Mittelschwaebische Nachrichten
Grundschüler lernen das Judentum kennen
Auf ausdrücklichen Wunsch der Schulen bieten die Dossenberger-Gymnasiasten weiterhin ihr Projekt „Lernzirkel Judentum“an. Was diesmal anders ist als sonst
Ichenhausen Es ist ein außergewöhnliches und wohl bundesweit einzigartiges Schulprojekt: Seit über zwei Jahrzehnten schlüpfen Schüler des Dossenberger-Gymnasiums in der Woche der Brüderlichkeit in die Rolle des Lehrers und bringen mehr als 1000 Viertklässlern aus dem gesamten Landkreis Günzburg jüdische Geschichte, Kultur und Religion nahe. Dass der Lernzirkel Judentum seit Montag in der Synagoge Ichenhausen aktiv ist, und das in Corona-Zeiten, macht das Projekt noch außergewöhnlicher.
Während viele andere Veranstaltungen der Pandemie zum Opfer fielen, wollten Gymnasium und Grundschulen keinesfalls auf das schon ausgezeichnete Vorzeigeprojekt verzichten. Es wurde vom März in den Juli verschoben, um eine Woche auf zwei Wochen ausgedehnt und ein akribisches Hygienekonzept erarbeitet. Michael Salbaum, der den Lernzirkel seit 22 Jahren betreut, ist stolz darauf, die Aktion durchführen zu können: „Wir setzen damit ein Zeichen – gerade aktuell in der Rassismusdebatte.“
Im vergangenen Jahr hatten es die Dossenberger-Schüler gerade noch so geschafft, den Lernzirkel in der Synagoge, der traditionell Anfang März in der Woche der Brüderlichkeit stattfindet, zu Ende zu bringen. Dann wurden alle Schulen in Bayern wegen der Corona-Pandemie geschlossen, es ging in den ersten Lockdown.
„Wir hatten Glück, dass wir das Projekt noch durchziehen konnten“, sagt Michael Salbaum. Dass die Aktion wegen der Corona-Krise möglicherweise für längere Zeit die letzte bleiben würde, daran hatte der Projektbetreuer nie gedacht. Erst im zweiten Lockdown im Winter wurde Salbaum bewusst, dass der Lernzirkel im Frühjahr auf der stehen könnte. Er startete eine Umfrage unter den Grundschulen, ob die Aktion ausfallen, online oder in Präsenzform im Sommer bei hoffentlich niedrigen Inzidenzzahlen über die Bühne gehen solle. Die „überwältigende Mehrheit“habe für die dritte Variante plädiert. „Alle waren sich einig, dass das Projekt vom Kontakt und dem Austausch der Schüler untereinander lebt“, so Michael Salbaum. Indem die Neuntklässler den Jüngeren unkompliziert das Judentum nahebringen, beugten diese aktiv dem
Antisemitismus vor. Außerdem habe so manche Schule deutlich gemacht, dass ihre technische Ausstattung eine Online-Durchführung nicht zulassen würde. Dann hieß es Abwarten, denn bis Juni war Unterricht in Präsenzform unmöglich. Erst nach den Pfingstferien starteten die Neuntklässler „hoch motiviert“mit Unterstützung ihrer Religionsund Ethiklehrer in die Vorbereitung des Lernzirkels, erarbeiteten teils Plakate und Unterlagen in ihrer Freizeit.
Die Zeit sei deutlich knapper geKippe wesen als in den Jahren zuvor, der Druck, rechtzeitig fertig zu werden, höher, erzählt der Lehrer. Noch viel größer war jedoch der Organisationsaufwand. Coronabedingt musste die Aktion, die sich sonst auf eine Schulwoche beschränkt, auf zwei Wochen ausgedehnt werden. Nur so sei gewährleistet, dass die Viertklässler von 23 teilnehmenden Grundschulen den Lernzirkel mit dem nötigen Abstand durchlaufen können.
Die gut 900 angemeldeten Schüler werden genauso geteilt wie die
Gymnasiasten, die den Unterricht in der Synagoge übernehmen.
Seit Montag kümmern sich zwei neunte Klassen um die Kinder, in der kommenden Woche sind die restlichen Neuntklässler an der Reihe. Alle Gymnasiasten müssen sich täglich vor Ort einem Schnelltest unterziehen, die Grundschüler werden vor der Busanreise in der Schule getestet.
In der Synagoge kommt ein ausgeklügeltes Hygienekonzept zum Einsatz. Alle tragen konsequent Gesichtsmasken, an den fünf verschiedenen Stationen zu den Themen Feste, Schriften, Haus und Synagoge, Juden vor Ort und berühmte Juden sind CO2-Ampeln und Desinfektionsständer aufgebaut. Zusätzlich werden Formulare zur Kontaktverfolgung ausgefüllt. Lediglich auf dem jüdischen Friedhof unter freiem Himmel seien die Regeln nicht so streng.
Michael Salbaum macht diesen „Job“seit 22 Jahren, doch so anstrengend wie heuer sei es noch nie gewesen. Er habe an Dinge denken müssen, über die er sich in zwei Jahrzehnten keine Gedanken gemacht habe. „Das geht an die Substanz“, sagt er.
Gleichzeitig sei er glücklich und stolz, dass die Aktion trotz Corona möglich ist. Gerade jetzt, wo die Rassismusdebatte nach der FußballEM und den verschossenen Elfmetern durch dunkelhäutige englische Fußballspieler voll aufflamme, setzten die Schüler ein enorm wichtiges Zeichen.
Während die Politiker nun große Reden schwingen, in der Folge aber schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen werde, handele man im Landkreis Günzburg präventiv. „Wir reden nicht, wir tun etwas, und das seit Jahren. Wir führen die Kinder frühzeitig an ein wichtiges Thema heran, zeigen ihnen spielerisch, was das Judentum ausmacht.“