Mittelschwaebische Nachrichten

Briefe aus dem Krieg

Thomas Mayer aus Attenhause­n befasst sich intensiv mit seiner Familienge­schichte. Da ist ein tragischer Tod im Jahr 1943, der ihn immer wieder beschäftig­t

- VON PETER BAUER

Thomas Mayer aus Attenhause­n befasst sich intensiv mit seiner Familienge­schichte. Da ist ein tragischer Tod im Jahr 1943, der ihn immer wieder beschäftig­t.

Attenhause­n Thomas Mayer aus Attenhause­n ist vielen als Krumbacher Standesbea­mter und Wahlleiter bekannt. Er befasst sich privat auch mit seiner Familienge­schichte. Da ist ein tragischer Tod, der ihn immer wieder beschäftig­t und motiviert, in verschiede­nen InternetPl­attformen und Staatsarch­iven zu stöbern. Karl Schopper, der Onkel seines Vaters, ist seit Januar 1943 unweit von Stalingrad vermisst. Die Nachrichte­n, die er vor seinem Tod an seine Frau geschriebe­n hat, sind Dokumente des grausamen Kriegs an der Ostfront. Mayer konnte ein paar dieser Zeitdokume­nte einsehen, die sein Vater in Besitz hatte. „Ich schließe mit dem Wunsch nach baldigem Frieden und wünsche Dir ein recht glückliche­s Jahr 1943“, schreibt der Soldat Karl Schopper an seine Frau Ottilie. Es sind vermutlich seine letzten Zeilen von der Ostfront nach Hause. Sein letztes Lebenszeic­hen ist vom 9. Januar 1943.

9. Januar 1943: Dieses geradezu nüchtern klingende Datum deutet nicht einmal ansatzweis­e an, was in der damaligen Sowjetunio­n in dieser Zeit geschah. Schopper, am 4. Oktober 1913 in Augsburg geboren, ist Soldat bei der 387. Infanterie­division im Südabschni­tt der Ostfront. Eingesetzt ist er als Verpflegun­gsfahrer. Im Zuge der Kämpfe um Stalingrad im Winter 1942/43 gerät seine Division in den Strudel des Rückzugs, sie wird fast vollständi­g aufgeriebe­n. Die Front gleicht in dieser Zeit des überstürzt­en deutschen Rückzugs nach Westen einem regelrecht­en Tollhaus. Wer wann und wo den Tod findet, lässt sich in dieser Phase oft kaum mehr ermitteln. Auch Feldpostbr­iefe treffen in dieser Zeit nur unregelmäß­ig in der Heimat ein.

Die Feldpost – das ist eine lange Geschichte. Zwischen 1914 und 1918 werden allein bezogen auf das Deutsche Reich 29 Milliarden Postsendun­gen befördert. Im Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) gibt es noch einmal eine deutliche Steigerung auf 40 Milliarden Postsendun­gen. Das Briefgehei­mnis war in der Nazizeit schon früh aufgehoben worden, doch werden die Briefe nur relativ dezent zensiert. Einerseits, um den Soldaten ein „Ventil“zu lassen. Anderersei­ts, weil die Machthaber die Feldpost als Stimmungsb­arometer nutzen wollen. Häufig

sich die Schreibend­en quasi selbst, um die Angehörige­n in der Heimat zu schonen.

Der gebürtige Augsburger Karl Schopper war gelernter Schreiner, erinnert sich der 59-jährige Thomas Mayer. Seine Frau Ottilie stammte aus Deisenhaus­en, sie arbeitete in einer Schuhfabri­k in Augsburg. Die beiden hatten zwei Kinder. Zwillinge – die bereits kurz nach ihrer Geburt starben. Es ist eine Tragödie für die Familie, die auf ihre Weise das Schrecklic­he, das noch kommen

andeutet. Das ahnen nur wenige im Juni 1941. Mit rund 3,5 Millionen Soldaten war die Wehrmacht in der Sowjetunio­n eingefalle­n. Rasch stoßen die deutschen Truppen ostwärts. Die oberste Führung um Hitler geht davon aus, dass der Krieg gegen die scheinbar rückständi­ge Rote Armee nur Wochen oder allenfalls Monate dauern sollte. Doch wenige Kilometer vor Moskau kommt im Dezember 1941 der deutsche Angriff zum Stehen. In der Winterschl­acht wird die Wehrzensie­ren macht Hunderte von Kilometern zurückgewo­rfen. Bereits „bis Ende September 1941 war eine halbe Million Mann tot oder verwundet. Langsam, aber sicher ging der Wehrmacht die Puste aus“, schreibt Historiker Sönke Neitzel. Die Forschunge­n des Münchner Instituts für Zeitgeschi­chte gehen davon aus, dass der Krieg bis zum März 1942 rund ein Drittel des deutschen Ostheeres regelrecht verschluck­t hatte. Die Gesamtverl­uste an Toten, Vermissten, Verwundete­n oder Gefansollt­e, genen waren auf über eine Million Mann gestiegen. Zu diesem Zeitpunkt ist der deutsche Angriff auf Moskau (Dezember 1941) gescheiter­t – wenige Kilometer vor der Stadt. Bereits jetzt, rund ein Jahr vor der Schlacht um Stalingrad zeichnet sich ab, dass die Niederlage vor Moskau die Wende des Krieges ist. Der Rückschlag vor Moskau folgt am 11. Dezember 1941 der Kriegseint­ritt der USA. Im Sommer 1942 unternimmt die Wehrmacht im Südabschni­tt der Ostfront einen neuen Anlauf, die Sowjets endgültig zu schlagen. Neue Großverbän­de werden aufgestell­t. Unter ihnen ist die 387. Infanterie­division, der Karl Schopper angehört. Die Division wird im Februar 1942 auf dem Truppenübu­ngsplatz Döllershei­m in Niederöste­rreich aufgestell­t und bald an die Ostfront verlegt. Die Deutschen stoßen tief in den Kaukasus und über den Fluss Don nach Stalingrad an der Wolga vor.

Die wuchtige sowjetisch­e Gegenreakt­ion bei Stalingrad Mitte November 1942 überrascht die Wehrmacht dann aber vollständi­g. In Stalingrad wird die 6. deutsche Armee eingekesse­lt und vernichtet, rund 110.000 deutsche und verbündete Soldaten geraten in Gefangensc­haft. Die Rote Armee stößt weit nach Westen, über den Don, vor. Im Zuge dieser Kämpfe wird die 387. Division nahezu vollständi­g aufgeriebe­n. Karl Schopper ist seit dem 9. Januar vermisst.

Thomas Mayer erzählt, dass sich seine Frau damit nie abfinden wollte. Sie schreibt 1944 an einen deutschen General in einem Gefangenen­lager in der Sowjetunio­n. Im Dezember 1945 gar einen Brief nach Ostberlin. Ostberlin? Der Krieg ist zu diesem Zeitpunkt verloren, Deutschlan­d ist von den vier Siegermäch­ten besetzt, in Ostberlin befindet sich das Hauptquart­ier der sowjetisch­en Besatzungs­truppen. Ottilie Schopper schaltet den Suchdienst des Roten Kreuzes ein – vergeblich. Aus dem Hauptquart­ier der Roten Armee erhält sie keine Antwort.

Es bleiben Karl Schoppers Briefe. In denen nimmt er mit Blick auf den Alltag an der Front mitunter kein Blatt vor den Mund. „Hoffentlic­h kommen wir gesund aus dieser Scheiße raus“, schreibt er am zweiten Weihnachts­feiertag, 26. Dezember 1942. Doch seine Hoffnung auf ein „recht glückliche­s Jahr 1943“sollte vergeblich sein.

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Foto: Peter Bauer Thomas Mayer aus Attenhause­n mit Briefen von Karl und Ottilie Schopper aus der Kriegs‰ und Nachkriegs­zeit. Der 1943 an der Ostfront vermisste Karl Schopper war der Onkel seines Vaters.
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Foto: Sammlung Mayer Karl Schopper ist seit dem 9. Januar 1943 im Südabschni­tt der Ostfront vermisst. Unser Bild zeigt ihn links in einer undatierte­n Aufnahme mit einem Kameraden.

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