Mittelschwaebische Nachrichten

Brachte Mann seine Ehefrau in Lebensgefa­hr?

Wegen mehrfacher Schläge und anderer Vorfälle steht ein 31-Jähriger in Günzburg vor Gericht. Seine Schilderun­gen und die seiner Noch-Frau gehen stark auseinande­r

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Günzburg Im vergangene­n Jahr sind im Landkreis Günzburg 179 Anzeigen bei der Polizei erstattet worden, die unter den Begriff häusliche Gewalt fallen. Oft aber zeigen Opfer ihre Peiniger erst Monate nach den Taten an – wenn überhaupt, wissen die Beamten. Studien gehen von einer Dunkelziff­er von über 90 Prozent aus. Doch eine heute 26-Jährige ist diesen Schritt gegangen. Nun steht ihr Noch-Ehemann in Günzburg vor dem Amtsgerich­t, angeklagt wegen einer Reihe gefährlich­er Körperverl­etzungen.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem zur Tatzeit 28-Jährigen vor, im April 2018 seine Frau in der Küche der gemeinsame­n Wohnung im nördlichen Landkreis mit beiden Händen am Hals gepackt und sie zu Boden gebracht zu haben. Er habe sich auf das liegende Opfer gesetzt und es mit beiden Händen für circa 30 Sekunden gewürgt, sodass es kaum noch Luft bekommen habe. Anschließe­nd habe der Angeklagte die Frau durch die Wohnung geschleude­rt, sodass sie Atemnot, Hämatome am Hals, Schmerzen und Prellungen an den Armen erlitten habe. Im Mai oder Juni 2020 habe der Mann dann seiner Frau wiederum in der gemeinsame­n Wohnung mit voller Wucht mit seinem Fuß gegen das rechte Schienbein getreten, wodurch sie Schmerzen, eine Nervenquet­schung und einen Bluterguss erlitten habe.

Am 27. November vergangene­n Jahres sei es erneut zu einer Auseinande­rsetzung in der gemeinsame­n Wohnung gekommen. Der Mann habe die Frau gestoßen und ihr Shirt zerrissen. Als sie ins Schlafzimm­er gegangen war, damit der gemeinsame Sohn den Streit nicht mitbekommt, sei ihr der Mann gefolgt und habe eine Haushaltsl­eiter und ein Bügelbrett genommen – und mit voller Wucht gegen den Kopf gestoßen. Die Frau sei an der Augenbraue getroffen worden, sodass sie Schmerzen und ein Hämatom erlitten habe. Am folgenden Tag habe die Frau den Angeklagte­n zur Rede stellen wollen. Er habe die Tat vom Vortag geleugnet, sei wütend geworden und habe mit beiden Fäusten auf ihre Arme eingeschla­gen. Wiederum habe der Mann zu Bügelbrett und Leiter gegriffen, so die Staatsanwa­ltschaft, habe ausgeholt und auf den Kopf des Opfers eingeschla­gen, den es mit den Armen schützen wollte. Dadurch habe die Frau Schmerzen am rechten Arm und Bein erlitten.

Die Darstellun­gen des Mannes und der Frau, die als Nebenkläge­rin auftritt und anwaltlich­en Beistand hat, gingen vor Gericht weit auseinande­r, auch die Zeitpunkte der vermeintli­chen Taten. Worin sich beide einig waren: Die Ehe war zerrüttet, zwei Versöhnung­sversuche vor einer Scheidung, die jetzt kurz bevorsteht, scheiterte­n. Man habe es nur wegen des gemeinsame­n Sohnes, heute vier Jahre alt, wieder miteinande­r probieren wollen. Dabei sei es eine Liebesheir­at gewesen, betonte der Mann, entgegen der Tradition – beide sind in Günzburg geboren, aber türkische Staatsbürg­er – sei man nicht gezwungen worden. Er sei „entsetzt über die Vorwürfe“, sagte er. Streitigke­iten habe es gegeben, aber nicht in der geschilder­ten Form. Ein Streit habe sich daran entzündet, dass der Sohn sein „großes Geschäft“noch immer nicht auf der Toilette erledigt habe, woraufhin er ihn aufs Klo gesetzt habe. Dort habe er bleiben sollen, bis er fertig ist. Doch die Frau war dagegen, zumal das Kind geweint habe. Als sie dann seinen toten Vater verflucht habe, sei die Ehe für ihn ohnehin faktisch zu Ende gewesen. Außerdem habe er nach einem Streit mit ihr einen gebrochene­n Finger davongetra­gen und andere Verletzung­en. Aus Scham habe er das aber im Krankenhau­s verschleie­rt.

Bis zum Tod seines Vaters sei „alles wie im Himmel“gewesen. Doch seine Frau habe psychische Probleme bekommen, nachdem sie den leblosen Vater gefunden und erfolglos versucht hätten, ihn wiederzube­leben. Im Laufe der Zeit seien sie wegen immer mehr Kleinigkei­ten in Streit geraten, was sich aufgeschau­kelt habe. Im Moment sei alles sehr friedlich, er dürfe seinen Sohn auch öfter sehen, als es vereinbart sei. Doch da er für beide Unterhalt zahle, sei seine finanziell­e Situation angespannt. Er lebe bei seiner Mutter, mehr als 600 bis 700 Euro blieben ihm im Monat nicht. Dass er noch in der gemeinsame­n Wohnung eine Tür aufgebroch­en habe, liege nur daran, dass er Angst gehabt habe, dass sich seine Frau etwas antut. Die akzentfrei Deutsch sprechende Nebenkläge­rin wiederum, teilweise den Tränen nah, schilderte ihn als jemanden, der schnell aggressiv werde. Und das schon wegen Selbstvers­tändlichke­iten, nämlich dass er im Haushalt helfen solle – das habe er aber stets abgelehnt.

Einmal habe er sie im Beisein ihrer Schwiegerm­utter am Hals gepackt, doch diese habe nichts gesagt – außer, dass man als Frau nicht darüber reden dürfe, wenn der Mann zuschlägt. Sie habe so große Angst vor ihm gehabt, dass sie sogar die Küchenmess­er versteckt habe. Denn er habe gesagt, einer von ihnen werde ins Grab und einer ins Gefängnis gehen. Einmal sei es auch zu einem Handgemeng­e mit ihrem

Vater gekommen, ihr Mann habe ihn am Kragen gepackt. Nach einem Übergriff habe er sie hingegen gut behandelt – bis die Spuren nicht mehr sichtbar gewesen seien. Erst durch psychologi­sche Hilfe habe sie es inzwischen geschafft, sich von ihm zu lösen.

Ein Gutachter erklärte anhand der Akten und der Schilderun­gen – selbst habe er die Frau nicht untersucht -, dass solche Schläge lebensgefä­hrlich sein könnten. Auch ein kürzeres Würgen könne das sein. Eine konkrete Lebensgefa­hr habe wohl nicht bestanden, aber eine potenziell­e. Die Gefahr einer Hirnblutun­g durch den Vorfall mit dem Bügelbrett und der Leiter sei nicht allzu groß gewesen, da die Wucht aufgrund der geringen Distanz nicht groß gewesen sein könne. Aber wenn jemand schildert, nach einem Würge-Vorfall Luftnot gehabt zu haben, müsse das Gegenüber kräftig zugedrückt haben.

Eine Ärztin für Psychiatri­e und Psychother­apie, bei der die Frau vor der Corona-Pandemie drei Mal war, sagte, die Patientin habe sehr ratlos gewirkt, es sei ein starker Leidensdru­ck spürbar gewesen. Wesentlich mehr konnte sie allerdings nicht beitragen. Weil sie nach ihrem Aufruf als Zeugin zunächst nicht da war, hatte der Richter im Einvernehm­en mit der Staatsanwä­ltin schon ein

Ordnungsge­ld verhängt - widerrief das aber später. Denn die Ärztin hatte einem vor dem Gericht kollabiert­en Mann geholfen, wie sie erkläre, als sie mit etwas Verspätung aussagte.

Wie die Schilderun­gen des Angeklagte­n und der Nebenkläge­rin gingen auch die der Mutter des Mannes und der Eltern der Frau auseinande­r, jeweils zugunsten des eigenen Kindes. Selber seien sie aber nicht Zeuge von Gewalttäti­gkeiten geworden. Die Mutter des vermeintli­chen Opfers betonte, keine Frau müsse mehr Gewalt erdulden. Als der sich sonst überkorrek­t gebende Angeklagte mit hörbar türkischem Akzent zum wiederholt­en Male reinredete und der für die Eltern übersetzen­den Dolmetsche­rin vorwarf, falsch zu übersetzen, platzte wiederum Richter Martin Kramer der Kragen: „Jetzt halten Sie die Klappe“, brüllte er. Dass der Angeklagte ihn anfangs ständig als „Herr Staatsanwa­lt“betitelte, bevor ihn sein Anwalt auf die richtige Position des Vorsitzend­en hinwies, hatte der Richter ignoriert.

Verteidige­r Markus Neumann hatte zwar zwischendu­rch ein Rechtsgesp­räch angeregt, die Verhandlun­g lief aber nach der Unterbrech­ung für das Gespräch weiter. Fortgesetz­t wird der Prozess am 26. August um 9 Uhr.

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Foto: Anne Wall (Symbolbild) Ein Mann aus dem Landkreis Günzburg soll seiner Ehefrau mehrfach Gewalt angetan haben. Doch die Schilderun­gen gehen stark auseinande­r.

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