Mittelschwaebische Nachrichten
Auf der Flucht vor den Flammen
Seit vielen Tagen brennt es nun schon. In den USA, in Russland, vor allem im Mittelmeerraum. Auch am Dienstag gehen dramatische Nachrichten und Bilder um die Welt. Auf der griechischen Insel Euböa ist die Lage besonders gefährlich – und ein Ende nicht in
Athen/Rom/München Der Dauereinsatz zehrt, macht einen fertig, physisch und psychisch. Nach einer Woche sind die Löschmannschaften und die ungezählten Freiwilligen auf der griechischen Insel Euböa am Ende mit ihren Kräften – die Feuer aber lodern weiter. Die Hilfe aus dem Ausland, sie ist in Griechenland gefragt. 20 Länder haben bereits Feuerwehrleute, Löschfahrzeuge, Flugzeuge und Hubschrauber geschickt oder zugesagt. Neben vielen EU-Staaten sind darunter Katar, Kuwait, Ägypten und die Ukraine. Und die Deutschen? Wo bleiben die Deutschen?
Sie sind auf dem Weg. Das sagt Ralf Ackermann, Präsident des hessischen Landesfeuerwehrverbands, am Dienstagabend. Er ist einer von mehr als 190 Katastrophenschützern, die in Richtung Athen aufgebrochen sind. Ackermann ist als Mitglied des hessischen Vorauskommandos seit Montag in der Stadt; die anderen haben am Dienstagmorgen Italien erreicht, am Mittwoch wollen sie mit ihren 34 Einsatzfahrzeugen mit der Fähre nach Griechenland übersetzen. Am Donnerstag werden sie vor Ort sein.
„Da die Lage in Griechenland weiterhin sehr dynamisch ist, ist noch keine finale Zuweisung zu einem bestimmten Einsatzgebiet erfolgt“, sagt Ackermann. Dass sie gebraucht werden, vor allem auf Euböa, daran besteht kein Zweifel.
Seit Tagen schon fressen sich gewaltige Feuerwalzen durch die Wälder im Norden der zweitgrößten griechischen Insel. Bis zum Montagabend gelang es den Einsatzkräften nicht, sie entscheidend einzudämmen. Am Dienstagmittag dann kommt es erneut zu einer Evakuierung: Die Bewohner von Istiaia und Asmini müssen ihre Dörfer verlassen. 873 Feuerwehrleute seien im Einsatz, heißt es, zudem 14 Löschhubschrauber.
Immer wieder kommt es zu solchen Rettungsaktionen. Wie in der Nacht zu Montag, in der sich besonders dramatische Szenen abspielten, als sich Bewohnerinnen und Bewohner vor den herannahenden Flammen an die Strände flüchteten. Fischerboote und Fähren nahmen sie auf – alle anderen Fluchtwege waren versperrt. Mehr als 40 Dörfer wurden auf der Insel geräumt, tausende Menschen wurden obdachlos. Sie zogen zu Freunden und Verwandten, wurden kostenlos in Hotels einquartiert oder schlafen auf Feldbetten in Sporthallen. Ob ihre Häuser noch stehen werden, wenn sie in ihre Dörfer zurückkehren?
Die Flammen sind nicht erloschen, schon wird in Griechenland über die Ursachen der Katastrophe diskutiert – und die Regierung des konservativen Premiers Kyriakos Mitsotakis gerät politisch unter Druck. Eine Fläche von mehr als 90000 Hektar dürfte bislang abgebrannt sein. Und dafür wird auch die Regierung verantwortlich gemacht.
Experten bemängeln seit Jahren, dass Griechenland nicht genug für die Brandvorsorge tue. Die meisten Wälder werden nicht bewirtschaftet – trockenes Gestrüpp und totes Geäst bieten dem Feuer reichlich Nahrung. Es fehlt an Wirtschaftswegen, auf denen die Feuerwehren in die Wälder gelangen könnten. Und weil es in ländlichen Gebieten nach wie vor kein flächendeckendes Netz freiwilliger Feuerwehren gibt, vergeht oft viel Zeit, bis Brände entdeckt und bekämpft werden.
Lange mussten Bewohnerinnen und Bewohner bedrohter Ortschaften auch auf Löschflugzeuge warten, mitunter vergeblich. Insbesondere auf Euböa ist der Vorwurf zu hören, die Regierung habe Löschflugzeuge im Norden Athens eingesetzt und die Insel ihrem Schicksal überlassen. Selbst die sonst regierungsfreundliche Zeitung To Vima kritisiert, die Regierung habe „zum ersten Mal stufenweise die Kontrolle verloren“.
Der Chef des griechischen Zivilschutzes, Nikos Chardalias, verteidigt sich: Starke Winde, extreme Rauchentwicklung und das schwierige Terrain hätten die Einsätze von Löschflugzeugen auf Euböa behindert. Man sei mit einer „extremen Lage“konfrontiert worden, die es so noch nie gegeben habe. 856 Brände seien in den vergangenen sieben Tagen ausgebrochen. Einerseits.
Andererseits: Bisher hat erst ein Mensch in den Flammen sein Leben verloren. Und das ist vor allem dem griechischen Alarmsystem zu verdanken. Meldungen werden als SMS und schrille akustische Signale auf Mobiltelefone verschickt. So können Betroffene lokal gezielt vor drohenden Gefahren gewarnt und Orte zur Evakuierung aufgefordert werden. Zugleich erhalten sie per Textnachricht präzise Angaben über sichere Fluchtrouten. Entwickelt wurde das Verfahren nach der Brandkatastrophe im Athener Vorort Mati, in dem vor drei Jahren über 100 Menschen starben. Premier Mitsotakis jedenfalls verspricht am Dienstagnachmittag, seine Regierung wolle den Wiederaufbau zerstörter Häuser mit bis zu 150000 Euro unterstützen. Betroffene könnten vom 18. August an einen Online-Antrag stellen. Er verspricht Soforthilfen von bis zu 20000 Euro – „mit einem Klick“. 1,7 Milliarden Euro sollen in die Neuorganisation des Zivilschutzes investiert werden.
Immer wieder flammen während heißer Sommer in Griechenland Brände auf. Aber so verheerend wie jetzt wüteten sie nie.
Der griechische Geowissenschaftler Costas Synolakis meint, die Hitzewellen und Feuerstürme in den Mittelmeerländern, wie auch der Dauerregen und die Flutkatastrophen in Mitteleuropa, seien Ergebnis der globalen Erwärmung. „Unser Klima kippt.“Die Worte „extrem“und „historisch“hört man gerade häufiger, in diesen Tagen, in denen die Welt brennt. Deutschland erreichen Katastrophen-Bilder aus der Türkei, aus Italien, Algerien, den USA, Chile und Russland.
Während sich die Lage in der Türkei etwas entspannt, setzt der russische Staatspräsident Wladimir
Putin am Dienstag weitere Einsatzkräfte in Bewegung. Nach Angaben der Forstschutzbehörde gibt es in seinem Land etwa 270 Waldbrände – auf einer Gesamtfläche von 3,4 Millionen Hektar. Naturschützer sprechen von einer deutlich größeren Fläche. In den USA hat sich alleine das „Dixie Fire“zum zweitgrößten Waldbrand in der Geschichte des US-Bundesstaats Kalifornien entwickelt. Es brach Mitte Juli aus – zehntausende Menschen mussten vor ihm fliehen. Die Los Angeles Times berichtet, dass es sich am Montag auf einer Fläche von fast 200000 Hektar ausgebreitet habe und erst zu 21 Prozent eingedämmt sei. Es werde Wochen dauern, bis es unter Kontrolle sei. Gouverneur Gavin Newsom spricht von „klimabedingten Waldbränden“.
Es sind Nachrichten und vor allem Zahlen, die kaum fassbar sind, aber vielleicht besser einschätzbar, wenn man sie mit dieser Zahl vergleicht: In Deutschland war, so das Umweltbundesamt, im vergangenen Jahr eine Fläche von 368 Hektar von Waldbränden betroffen, die meisten in Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. 368 Hektar – das sind immerhin 515 Fußballfelder.
Die aktuelle Hitze, die Brände, auch die Flutkatastrophe im Westen Deutschlands können jeweils noch nicht direkt auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Dass sie extreme Wetterereignisse sind, und dass extreme Wetterereignisse künftig durch den Klimawandel wahrscheinlicher werden – das ist Konsens unter Forscherinnen und Forschern.
Wissenschaftler wie Matthias Garschagen warten mit ihren Bewertungen einzelner Extremwetterereignisse, bis ihnen ausreichend Fakten vorliegen. Wie im Falle der Hitze und der Brände in den USA und Kanada im vergangenen Juni und Juli. Diese wären „ohne den Klimawandel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich gewesen“, sagte Garschagen vor wenigen Wochen im Gespräch mit unserer Redaktion.
Der Professor an der LudwigMaximilians-Universität München ist einer der führenden Klimaforscher Deutschlands und für den Weltklimarat tätig. Der warnte nun in einem alarmierenden Bericht davor, dass sich die menschengemachte Erderwärmung beschleunige. Wenn nicht schnell gehandelt werde, erreiche die globale Mitteltemperatur
in den kommenden 20 Jahren einen Wert von mindestens 1,5 Grad Celsius über der Temperatur der vorindustriellen Zeit. Die Folge: mehr Extremwetterereignisse. Mehr Hitze, mehr Dürre, mehr Waldbrände, mehr Starkregen, mehr Fluten. „Klimawandel“ist zu einem viel zu harmlosen Wort geworden, es ist eine „Klima-Krise“, eine „Klima-Katastrophe“.
1,5 Grad. Noch so eine abstrakte Zahl. Matthias Garschagen holt sie in den Bereich des Vorstellbaren: Wenn sich die Erde auf 2 Grad erwärme, könne das Extremwetterereignis in Nordamerika vom Juni und Juli mit Temperaturen um die 50 Grad, das statistisch gesehen einmal pro Jahrtausend auftreten könne, sehr viel häufiger auftreten – „vielleicht sogar alle fünf bis zehn Jahre“. So lautet seine Erklärung.
Schwer betroffen sein wird von den Extremwetterereignissen der Mittelmeerraum. Eine Ahnung davon bekommen die Menschen auf der griechischen Insel Euböa oder in den italienischen Waldbrandgebieten an der Stiefelspitze, in Kalabrien oder Apulien schon jetzt. Am Dienstag besteht auf den Inseln Sizilien und Sardinien erhöhtes Brandrisiko. „Il grande caldo“wird dort die für die nächsten Tage erwartete Hitzewelle genannt. Für die Hauptstadt Rom wurden 38 Grad prognostiziert, auf bis zu 45 Grad sollen die Temperaturen im Süden des Landes steigen. Der italienische Zivilschutz
Der griechische Premier verspricht schnelle Hilfen
Der deutsche Helfer wartet auf seinen Einsatz
zeigt sich besorgt. Denn seit Wochen fällt kein oder kaum Regen. Ein Ende der Feuer, die in vielen Fällen auch von Menschen gelegt wurden, ist nicht in Sicht. Zwischen dem 15. Juni und dem 7. August meldete die Feuerwehr knapp 44500 Einsätze – im vergangenen Jahr waren es im selben Zeitraum etwas mehr als 26000. Besonders betroffen: das schwer zugängliche Aspromonte-Gebirge in Kalabrien bei San Luca.
Hier brennen seit Tagen Wälder. In akuter Gefahr schwebt ein kürzlich in das Unesco-Welterbe aufgenommener Buchenwald, die „Foreste Vetuste“. Leo Autelitano, Präsident des Naturschutzgebiets Aspromonte, bat Ministerpräsident Mario Draghi um Hilfe. „Wenn notwendig, bitten wir auch um den Einsatz des Militärs, um gegen diesen katastrophalen Notstand anzugehen“, schrieb er in einem Appell. „Es ist ein Kampf gegen die Zeit.“Am Dienstagnachmittag erklärt er, die Flammen seien bis auf einen Kilometer vor einen der wichtigsten Schätze der Artenvielfalt im Park vorgerückt. Sein Appell, nun noch dramatischer: „Wir brauchen dringend Flugzeuge an allen Fronten, sonst wird der ganze Park in einer beispiellosen Katastrophe verbrannt sein.“
Der Kampf gegen die Flammen ist ein Kampf gegen die Zeit – ebenfalls in Griechenland. Auf Euböa ist mittlerweile derart viel Wald verbrannt, dass die Feuer an zahlreichen Stellen keine Nahrung mehr finden und von selbst verlöschen. Die Feuer nördlich der Hauptstadt Athen waren am Montag bis auf wenige Brandnester gelöscht; bei den Bränden auf der Halbinsel Peloponnes zeichnete sich am Montag eine leichte Entspannung ab, am Dienstag flammten sie neu auf. Damit trat genau das ein, was die Einsatzkräfte befürchtet hatten: Dass auffrischende Winde die Situation verschärfen.
In Athen ist es am Dienstagabend noch heiß, um die 35 Grad. Kein Lüftchen weht. Ralf Ackermann, Präsident des hessischen Landesfeuerwehrverbands und Mitglied des hessischen Vorauskommandos, weiß, was ihn und die anderen deutschen Einsatzkräfte in den nächsten Tagen erwartet. Es ist nicht seiner erster Auslandseinsatz. „Es ist ein Ausmaß, das wir in Deutschland noch nicht hatten“, sagt er.