Mittelschwaebische Nachrichten
Gerichte schicken Flüchtlinge nicht mehr zurück
Wie Italien und Griechenland ihre Probleme auf Deutschlands Kosten lösen
Berlin Die Corona-Pandemie hat die Asylpolitik in der Europäischen Union zwar überdeckt, es sind deswegen aber weiterhin Flüchtlinge unterwegs. Mehr als 47000 Menschen haben nach Angaben des Flüchtlingshilfswerk UNHCR seit Jahresbeginn allein über die Mittelmeerrouten versucht, in einen EUStaat zu flüchten. Neben Spanien sind Italien und Griechenland die Hauptländer, die zunächst von den Asylsuchenden angesteuert werden. Die Regierungen in Rom und Athen ziehen aber zunehmend den Unwillen Deutschlands auf sich. Der Vorwurf: Beide Länder entledigen sich illegal ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge, indem sie sie nach Deutschland weiterziehen lassen.
Rechtlich sind die Regierungen Italiens und Griechenlands für die Asylsuchenden zuständig, die zu ihnen kommen. Werden sie als Flüchtlinge anerkannt, können sie Ausweise erhalten und im Schengenraum reisen. Zum Beispiel nach Deutschland, wo viele einen neuen Asylantrag stellen. Eigentlich müssten diese Menschen nach drei Monaten nach Italien oder Griechenland zurückkehren – ihre Anträge auf Asyl haben hier keine Chance, weil sie bereits in einem anderen EU-Land anerkannt sind. Doch die deutschen Behörden haben keine Handhabe für eine Abschiebung.
Der Grund dafür sind vor allem Urteile wie die des Oberverwaltungsgerichts Münster. Demnach verstoßen solche Rückführungen gegen die europäische Grundrechtecharta sowie gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Italien wie Griechenland seien nicht in der Lage, die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) zu befriedigen.
Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl begrüßten die Beschlüsse zwar, weil sie die Flüchtlinge schützen. „Es sind wegweisende Urteile, die möglicherweise auch eine Signalwirkung in die Zukunft haben“, sagte der Leiter der Europaabteilung von Pro Asyl, Karl Kopp, unserer Redaktion. In der Politik gibt es allerdings auch andere Einschätzungen. „Diese Rechtsprechung bedeutet nichts anderes, als dass alle weiterwandernden Flüchtlinge, für die eigentlich Italien zuständig ist, auf Dauer in Deutschland verbleiben“, kritisiert der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm. Sowohl Griechenland als auch Italien förderten systematisch die Migration nach Deutschland – „und zwar durch aktive Schlechtbehandlung der Menschen, für die sie die Verantwortung tragen“. Dieses Verhalten sei „nicht akzeptabel“.
Die Zahl dieser Flüchtlinge nimmt ständig weiter zu, mittlerweile sind es mehrere zehntausend Menschen, die in Deutschland leben. Da die EU die Griechen bei der Abarbeitung der Asylanträge unterstützt, könnten die Zahlen schnell steigen. In einem neuen Fall hat Münster außerdem auch für einen
Die Zahlen könnten schnell steigen
noch nicht anerkannten Asylsuchenden entsprechend entschieden.
Pro Asyl wirft der Bundesregierung vor, an der Lage selbst schuld zu sein: „Die Versäumnisse der letzten Jahre fallen den Verantwortlichen jetzt auf die Füße.“Das Oberverwaltungsgericht Münster stellt Rom ein vernichtendes Zeugnis aus. In einem Fall heißt es etwa, der Betroffene würde bei „seiner Rücküberstellung nach Italien außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen keine menschenwürdige Unterkunft finden“. Auch sei es angesichts der Wirtschaftslage in Italien „beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr keine Arbeit finden würde“. Angesichts der Zustände werde er auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben, mit deren Hilfe er dort sein Existenzminimum sichern könnte.