssten ein Spektakel bieten, wird dies immer die Menschen anziehen. Authentische Liturgie ist ein Zusammenspiel von vielem – der Musik, der Kunst, des liturgischen Dienstes. Wenn die Menschen spüren, das
Braun: Haug: