Mittelschwaebische Nachrichten
Sie ist die Ulmer Bierkönigin
Wirtschaft Seit 30 Jahren steht Ulrike Freund an der Spitze der Brauerei Gold Ochsen. Zum Jubiläum spricht sie über ihre Rolle als Frau in einer vermeintlichen Männer-Domäne, Sexismus, Gerstensaft – und über ihre Nachfolge
Ulm Ulrike Freund war 36 Jahre alt, als sie vor drei Jahrzehnten von ihrem Vater das Ruder der 1597 gegründeten Brauerei übernahm. Damals ein Kuriosum in einer seit Jahrhunderten männlich dominierten Branche. „Ich erinnere mich durchaus an die ein oder andere Situation, in der mein Auftreten zu Irritation auf der – männlichen – Gegenseite führte.“Eine Situation ist der Brauereichefin besonders in Erinnerung geblieben.
Freund war vor Jahren mit einem – mittlerweile im Ruhestand befindlichen – Prokuristen der SoftdrinkTochter Ulmer Getränke Vertrieb auf einem Kundentermin. Dass eine Frau an der Spitze einer traditionsreichen Brauerei steht, passte ganz offensichtlich nicht in die Welt ihres Gegenübers: „Nachdem der Fokus im Vorfeld die meiste Zeit auf meinem männlichen Kollegen lag, fragte der Kunde dann irgendwann am Verhandlungstisch, ob ich die Sekretärin wäre.“Freund nahm es – wie es ihre Art ist – mit Humor. Zumal der Fauxpas dem Gegenüber „sichtlich peinlich“gewesen sei. Die anschließenden Vertragsabschlüsse seien davon nicht gestört worden. Vorkommnisse wie dieses gehörten aber eher zur Ausnahme. Ihr Motto: „Machen statt reden.“
Neuere Statistiken über Frauen in der Bierbranche gibt es nicht. Klar scheint dennoch beim Blick auf bekannte Häuser: Insbesondere in Leitungspositionen sind Frauen selten. Freunds Rat an Frauen in Männerdomänen: „In erster Linie darf man sich nicht einschüchtern lassen.“Eine gehörige Portion Selbstvertrauen sei da sicher hilfreich. Dieses wurde ihr in die Wiege gelegt, wie ein Blick auf die (Familien-) Geschichte der Traditionsbrauerei zeigt.
Denn in den Chroniken der Familie Leibinger und der Brauerei Gold Ochsen ist eine Frau an der Spitze nämlich kein gänzlich ungewohntes Bild, wie Freund erzählt. So nahm ihre Urgroßmutter nach dem Tod des Mannes zusammen mit ihrem Schwager die Zügel der Brauerei in die Hand. „Neu ist jetzt eigentlich nur die Dauer, und ich bin natürlich stolz darauf, dass es mir gelungen ist, die Geschicke der
Brauerei über 30 Jahre erfolgreich zu lenken.“Letztlich gehe es nur darum, was „g’schafft“wird. Eine Feministin ist Freund nicht, eine strukturelle Benachteiligung von Frauen mag die Unternehmerin nicht erkennen, eine Frauenquote lehnte Freund in der Vergangenheit öffentlich ab: „Ich bin davon überzeugt, dass man sich – egal ob als Mann oder als Frau – Respekt vor allem mit Engagement für die Sache verdient.“Eigentlich hatte sich Freund ihre berufliche Laufbahn ganz anders vorgestellt. Denn die Ulmerin ist gelernte Bankkauffrau. 1978 zog Freund für sieben Jahre nach München, war für Banken tätig und absolvierte parallel dazu ein Abendstudium an der Verwaltungsund Wirtschaftsakademie. „Meine Rückkehr nach Ulm war dann eher ein Ergebnis der Umstände.“Die persönliche Situation spielte eine Rolle. Während ihrer Zeit in München gründeten viele der alten Jugendfreundinnen eine Familie. „Da kommt man automatisch an den sich zu fragen, wie es mit einem selbst weitergehen soll.“Freund entschied sich für die Familienwurzeln, zumal ihr Vater August Leibinger seiner Tochter einen reizvollen Weg im Traditionsunternehmen aufzeigte. So trat Freund am 1. Januar 1985 in die Brauerei ein und erfüllte zunächst die Aufgabe der Revision. Drei Jahre später folgte der Ritterschlag zur inoffiziellen Bierprinzessin: 1988 erhielt sie Prokura, also die handelsrechtliche Vollmacht, alle Arten von Rechtsgeschäften für den Betrieb vorzunehmen. 1991 ernannte der Vater – in der Firma wie ein Monarch mit August III. betitelt – seine Tochter dann zur alleinigen Geschäftsführerin, der Bierkönigin.
Wenn sich die Firmenpatriarchen in schöner Regelmäßigkeit bei ihren Ehefrauen bedanken, dass sie ihnen „den Rücken freihalten“, ist es bei den Freunds umgekehrt. „Ich bin meinem Mann sehr dankbar, dass er das alles mitträgt und mich seit jeher unterstützt und begleitet“, sagt
Freund über ihren Ekkehard. Viel Zeit für ein Privatleben bleibt aber nicht. „Ich lebe für die Firma – privat wie unternehmerisch.“Das Paar ergänze sich privat wie fachlich, Ekkehard Freund ist Jurist und berate in rechtlichen Fragen.
Kinder hat diese Ehe nicht hervorgebracht. Und so stellte sich in der Mitte des siebten Lebensjahrzehnts automatisch die Frage der Nachfolge. Eilig hat es Freund nicht, sie spricht lediglich von „Ideen“, die keine konkreten Pläne seien. Um dann klipp und klar zu manifestieren: „Im Moment ist Aufhören für mich noch keine Option. Es macht mir Spaß und gleichzeitig würde mir ohne die Arbeit viel zu viel fehlen.“Nichtsdestotrotz mache sie sich „natürlich Gedanken“und spiele bereits unterschiedlichste Möglichkeiten durch. Dazu gehöre wie bei jeder anderen Entscheidung die Betrachtung, wie sich der jeweilige Entschluss auf lange Sicht auswirkt. „Das Wohl der Brauerei ist in dem Zusammenhang das allesentPunkt, scheidende Kriterium.“Dabei geht es ihr auch um die Hülle aus Stein der Brauerei: Neben Personalfragen widmet sich Freund gerne dem Thema Bauen. Für die Sanierung der Brauerei habe die Firma zuletzt viel Geld in die Hand genommen. „Maschinell waren wir ja – nicht zuletzt dank meines Vaters – schon immer gut aufgestellt.“Aber die optischen Verschönerungen seien ihr Werk. „In den letzten Jahren ist die Brauerei zum ‚Schmuckkästle‘ geworden.“
Jeden Tag spüre sie die Last der Verantwortung: „Schließlich steht mein Schreibtisch nicht in ‚irgendeiner‘ Firma, sondern in einem Unternehmen, das zu den ältesten meiner Heimatstadt Ulm zählt.“Seit 1867 liegt es in den Händen der Familie Leibinger. Rückschläge blieben nicht aus. Freund nennt an erster Stelle den Großbrand im Jahr 2003 und die Kündigung der PepsiKonzession nach fast einem halben Jahrhundert vor acht Jahren. Beide Krisen wurden im Ordner „überstanden“abgeheftet.
„Gold Ochsen hat sich seit 400 Jahren einem Kulturgut verschrieben – denn nichts anderes ist Bier“, sagt Freund. Das gebe Zuversicht und Sicherheit. Zur Kultur gehört auch die Gastronomie, die pandemiebedingt zuletzt für satte Umsatzdellen sorgte. Ein eigenes „Brauerei-Gasthaus“plane Gold Ochsen allerdings nicht. Bis in die Nachkriegszeit hatte die Brauerei einen eigenen Ausschank. Allerdings wurde dieser geschlossen – nicht zuletzt aus Rücksicht auf regionale Gastronomiepartner. „Hier sollte keine Konkurrenzsituation entstehen. Wir konzentrieren uns lieber auf unsere Kernkompetenz – die Bierherstellung.“
Auch wenn diese Fertigkeit zunehmend weniger Alkohol hervorbringt. Gold Ochsen verzeichne nämlich zweistellige Wachstumsraten bei den alkoholfreien Sorten. Und was landet bei den Freunds auf dem Tisch, wenn es mal kein Gold Ochsen ist? Die Frage nach ihrem Lieblingsbier aus einer anderen Brauerei überhört Freund geflissentlich. Und antwortet wie ein Marketingprofi: „Je nach Anlass findet sich in unserem umfangreichen Portfolio immer die passende Biersorte.“Na denn – Prost.