Mittelschwaebische Nachrichten
„Unsterblich werden – und dann sterben“
Unvergesslich war Jean-Paul Belmondo schon mit 26, in Godards „Außer Atem“. Aber da begann sein bewegtes Leben ja erst richtig, das ihm manchen Schlag versetzte und nun mit 88 Jahren endete. Was machte ihn so besonders?
Um seinen Mythos zu erklären, muss man nur die Anfangssequenz von „Außer Atem“sehen; ein einziges Mal reicht schon.
Paris 1959, es ist zehn vor Elf. Jean-Paul Belmondo klaut ein Auto, fährt aus der Stadt aufs Land hinaus, wird verfolgt und gestellt, erschießt einen Polizisten und rennt über die Felder davon. Alles geht so schnell. Da ist Jean Seberg. Sie verkauft Zeitungen auf den Champs-Elysées, und Belmondo fragt sie, ob sie heute Abend mit ihm schlafen wolle. „Ich will mit dir schlafen, weil du schön bist.“– „Bin ich nicht.“– „Dann, weil du hässlich bist.“Da ist JeanPierre Melville, der den Schriftsteller Parvulesco spielt. Als Seberg ihn fragt: „Was wollen Sie?“, antwortet er: „Unsterblich werden – und dann sterben.“Schon nach den ersten Szenen sind alle außer Atem, die Schauspieler, die Zuschauer, und als Belmondo dann mit einer Kugel im Rücken auf dem Pflaster zusammenbricht, bläst er noch eine Rauchwolke aus, wie eine Pistole nach dem Schuss. Unsterblich werden und dann sterben: Das dauerte atemberaubende 90 Minuten. Am Ende war Belmondo ein Star, der Regisseur Luc Godard ein Genie und der Film ein zeitloser Klassiker.
Wer möchte, kann ihn mit dem Re-Make aus dem Jahr 1983 vergleichen, in dem die Handlung nach Los Angeles transformiert wurde. Amerika kontra Frankreich. Richard Gere versus Jean-Paul Belmondo. Der Beau gegen „die Fresse“(so nannten sie ihn tatsächlich). Auch hier ging es um Autos, eine junge Schöne, witzigerweise eine Studentin aus Frankreich (Valéry Kaprisky) und als moderne Note um Rock’n’Roll. Es bedeutete Richard Geres Durchbruch, weil der Stoff einfach zu gut war, um ihn an die Wand zu fahren. Aber der Drive und die Schnappatmung entstanden hauptsächlich wegen des Soundtracks mit den Pretenders, Brian
Eno, Jerry Lee Lewis, Mink de Ville und Link Wray. Im Ernst: Gere kann einfach keinen Bullen umnieten, das wirkte auch in seinen späteren Filmen eher unglaubwürdig. Belmondo schon.
Der Kerl war vieles; halb Bogart, halb Brando. Ein Gesicht, wie es kein zweites gab. Warum kam eigentlich nie jemand auf die Idee, ihn für die Rolle des James Bond ins Spiel zu bringen? Weil Jean Paul Belmondo, sein ganzer Zauber, seine Körperlichkeit, seine perfekte Balance zwischen Brutalität und Sex-Appeal, seine immer spürbare Melancholie, die bei anderen wie eine mühsam zurechtgelegte Schutzhülle angemuteten, aber bei ihm echt und authentisch wirkten, nur im Frankreich der 1960er Jahre funktionierten! Er stand für Anarchie und Rebellion, war cool, lässig, frech, existenzialistisch, konnte aber auch empathisch sein und in wenigen Momenten blitzschnell wie ein Gestaltenwandler vom Hallodri zum Philosophen mutieren. Dafür hatte er schlicht das passende Gesicht. Für die sterile Kunstwelt Hollywoods zu unperfekt, für die großen Filmemacher wie Godard, Claude Sautet, François Truffaut und Philippe de Broca aber ein Geschenk, mit dem sie die „Nouvelle Vague“(Neue Welle) im Kino wie eine Revolution in Gang setzten. Vor allem die unkonventionelle Erzählstruktur fand rasch Anhänger, und ihre Leitfigur hieß Jean Paul Belmondo.
Jeder Film, sagte Truffaut einmal, sei „eine Straße, die erschlossen werden muss. Mit Jean-Paul Belmondo aber ist ein Stück des Weges immer schon im Voraus da.“Die Frucht ihrer Zusammenarbeit trug den Titel „Das Geheimnis der falschen Braut“. Sautet ließ ihn in „Der Panther wird gehetzt“einen jungen Gangster und Handlanger spielen, in „Der Teufel mit der weißen Weste“von Jean-Pierre Melville verkörpert er grandios einen Polizeispitzel. Alles dunkle, irgendwie fiese Gestalten, bei denen man sich im Kinosessel oft dabei ertappte, wie unweigerlich Sympathie aufkeimte. Doch Belmondo hatte nicht nur den Gesetzlosen drauf. Selbst die in Peter Brooks „Stunden voller Zärtlichkeit“(1960) zur Schau gestellte Verletzlichkeit oder der Abenteurer und Actionheld in „Cartouche, der Bandit“(1962) und in „Abenteuer in Rio“(1964) von Philippe de Broca nahm man ihm ab. Das war er! Spätestens auf der Leinwand begannen die Franzosen und danach auch der Rest Europas Jean
Paul Belmondo zu lieben. Sie gaben ihm den liebevollen Spitznamen „Bébel“. Sein Kollege und ebenso prominente Landsmann Alain Delon bekam keinen.
In den Schoß fiel ihm seine Popularität keineswegs. Geschlagene neun Jahre blieben für Belmondo im Theater lediglich undankbare Dienerund Komikerrollen übrig. Hauptproblem: seine Nase, die er sich mit 18 beim Boxen gebrochen hatte. Prädestiniert zur Hässlichkeit. Da das Leben aber auch solche Seiten bereithält, sollte seine Zeit kommen. Er verkörperte die Verschmelzung vom Unfertigen mit dem Absoluten, die Allianz der Straße mit der Kunst, und beförderte sie durch sein Spiel. In den 1970er Jahren genoss er eine ähnliche Popularität wie Brigitte Bardot und Gerard Depardieu, seine Filme wurden so sehnlich erwartet wie später die Harry-Potter-Fortsetzungen. Als Actionheld in den 1970er Jahre versuchte er seinen Stern vollends zum Strahlen zu bringen. Unerschrocken kletterte er dafür an Strickleitern zu Helikoptern hoch und sprang über fahrende Züge. Als er sich in „Der Boss“bei einem Stunt am Kopf verletzte, da war Schluss. Mit 52.
Danach ging er wieder zurück zum Theater, in sein eigenes Schauspielhaus, das er sich 1991 kaufte und dort endlich auch Hauptrollen spielen durfte. Ein Herzinfarkt 1991 und ein Schlaganfall 2001 zeigten ihm, dass er keineswegs unverwundbar war, wie es lange Zeit zumindest öffentlich den Anschein hatte. Am Schluss nahm er noch die eine oder andere Altersrolle an, allerdings weit weg vom Rebellischen, Bürgerlichen, Heroischen. Nicht nur diese Filme entlarvten ihn als Wiedergänger des ewigen Volkshelden, eines Typs, der seine Zeit nachhaltig prägte, den aber auch seine Zeit unweigerlich geprägt hat. Unsterblich war er leider ebenfalls nicht. Am Montag ist für Jean Paul Belmondo im Alter von 88 Jahren in Paris der letzte Vorhang gefallen.