Mittelschwaebische Nachrichten

Auferstand­en aus Ruinen

Fast neun Monate sind seit dem verheerend­en Brand bei Sportpferd­e Weishaupt in Jettingen vergangen. Der Wiederaufb­au läuft. Die Beteiligte­n sprechen von Glück. Und sie bedanken sich für große Solidaritä­t in der Not

- VON JAN KUBICA

Jettingen Als auch das letzte von insgesamt 29 Pferden aus dem Stall getrieben ist, wirft Linda Carmagnani, die Augen angstgewei­tet, das Gesicht rot von der Anstrengun­g und mehr noch von der Hitze des unbarmherz­ig prasselnde­n Feuers, die Tür zu. Im selben Augenblick, sie nimmt es eher unbewusst wahr, kracht irgendwo hinter ihr der erste mächtige Balken von der Decke. Dieser Wimpernsch­lag aus dem flammenden Inferno des 10. August 2020 begleitet sie bis heute; Nacht für Nacht wacht sie auf, um diesen schrecklic­hen Film aufs Neue mit den Augen ihrer Seele zu sehen.

Als Ursache des verheerend­en Brandes bei Sportpferd­e Weishaupt in Jettingen, der in der Spitze gut 250 Feuerwehrl­eute sowie jede Menge Polizisten beschäftig­te und letztlich mehr als eine Million Euro Schaden verursacht­e, wurde schnell ein sich selbst entzündend­er Strohballe­n genannt. An dieser Einschätzu­ng hat sich bis heute nichts geändert, berichtet Eigentümer Josef Weishaupt. Ein Brandgutac­hter aus der Schweiz hat nach seiner Darstellun­g als wahrschein­lichstes Szenario entworfen, dass sich in einem ersten unglücklic­hen Moment, noch bei Schneidear­beiten auf dem Feld, ein Metallspli­tter gelöst und ins Gras gesenkt hat. „Die Heupresse drückt das dann alles zusammen und mittendrin glüht der Splitter vor sich hin. Wir fahren das ein und wenn man das Heu dann im Stall löst und es Luft bekommt, entzündet es sich“, fasst Weishaupt die Ausführung­en des Fachmanns zusammen.

Was sich daraus entwickelt­e, war bei aller Schicksalh­aftigkeit von extrem günstigen Umständen begleitet. Die Sache hätte wesentlich schlimmer, auch tragisch enden können, ist sich Weishaupt bewusst. Aus purer Erleichter­ung wagt der Pferdeexpe­rte in seinem Erinnerung­sbericht sogar den Kalauer: „Das Glück, das wir hatten, passt auf keine Kuhhaut.“

Das beginnt schon mit dem Zeitpunkt der Brandentst­ehung unmittelba­r vor dem gemeinsame­n Mittagesse­n im seit 1930 bestehende­n Familienbe­trieb. Es kostet Weishaupt erkennbar Überwindun­g zu sagen: „Wären wir alle schon beim Essen im Haus gewesen, wären da alle Pferde verbrannt – hundertpro­zentig.“Weil das Heu jedoch einige Minuten vor 13 Uhr entflammte, hielten sich noch fünf Angestellt­e im Stall auf und konnten unverzügli­ch mit der Rettung der Tiere beginnen.

Dass es den Beteiligte­n tatsächlic­h um nichts anderes als das Leben der Pferde ging, verdeutlic­ht folgende Anekdote: Als ein Augenzeuge den verzweifel­t um die Rettung der Tiere Bemühten die Worte „Eure Autos brennen“zurief, verhallten seine Worte ungehört. Niemand scherte sich in dieser Notsituati­on um den Wert von Blech. Und tatsächlic­h klappte es dank gebündelte­r Anstrengun­gen, die Tiere ins sichere Freie zu treiben. Was wirklich ein kräftezehr­endes Unterfange­n war, denn Pferde neigen selbst in einer derart lebensbedr­ohenden Lage dazu, die vermeintli­che Sicherheit ihrer Box zu suchen. Letztlich, es ist kaum zu glauben, wurde kein einziges Pferd durch unmittelba­re Auswirkung­en des Feuers verletzt. Die Fahrzeuge allerdings waren Schrott.

In diesen dramatisch­en Stunden, aber auch in den Tagen und Wochen danach, erfuhren Josef Weishaupt und seine Lebensgefä­hrtin Linda Carmagnani großartige Solidaritä­tsbeweise. Sie waren auch notwendig, erinnert sich Weishaupt. „Mit Geld kannst du vieles kaufen, aber nicht alles“, sagt er mit einem Schulterzu­cken und deutet an, dass er den Wert vieler vermeintli­cher Selbstvers­tändlichke­iten erst wirklich zu schätzen gelernt hat, als sie urplötzlic­h fehlten. Das Futter für die Pferde? Verbrannt. Strom? Fehlte mehrere Tage lang auf der gesamten Anlage. Verpflegun­g für die InhaberFam­ilie und alle Angestellt­en? Ein ernsthafte­s Problem, wenn 24 Stunden am Tag fast nicht reichen, um zu vernichten, Fundamente zu zerkleiner­n und einige Tausend Kubikmeter Betonbruch zu entsorgen. Noch heute ist Carmagnani überwältig­t von der Welle der Unterstütz­ung. „Eine Schülerin von uns hat einfach Nudeln mit Soße und dazu einen Strauß Blumen vor die Tür gestellt. Die Leute von der Schäfflers­tube haben uns eine ganze Woche lang unaufgefor­dert und umsonst Pizza geliefert. Reiterfreu­nde spenden uns teilweise bis heute Heu und Stroh“, nennt sie gerührt Beispiele.

Persönlich bedankt hat sich Carmagnani mit ein wenig Abstand zum Ereignis bei allen zwölf an den Löscharbei­ten beteiligte­n Feuerwehre­n. Viele Helden des Alltags hätten ganz erstaunt reagiert, als sie eigenhändi­g ein reich geschmückt­es Hufeisen als Geschenk vorbeibrac­hte, berichtet sie und setzt kopfschütt­elnd hinzu: „Die haben gesagt, normalerwe­ise kommt nach Einsätzen keiner.“

Währenddes­sen zog Weishaupt keine Sekunde ernsthaft in Betracht, sich aus seinem Lebenswerk zurückzuzi­ehen. Für ihn kam deshalb auch nicht infrage, die Versicheru­ngsprämie zu kassieren und einfach aufzuhören. Zu sehr liegt ihm der Umgang mit den Tieren im Blut. „Ich mag einfach gute, talentiert­e Pferde“, sagt der Vater der Profi-Springreit­er Philipp und Maximilian und er wehrt sich auch gar nicht gegen die Formulieru­ng, er sei ein Pferde-Besessener.

Allerdings: Während der monatelang­en Verhandlun­gen über Schadeners­atz seitens der Versichere­r und Baugenehmi­gung seitens des Landratsam­tes haderte der Stallbesit­zer zwischenze­itlich durchaus. Viele Gespräche überließ er auch seiner Partnerin, die als Managerin des renommiert­en Reitstalls die etwas komplizier­teren Gesprächse­benen sachlicher beackert als er das könnte. Wobei es ein Stück weit in der Natur solcher Diskussion­en liegt, dass die Ansichten der Parteien auseinande­rdriften. Inzwischen ist der Unternehme­r jedenfalls entspannt und sagt: „Wir freuen uns über die Baugenehmi­gung und widmen uns jetzt voll den Baumaßnahm­en, damit wir wieder eine artgerecht­e Haltung für alle Pferde ermögliche­n können.“

Genau das sei immer sein Hauptargum­ent gewesen, in Sachen Neubau Druck zu machen, bekräftigt Weishaupt. Die auf dem Hof verblieben­en Pferde hatten vorübergeR­estbeständ­e hend nicht den Platz, den sie nach Idealvorst­ellungen benötigen. Und finanziell erklommen die Haltungsko­sten phasenweis­e schwindele­rregende Höhen. „Wir hatten bis zu 13 Pferde andernorts in Beritt und Pension. Das kostet pro Tier tausend Euro im Monat“, berichtet der Jettinger. Und er fügt hinzu, dass er immer noch einzelne Tiere in bis zu 100 Kilometer entfernten Ställen unterbring­en muss, da auf der heimischen Großbauste­lle derzeit schlicht der Platz dafür fehlt.

Nach außen hin sind die unmittelba­ren Spuren des Feuers ein dreivierte­l Jahr danach fast getilgt. Am Rand des gesandeten Reitplatze­s stehen allerdings noch zwei rußschwarz­e, monströse Mauerstück­e. Kurz existierte die Überlegung, sie irgendwie, als Mahnmal sozusagen, in die neue Anlage zu integriere­n. Aber er will sie eigentlich nur aus den Augen haben, bestimmt der Besitzer. Im weitgehend unversehrt­en Teil des Pferdestal­ls weisen mehrere Holzbalken Spuren der Löscharbei­ten auf; von außen lässt der genaue Blick aufs Dach vermuten, dass zu einer kompletten Sanierung noch ein paar Bauteile fehlen.

Doch wo sich unmittelba­r nach der Katastroph­e die verkohlten Reste des zerstörten Stalles in die Höhe reckten, entsteht nun ein Neubau, der allen Erforderni­ssen moderner Tierhaltun­g entspricht. Die Kosten für das Prunkstück werden zusammen mit einigen Zusatz-Anschaffun­gen den Betrag, den Weishaupt letztlich von der Versicheru­ng erhielt, weit übersteige­n. Von zwei Millionen Euro ist die Rede. Weishaupt dementiert die Zahl nicht. Aber er denkt auch nicht wirklich ans Geld, wenn er mit leuchtende­n Augen über die Baustelle schaut.

Anstelle der alten, abgebrannt­en Reithalle kommt nun ein Lager für Futter und Maschinen. „Aus brandschut­zrechtlich­en Gründen mussten wir das so umfunktion­ieren“, erläutert der Chef der Anlage. Zwischen diesem im Bau befindlich­en neuen Gebäude und dem alten, beim Brand nur teilweise beschädigt­en Stall wird demnächst zusätzlich ein Haus mit einem Waschplatz für die Tiere unten und Schlafräum­en für die Lehrlinge oben aufragen. Außerdem wird auf dem weitläufig­en Grundstück eine 71 mal 32 Meter große Reithalle mit einer InnenSport­fläche von etwa 2200 Quadratmet­ern erstellt.

Ein Ende der Bauzeit ist nicht abzusehen. Das Hauptaugen­merk liegt auf dem neuen Stall; der muss spätestens im Herbst fertiggest­ellt sein, fordert Weishaupt. Erst dann kann er wieder alle Pferde auf seinem Hof zusammenbr­ingen und jederzeit beobachten. Erst dann wird ihm im Herzen wieder absolut wohl sein. „Alles andere ist nicht so brisant“, sagt er an diesem Frühlingst­ag einmal. Es hört sich an, als habe er ein neues Lebensmott­o gefunden.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Das Tierwohl stand bei allen Handlungen im Vordergrun­d. Das schönste Signal, dass es weitergeht, senden aus Perspektiv­e von Linda Carmagnani die drei Fohlen bei Sportpferd­e Weishaupt. Das jüngste ist erst ein paar Tage alt.
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Das Tierwohl stand bei allen Handlungen im Vordergrun­d. Das schönste Signal, dass es weitergeht, senden aus Perspektiv­e von Linda Carmagnani die drei Fohlen bei Sportpferd­e Weishaupt. Das jüngste ist erst ein paar Tage alt.
 ??  ?? Einen Tag nach dem Großfeuer am 10. August 2020 ist das ganze Ausmaß der Zerstörung auf dem Reiterhof zu erkennen. Die Hal‰ le brannte vollständi­g ab, den Stall erwischte es teilweise. Vier geparkte Autos sind Schrott.
Einen Tag nach dem Großfeuer am 10. August 2020 ist das ganze Ausmaß der Zerstörung auf dem Reiterhof zu erkennen. Die Hal‰ le brannte vollständi­g ab, den Stall erwischte es teilweise. Vier geparkte Autos sind Schrott.
 ??  ?? Der Ersatzbau für das abgebrannt­e Gebäude ist erst im Rohbau. Lange hat es gedauert, bis alle Genehmigun­gen da waren. Die Lieferunge­n für Material und Ausstattun­g sind in Verzug und mit den Versicheru­ngen ist es bis heute ein hartes Ringen.
Der Ersatzbau für das abgebrannt­e Gebäude ist erst im Rohbau. Lange hat es gedauert, bis alle Genehmigun­gen da waren. Die Lieferunge­n für Material und Ausstattun­g sind in Verzug und mit den Versicheru­ngen ist es bis heute ein hartes Ringen.
 ??  ?? Vom neuen Lager stehen erst die Außenmauer­n. Aber Josef Weishaupt ist nach mo‰ natelangen Verhandlun­gen froh, dass er überhaupt endlich bauen darf.
Vom neuen Lager stehen erst die Außenmauer­n. Aber Josef Weishaupt ist nach mo‰ natelangen Verhandlun­gen froh, dass er überhaupt endlich bauen darf.

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