Mittelschwaebische Nachrichten
„Die Airlines könnten die Umwelt sofort entlasten“
Die Pandemie hat den Flugverkehr zunächst fast zum Erliegen gebracht. Inzwischen sieht es so aus, als ob die Airlines so weitermachen wollen wie früher. Aber können wir uns das angesichts des Klimawandels leisten? Luftfahrt-Experte Dieter Scholz spricht ü
Herr Professor Scholz, der Luftverkehr macht gerade mal 2,4 Prozent aller menschengemachten CO2-Emissionen aus. Wie relevant ist das überhaupt? Dieter Scholz: 2,4 Prozent klingt nach wenig. Aber das liegt daran, dass die meisten Menschen auf der Erde so arm sind, dass sie noch nie mit einem Flugzeug fliegen konnten. Trotzdem ist der Luftverkehr seit seinen Anfängen vor dem Zweiten Weltkrieg exponentiell gewachsen, das Verkehrsaufkommen hat sich alle 15 Jahre verdoppelt, der CO2-Ausstoß alle 20 Jahre. Das CO2 sammelt sich aber in der Atmosphäre an und bleibt dort für mehrere hundert Jahre. Es gibt Kipp-Punkte. Werden diese erreicht, dann wird eine Kettenreaktion ausgelöst und das Klima kippt genauso wie eine Reihe Dominosteine.
Aber hat nicht auch der Straßenverkehr großen Anteil an den Emissionen? Scholz: Das stimmt. Aber der Straßenverkehr gehört einfach zur täglichen Fortbewegung, während Flüge im Vergleich dazu immer noch besondere Einzelereignisse im Leben sind. Trotzdem hat die Verkehrsluftfahrt einen Anteil von 13,9 Prozent an den Treibgasemissionen in Europa. Das liegt auch an den hohen Fluggeschwindigkeiten, die lange Strecken in begrenzt verfügbarer Zeit ermöglichen. Mit keinem anderen Verkehrsmittel erzeugen wir in einer Stunde pro Person so viele Emissionen wie mit dem Flugzeug. Ein voll besetzter Pkw verbraucht deutlich weniger pro Person als ein voll besetztes Flugzeug. Nur wenn man im Pkw allein unterwegs ist, wäre das Flugzeug beim Energieverbrauch günstiger. Aber beim Flugzeug müssen auch die NichtCO2-Effekte berücksichtigt werden. Für das Klima wäre daher der Pkw immer noch besser, selbst wenn er nur von einer Person genutzt wird.
Was sind denn Nicht-CO2-Effekte? Scholz: Die Nicht-CO2-Effekte (durch Stickoxide und Kondensstreifen) ergeben sich zusätzlich zum Treibhauseffekt des CO2. Ihre Wirkung ist zeitlich begrenzt, aber dafür intensiv. Da gibt es die wärmende Wirkung der Stickoxide (NOX) auf die komplizierte Chemie der Atmosphäre. Weiter gibt es die insgesamt wärmende Wirkung der Kondensstreifen und der Zirren, die sich aus den Kondensstreifen bilden können. Man spricht von Aviation-Induced Cloudiness (AIC). AIC wirkt unterschiedlich am Tag und in der Nacht, im Sommer und im Winter, am Äquator und am Pol. Die Auswirkung der Nicht-CO2-Effekte der Luftfahrt ist etwa doppelt so groß wie die Wirkung des CO2. Die gesamte Klimawirkung ist also dreimal so groß wie die des CO2 allein.
Ist das auch von der Flughöhe abhängig? Scholz: Ja. In etwa zehn Kilometern Höhe ist die Wirkung der AIC besonders hoch. Das ist etwa dort, wo die Passagierflugzeuge ihre Bahnen ziehen. AIC könnte daher ganz vermieden oder stark reduziert werden, wenn etwas tiefer (und langsamer) geflogen würde. Der Kraftstoffverbrauch und damit die CO2-Emissionen würden allerdings leicht ansteigen. Die Umweltwirkung des Luftverkehrs könnte so aber sofort erheblich vermindert werden.
Warum zieht die Luftfahrt daraus keine Konsequenzen?
Scholz: Grundsätzlich sind die Zusammenhänge bekannt. Leider verweigern sich die Airlines mit den Worten „hierzu bedarf es jedoch noch weiterer Forschungsarbeiten“. Das Verhalten ist nachvollziehbar, es geht hier nicht um Absichtserklärungen für das Jahr 2050, sondern um jetzt und heute. Aber es kostet Geld – wenn auch nur ganz wenig. Selbst tragen wollen die Airlines die Kosten nicht. Also müssten sie sie an die Passagiere weitergeben. Im harten Wettbewerb würde die Airline im Nachteil sein, die die Maßnahme zur AIC-Minderung anwendet. So wird noch lange auf die letzten Ergebnisse der Forschung gewartet werden. Eine Chance wird verpasst.
Eine andere Möglichkeit, Emissionen zu verringern, sind regenerative Energien …
Scholz: Unter zunehmendem Druck der Umweltaktivisten propagiert die Branche das Konzept „Zero Emission“, was oft nur für „CO2-frei“steht. Dieses Ziel soll bis 2050 erreicht werden. Wichtig ist dabei auch, dass der Schadstoffausstoß auf dem Weg dahin jedes Jahr reduziert wird. Bei den regenerativen Energien geht es um Strom aus Wind, Biomasse, Sonne und Wasserkraft. In Deutschland scheidet die Atomenergie als Energielieferant für die Luftfahrt aus. Wasserstoff oder synthetisches Kerosin müssten mithilfe von Ökostrom erst erzeugt werden.
Das klingt kompliziert?
Scholz: Über die Jahre gab es schon viele Vorschläge, wie die Luftfahrt ohne fossile Kraftstoffe auskommen und klimaschonender werden könnte – etwa mit Algenkraftstoff. Aber der Prozess benötigt zu viel Energie. Aufgegeben wurde auch das Projekt von Airbus, ein Triebwerk eines vierstrahligen Passagierflugzeugs versuchsweise auf Elektroantrieb umzurüsten. Nun werden hybridelektrisch betriebene Passagierflugzeuge diskutiert. Doch durch die komplizierte Antriebstechnik steigen Kosten und Gewicht.
Und was ist mit Wasserstoff?
Scholz: Mittels Ökostrom und Elektrolyse soll Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt werden. Der Wasserstoff soll bei ca. minus 250 Grad Celsius flüssig als Liquid Hydrogen in speziellen Tanks im Flugzeug transportiert werden. LH2 kann dann in nur leicht modifizierten Stahltriebwerken genutzt werden. Airbus hofft, bis 2035 ein mit LH2 betriebenes Flugzeug anbieten zu können. Aber aufgrund der Nicht-CO2-Effekte ist der Einfluss von Wasserstoffflugzeugen auf das Klima ähnlich wie bei kerosinbetriebenen Flugzeugen.
Gibt es denn überhaupt eine umweltfreundliche Lösung?
Scholz: Für die Herstellung von LH2 oder von E-Fuels kann man sich nicht den sauberen Strom aus dem Netz heraussuchen und den dreckigen Strom anderen überlassen. Es muss der Strommix betrachtet werden. Heute kann mit E-Fuels kein CO2 eingespart werden. Damit ist auch die Klimawirkung von Flugzeugen mit E-Fuels nicht besser als bisher – möglicherweise schlechter. Das könne sich zwar im Lauf der Jahre ändern, wenn der Anteil fossiler Energien weniger wird. „Zero Emission“wäre aber selbst 2050 noch eine Utopie.
Was bringt dann die Forschung nach alternativen Energiequellen?
Scholz: Wasserstoff (LH2) und synthetisches Kerosin (E-Fuel) ermöglichen es, weiterhin zu fliegen, wenn die fossilen Kraftstoffe ausgehen. Durch die Umwandlungsverluste (insbesondere bei den E-Fuels) wird aber viel Ökostrom benötigt, was sich bei den Energiekosten bemerkbar machen wird. LH2 hat für das Klima den Vorteil, dass sich direkt keine CO2-Altlasten mehr ansammeln (außer über den Strommix).
Sie sprechen von Ökostrom für die E-Fuels. Woher soll der kommen? Scholz: Erforderlich ist zusätzlicher regenerativer Strom. Der kann aber nicht aus Deutschland kommen, weil deutscher Ökostrom schon für den Atomausstieg und den Ausstieg aus der Kohleverstromung gebraucht wird. Die Luftfahrt müsste daher eigene regenerative Energiequellen finden. Zertifizierter Ökostrom aus der Wüste wäre eine Möglichkeit. Für die Versorgung wären allerdings unvorstellbar große Mengen an Ökostrom erforderlich. Für die täglich einmalige Betankung eines Airbus A350 etwa müssten 52 der größten existierenden Windräder eingeplant werden.
Macht es einen Unterschied, in welcher Klasse wir fliegen?
Scholz: Ja, es geht darum, wie viel Kabinenfläche wir verbrauchen. Wer also in der ersten Klasse fliegt in breitem Sitz und mit viel Beinfreiheit, der nutzt mehr Kabinenfläche und auf den entfällt auch ein höherer Verbrauch als auf die Person, die sich in die Touristenklasse gezwängt hat. Auf Flüge in der ersten Klasse könnten dann zusätzliche Abgaben erhoben werden. Das könnte dazu führen, dass die Nachfrage sinkt, diese Klasse verkleinert wird, mehr Passagiere in ein Flugzeug passen und so weniger Flugzeuge fliegen müssen und die Emissionen sinken.
Wie verhält es sich mit Kurz- und Langstreckenflügen?
Scholz: Der Verbrauch pro Sitzplatz und Kilometer steigt stark an, wenn sehr kurz oder für das Flugzeug sehr lange Strecken geflogen werden. Extreme Reichweiten kann ein Flugzeug nur schaffen, wenn es mit reduzierter Nutzlast (mit wenigen Passagieren) und damit leichter betrieben wird. Dadurch steigt der Verbrauch pro Person. Das Hauptproblem der Langstrecke ist aber einfach der hohe absolute Kraftstoffverbrauch durch die große Entfernung.
Also möglichst keine Kurzstreckenflüge oder gleich umsteigen in den Zug? Scholz: Das ist sicher eine Alternative, aber eben nicht immer. Ozeane und Wüsten überqueren wir am besten mit dem Flugzeug. Oft sind die Bahn-Tickets zu teuer. Auch fehlen günstige Nachtverbindungen. Insbesondere im internationalen Bahnverkehr besteht noch erhebliches Verbesserungspotenzial. Tatsache aber ist, dass beim Flugzeug fast die Hälfte des Kraftstoffes verbraucht wird, um das Flugzeug erst einmal in der Luft zu halten. Der Zug profitiert beim Strommix vom steigenden Ökostromanteil.
Gibt es denn überhaupt so etwas wie Zukunftsvisionen im Luftverkehr? Scholz: Einfache Lösungen gibt es nicht. Aber die heute noch erdölexportierenden Länder könnten sich beispielsweise auf die Erzeugung von öko-zertifizierten E-Fuels verlagern. Hier könnten sich die Airlines versorgen. Entsprechende Angebote sind aber noch nicht in Sicht und die politischen Umstände sind risikobehaftet. Fest steht: Ohne eine Reduktion der Passagierzahlen kann die Luftfahrt ihre Klimaziele nicht erreichen. Patentlösungen gibt es nicht. Die Hoffnung, dass es die Technik schon richten wird, ist leider unbegründet.
Bleibt nur der Verzicht?
Scholz: Nein, das wäre auch falsch. Aber ein Umdenken ist sicher nötig. Es sind vor allem die Vielflieger, die für einen überproportionalen Anteil der Emissionen verantwortlich sind. Vielfliegerprogramme mögen für die Fluggesellschaften Kundenbindung bringen, sind aber in Zeiten des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß. Im Extremfall führen sie zu suchtartigem Verhalten, wenn „Mile Runners“ihr Selbstwertgefühl mit ihrem Vielfliegerstatus aufwerten wollen. Der Staat könnte solche Auswüchse durch Steuern und Abgaben lenken.
Und was ist mit der Flugscham? Scholz: Der Begriff hat sich zwar etabliert, hat aber eher wenig mit dem persönlichen Gewissen als vielmehr mit einem Verständnis der Zusammenhänge und einem Wertewandel innerhalb der Gesellschaft zu tun. Und der ist auch eine Folge des Klimawandels. Reisen in ferne Länder werden nicht mehr automatisch Anerkennung hervorrufen.
Haben Sie denn konkrete Vorschläge, die von jedem umsetzbar sind außer „weniger fliegen“?
Scholz: Direktflüge sind besser als solche mit Umwegen und vielen Zwischenstopps. Für Kurzstrecken ist die Bahn eine gute Alternative. Hilfreich wäre es, in der Touristenklasse zu fliegen, weil da der Platzverbrauch geringer ist. Die meisten Airlines fliegen ähnlich gute Flugzeugtypen. Wählen Sie eine Airline, die eine enge Bestuhlung hat und bekannt dafür ist, dass sie die Sitze füllt. Sie können auch weniger Gepäck mitnehmen. Jedes Kilogramm zählt, aber die Wirkung ist vergleichsweise gering. Letztlich geht es um die großen politischen Rahmenbedingungen. Die EU macht Druck mit dem „Green Deal“. Bleibt zu hoffen, dass auch gehandelt wird, möglichst bevor das Klima kippt. Interview: Lilo Solcher
Dieter Scholz, 60, ist Professor für Flugzeug entwurf, Flugmechanik und Flugzeugsysteme an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.