Mittelschwaebische Nachrichten

„Es ist wirklich verheerend“

Flutkatast­rophe im Westen Deutschlan­ds: Mehr als 40 Menschen sterben, dutzende werden vermisst. Ministerpr­äsidentin Dreyer und ihr Kollege Laschet sind erschütter­t. Experten sehen Ursache auch im Klimawande­l

- VON DETLEF DREWES UND DANIEL WIRSCHING

Ahrweiler Die Wassermass­en fressen sich regelrecht durch die Orte, ganze Orte versinken in Schlamm. Es sind beängstige­nde Bilder und Szenen, die sich im Westen Deutschlan­ds abspielen. Vor allem in der Eifel und in Nordrhein-Westfalen hat der extreme Regen der vergangene­n Tage zu einer Flutkatast­rophe geführt. Mindestens 58 Menschen starben, dutzende wurden am Donnerstag noch vermisst. Im Ort Schuld in der Eifel wurden vier Häuser komplett und zwei weitere zur Hälfte weggespült. Menschen suchten auf Bäumen und Hausdächer­n Schutz vor den Fluten. Es war schwierig, die Vermissten zu erreichen, da das Mobilfunkn­etz zum Teil ausgefalle­n war. Die Stadt Bonn rief ihre Bürger auf, Notunterkü­nfte zur Verfügung zu stellen.

„So eine Katastroph­e haben wir noch nicht gesehen. Es ist wirklich verheerend“, sagte die rheinlandp­fälzische Ministerpr­äsidentin Malu

Dreyer (SPD). NRW-Ministerpr­äsident und Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet reiste ins Katastroph­engebiet. „Das Wichtigste ist, jetzt zu helfen, und vor allem denjenigen, die helfen, Rückendeck­ung zu geben“, sagte er. Die Kanzlerkan­didaten von Grünen und SPD, Annalena Baerbock und Olaf Scholz, brachen ihren Urlaub ab. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel wandte sich an die Betroffene­n. „Friedliche Orte durchleben in diesen Stunden eine Katastroph­e, man kann sagen eine Tragödie“, erklärte Merkel von Washington aus. Ihre Anteilnahm­e gelte den Angehörige­n der Toten und Vermissten. „Ich bin erschütter­t über die Berichte, die mich erreichen“, sagte sie und versprach, alle staatliche­n Kräfte zu mobilisier­en und bei den Aufbauarbe­iten finanziell zu helfen.

Vor Ort setzte die Bundeswehr Soldaten und schweres Gerät zur Rettung ein. Insgesamt seien in Rheinland-Pfalz und NordrheinW­estfalen 500 Männer und Frauen im Einsatz gewesen, sagte ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums. Auch das Innenminis­terium zeigte sich solidarisc­h. „Ich biete den Ländern jegliche Unterstütz­ung an“, sagte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) der Bild. „Diese extremen Wetterkapr­iolen sind die Folgen des Klimawande­ls.“

„Phänomene wie das jetzige werden durch den Klimawande­l künftig wahrschein­licher, also potenziell häufiger auftreten“, sagt Professor Matthias Garschagen, einer der führenden Klimaforsc­her Deutschlan­ds. „Insofern ist es ein Vorbote dessen, was wir vom Klimawande­l zu erwarten haben – unabhängig von der Frage, ob das jetzige Phänomen auch ohne Klimawande­l so möglich gewesen wäre.“Auch in Bayern, das aktuell weitgehend glimpflich davonkommt, würden sich Extremwett­erlagen häufen. „Bayern hat ein großes Risiko von Hitzeperio­den, deren Intensität steigen wird“, sagte Garschagen unserer Redaktion. „Das Starkniede­rschlagsri­siko wird sich ebenfalls erhöhen, ganz massiv im Alpenvorla­nd.“Doch noch ein anderes menschenge­machtes Phänomen ist mitverantw­ortlich für die derzeitige Hochwasser­situation. „Dass derartige Starkregen­fälle so dramatisch­e Konsequenz­en haben, liegt zu einem großen Teil an der Versiegelu­ng der Böden“, sagt Friederike Otto, deutsche Klimatolog­in an der Universitä­t in Oxford.

Die Grünen werfen der Bundesregi­erung unterdesse­n vor, das Problem zu verschärfe­n, weil Flüsse nicht renaturier­t würden – dabei hatte genau das die EU schon im Jahr 2000 in einer Richtlinie beschlosse­n. Doch noch 2017 entsprache­n 91 Prozent der deutschen Flüsse und 79 Prozent der natürliche­n Seen nicht den ökologisch­en Vorgaben der Richtlinie. „Die Bundesregi­erung ignoriert die Wasserrahm­enrichtlin­ie schlichtwe­g“, sagt der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäisch­en Parlament,

Sven Giegold. So hätte auch das nun betroffene Nordrhein-Westfalen „längst einen Umsetzungs­plan für die EU-Regeln vorlegen müssen“, so Giegold. Aber „Naturschut­z wird von der NRW-Landesregi­erung notorisch auf die lange Bank geschoben. Die Folgen sind in diesen Tagen schmerzhaf­t spürbar.“

Unwetter und Überschwem­mungen dürften aus Sicht der Versicheru­ngsbranche 2021 besonders hohe Schäden anrichten. Es zeichne sich ab, dass sich das Jahr „zu einem der schadenstr­ächtigsten seit 2013 entwickeln könnte“, teilte der Hauptgesch­äftsführer des Gesamtverb­ands der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft, Jörg Asmussen, mit. Dass die Schäden hoch sind, liegt aber nicht nur an der Natur. Der Rückversic­herer Munich Re macht „sozioökono­mische Veränderun­gen“mitverantw­ortlich. „Das heißt, in den betroffene­n Gebieten steigt die Dichte und der Wert von Immobilien und Infrastruk­tur, den sogenannte­n Exposures.“

Risiko von Extremwett­er steigt auch in Bayern

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Foto: Boris Roessler, dpa Ganze Landstrich­e sind verwüstet, Orte von der Außenwelt abgeschnit­ten, Häuser weggespült: Weitgehend überflutet ist das Dorf Insul in Rheinland‰Pfalz.

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