Mittelschwaebische Nachrichten
Unerwartet Fotomodell
Leben Die Trennung von seiner Frau zog Gunnar Felgentreu aus Memmingen zuerst den Boden unter Füßen weg. Gleichzeitig startete sie einen Wandel, der ihn bis vor die Kamera brachte
Memmingen Der lange, graue Bart ist ein Symbol seines Wandels. Von einem gut, aber eher durchschnittlich gekleideten und rasierten Geschäftsmann zu einem auffälligen Typen, der auf der Straße, beim Einkaufen, an der Ampel angeschaut wird. Vom Sales- und Accountmanager einer IT-Beratungsfirma, der er auch immer noch ist, zum nebenberuflichen Fotomodell. Gunnar Felgentreu, 64, aus Memmingen-Eisenburg. Künstlername: Gunnar von Graubart. Der Bruch seiner Ehe vor sechs Jahren hat ihn dorthin gebracht, wo er heute ist. „Ich habe lange gebraucht, um aus dem Sumpf herauszukommen.“Ihm sei klar gewesen, dass er Zufriedenheit erreichen müsse, bevor er etwas Neues anfängt. „Solange ein quälender Gedanke da ist, ein Groll auf jemanden, der einen verletzt hat, kommst du nicht nach vorne. Und ich hatte mir vorgenommen: Bis ich etwas Neues anfasse, muss das geklärt sein. Muss ich mir sagen können: Du bist mit dir im inneren Frieden. Den Punkt habe ich erreicht, das hat knapp zwei Jahre gedauert.“Seine Veränderung sei enorm, aber nicht geplant gewesen. Zu seinem inneren Wandel gehöre es, „Dinge, an denen ich Spaß habe, einfach zu tun“, mehr als in seinem früheren Leben. „Ich überlege mir aber nicht: Wie kann ich Aufsehen erregen? Das ist nicht mein Ziel.“Dennoch passiert es, etwa wenn er ausgefallene Kleidung trägt – was zu seinem äußeren Wandel gehört. So sind in seinem Schrank Anzüge zu finden von knallrot-kariert bis grellgrün-gestreift. Und ein Schottenrock. Und das alles trägt Gunnar Felgentreu gern. Den Schottenrock etwa trug er in der Vox-Sendung
„First Dates - ein Tisch für zwei“mit Roland Trettl. Tätowierungen trägt er auch. Für seine erste fuhr er nach Berlin, eine Stadt, die er besonders mag. Und während die Nadel die Farbe in die Haut trieb, habe ihn die Tätowiererin gefragt, ob er Model sei. Er: „Nein.“Sie: „Du musst modeln.“Ein paar Wochen später fuhr er in den Urlaub. „Da habe ich den Bart wachsen lassen, weil ich zu faul war, mich zu rasieren.“Weitere Wochen später war er wieder in Berlin, wieder zum Tätowieren. Eine seiner beiden Töchter war dabei. An einer Fußgängerampel entdeckte sie Rolf Scheider. Er war Jurymitglied der Pro7-Castingshow Germany’s Next Topmodel mit Heidi Klum. Und er ist Casting Director, also einer, der zum Beispiel markante Menschen für Werbefotos und -filme sucht. Von dem wollte Felgentreus Tochter unbedingt ein Autogramm haben. Aber bevor sie Rolf Scheider fragen konnte, sprach der ihren Vater an: „Dich brauche ich in meiner Agentur.“„Ein paar Tage später bin ich bei ihm im Studio gestanden, da sind die ersten Aufnahmen gemacht worden. Und dann ist das seinen Lauf gegangen.“
Heute ist er in fünf Agenturen gelistet, in Köln, Hamburg, Berlin und München. Zu sehen war er unter anderem in Werbekampagnen der Stadtwerke München, eines E-Bike-Herstellers und eines DesignMöbel-Händlers. „Mein schönster Auftrag bisher war die Rolle des Weihnachtsmanns für einen BMWSpot.“Nicht nur für Werbung stellt sich Gunnar Felgentreu vor die Kamera. Sondern auch für die Kunst, die er zusammen mit Fotografen in Form seiner Bilder erzeugen will. Zum Beispiel mit dem Prominentenund Starfotografen Frank Altmann
aus Berlin, den er über Beziehungen kennengelernt hat. Viele Hollywoodstars hat der schon porträtiert: Mel Gibson, Angelina Jolie, Keanu Reeves etwa. Und Johnny Depp, den er als letzten Superstar fotografierte, bevor er zum ersten Mal Gunnar Felgentreu vor die Kamera holte. Wenn der in Prominentenkreisen bekannte Fotograf Lust auf ein bestimmtes Thema hat, das er gern in Bildern umsetzen möchte, kann es sein, dass er das Modell aus Memmingen anruft und vor die Linse bittet. Mittlerweile ist zwischen beiden eine fast freundschaftliche Beziehung entstanden. Eine Herzensangelegenheit von Gunnar Felgentreu war das Fotoprojekt im vergangenen Jahr in der alten Heilstätte Grabowsee nördlich von Berlin. Die war auch Szenerie für den US-Film The Monuments Men mit George Clooney, Matt Damon, Bill Murray und anderen Hollywoodstars. „Wir sind dafür ins Filmstudio Babelsberg in Potsdam gefahren, haben uns Kleider geliehen, wie sie vor 100 Jahren getragen worden sind, und haben eineinhalb Tage Fotos gemacht.“Die Idee dazu stammt aus der TV-Dramaserie Peaky Blinders, die im England der 1920er- und 1930er-Jahre spielt.
Kunst entstand auch im Memminger Hallenbad, in dem er im Mai mit einem Fotografen aus Tübingen arbeiten durfte. Zuerst irritiert davon, dass kein Wasser in den Becken war, und dann begeistert von der besonderen, fast schon lost-placeartigen Kulisse. „Da sind Bilder entstanden, die sind sagenhaft.“Eine Auswahl seiner Werke will er bald ausstellen: in Memmingen, Hamburg und Berlin.
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Fotos von Gunnar Felgentreu sind auch auf Instagram zu sehen: gunnar.von.graubart