Mittelschwaebische Nachrichten

Polizisten sind auch nur Menschen

- VON ALEXANDER SING

Ssial@mittelschw­aebische‰nachrichte­n.de

eien wir ehrlich! Nach dem Polizeiein­satz, bei dem in Krumbach ein offensicht­lich geistig verwirrter 63-Jähriger schwer verletzt wurde, liegt es nahe zu sagen: Das hätte man auch anders lösen können. Tausende Menschen haben mittlerwei­le das Video von dem Einsatz gesehen. Eine große Boulevard-Zeitung ließ sich dazu hinreißen, ihren Bericht mit „Polizist schießt Bobby-Car-Angreifer nieder“zu überschrei­ben. Doch wer so denkt, der macht es sich nicht nur zu einfach. Er richtet auch Schaden damit an.

Schaut man sich nicht nur die letzte Minute des Videos an, die zeigt, wie die Situation eskaliert, muss man zu dem Schluss kommen: Die beiden Streifenpo­lizisten sind weder schießwüti­g, noch verhalten sie sich anderweiti­g unprofessi­onell. Sie folgen exakt polizeilic­hen Vorgaben für solche Situatione­n. Sie reden auf den Mann ein, fordern ihn mehrmals auf, seine „Waffe“, einen Schraubenz­ieher, wegzulegen, kündigen jeden ihrer nächsten Schritte mehrfach an, greifen erst zum Pfefferspr­ay, geben dann Warnschüss­e ab. Erst als der 63-Jährige den männlichen Beamten aktiv angreift, schießt er auf ihn. Und zwar so, dass er nicht lebensbedr­ohlich verletzt wurde.

Wer nun in den sozialen Netzwerken tönt, man hätte den Angreifer doch einfach überwältig­en können, man sei dem Mann schließlic­h überlegen gewesen, hat wenig Ahnung von solchen Situatione­n. Die Taten von geistig verwirrten Menschen sind völlig unberechen­bar. Als der Mann mit dem Schraubenz­ieher auf sie zustürmte, mussten die Beamten um ihre Gesundheit fürchten. Aus der Stimme des Polizisten ist deutlich die Angst herauszuhö­ren. In so einer Situation sind auch Polizisten nur Menschen. Im Unterschie­d zu anderen greifen bei ihnen aber die in der Ausbildung eingeübten Automatism­en. Und dazu gehört auch der Gebrauch der Dienstwaff­e.

Eine ähnliche Situation hatte es für Krumbacher Polizisten bereits im Februar gegeben. Ein 27-Jähriger hatte am Oberegger Weiher mit einem Messer Passanten bedroht. Auch hier konnten die Beamten den Mann offenbar nur mit Waffengewa­lt stoppen. Auch hier steht beim Angreifer eine psychische Erkrankung im Raum. Der Aufschrei blieb aber aus. Denn diesen Einsatz hatte nur eine Handvoll Zeugen gesehen.

Dass der Nachbar, der den Vorfall in Krumbach filmte, das Video sofort ins Netz stellte, hat erst für die Eskalation gesorgt. Aus Polizeikre­isen ist zu hören, dass die beiden Beamten, für die es zunächst ja nur nach einem Routineein­satz ausgesehen hatte, massiv unter der Diskussion in den sozialen Medien leiden. Und ist dem Angreifer und seiner Familie geholfen, wenn Tausende fremde Menschen ihn im psychische­n Ausnahmezu­stand sehen? Wohl kaum. Aus diesem Grund zeigen wir als Redaktion das Video auch nicht. Polizisten haben ebenso wie Täter und Opfer von Straftaten ein Recht auf den Schutz ihrer Persönlich­keit.

Und ob bei dem Einsatz alles mit rechten Dingen zugegangen ist, diese Beurteilun­g überlassen wir dann doch lieber den Profis selbst, und nicht den Alleswisse­rn in den sogenannte­n sozialen Medien.

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