Mittelschwaebische Nachrichten
Es ist nicht die Zeit für Streik-Muskelspiele
Bahn und Gewerkschaft sollten die Verhandlungen bald wieder aufnehmen. Nur wenn die Manager auf Lokführer-Chef Weselsky zugehen, ist ein Kompromiss möglich
Claus Weselsky ist einer der letzten heimischen Arbeiterführer klassischen Zuschnitts. Obwohl der Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer der CDU angehört, agiert er, wenn es um die Interessen seiner Klientel geht, wie es einst strammlinke Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter getan haben: Weselsky fackelt nicht lange, spitzt Tarifkonflikte brachial zu, holt sich wie jetzt in einer Urabstimmung die Rückendeckung seiner Kolleginnen und Kollegen, um dann den Streik-Zug flott rollen zu lassen.
Das macht der Gewerkschafter im Bewusstsein, dass er die öffentliche Meinung gegen sich hat oder wie das inzwischen heißt, mit einem Shitstorm rechnen muss. Schon bei der knüppelharten Tarifauseinandersetzung der Jahre 2014 und 2015, die in langen Streiks mündete, riskierte der Sachse den Großkonflikt – und das bei einem gesellschaftlichen Zeitgeist, der eher von Kuscheln als Kloppen geprägt ist. Da sticht einer wie Weselsky heraus. Sein Name stand plötzlich synonym für Krawall. Der Mann hat eben den Tunnelblick, was ihm schon das ein oder andere Mal in seiner Karriere als durchaus erfolgreicher, weil eben durchsetzungsstarker Arbeiterführer half. Wenn ihn viele ausbremsen wollen, läuft der 62-Jährige zur Hochform auf und zeigt den Bossen, wie mächtig eine Arbeitnehmer-Vereinigung sein kann. Das ist legal, ja legitim, aber nicht unbedingt immer klug.
Der Machtmensch Weselsky, dem Ungerechtigkeit zuwider ist, muss in diesem Sommer aufpassen, dass er nicht den Charme des Robin Hoods der Züge jäh einbüßt. Am Ende könnte er nur noch als BahnEgoist wahrgenommen werden, der vielen Menschen nach der quälend langen Corona-Zeit und in den Ferien den Rest des Sommers verdirbt.
Weselsky hat oft mit dem Feuer gespielt, im August könnte er sich die Finger verbrennen. Natürlich passen Arbeitskämpfe nie in die Zeit, aber der jetzige Streik ist – aus gesamtgesellschaftlicher Sicht betrachtet – besonders ärgerlich. Umso unverständlicher wirkt es, dass die Bahn-Manager im Wissen um das konsequente Naturell des Lokführer-Bosses den Gewerkschafter unnötig mit unzureichenden, weil besonders lang laufenden Tarif-Angeboten provozieren. Für den Streik ist zur Hälfte der Konzern-Vorstand verantwortlich.
Um die Beeinträchtigungen für die Fahrgäste in Grenzen zu halten, müssen die Bahn-Verantwortlichen rasch nachlegen und sich bei den Beschäftigten für ihre guten Leistungen während der harten Corona-Zeit finanziell bedanken, zumal sich die Inflation mächtig zurückgemeldet hat. Dann bleibt es vielleicht bei einigen Tagen Arbeitskampf. Dabei sollte Weselsky, wenn die Bahn die KompromissWeiche stellt, rasch den Streik-Zug stoppen. Das ist keine Zeit für Muskelspiele, auch wenn der Lokführer-Chef mit der viel größeren Konkurrenz-Organisation EVG um gewerkschaftlichen Einfluss innerhalb des Konzerns buhlt. Den internen Konflikt darf Weselsky nicht auf dem Rücken der Fahrgäste austragen. Doch es besteht die Gefahr, dass er genau das tut und den Konflikt weiter anheizt. Hintergrund ist das Tarifeinheitsgesetz, nach dem in einem Betrieb immer nur der Tarifvertrag einer einzigen Gewerkschaft gelten soll. Bei den vielen Bahn-Betrieben würde die EVG die Lokführer oft ausstechen. Dadurch fühlt sich Weselsky in die Enge getrieben, einen möglichst hohen Abschluss zu erzielen, um viele Mitglieder der KonkurrenzGewerkschaft zu sich zu ziehen.
Wenn die Bahn-Vorstände klug sind, fühlen sie sich in die besondere Stresssituation Weselskys ein und geben ihm klare Signale, dass seine Macht innerhalb der Bahn nicht beschnitten wird. Sonst werden die Streiks länger andauern.
Bahn-Vorstand hat Weselsky provoziert