Mittelschwaebische Nachrichten
Dicke Luft um Filter
Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu. Um den geplanten Präsenzunterricht sicherer zu gestalten, soll in jeder Klasse ein Luftfilter stehen. Doch kurz vor Schulbeginn zeigt sich: Das wird nicht klappen
Augsburg In wenigen Tagen beginnt in Bayern das dritte PandemieSchuljahr. Da es in Präsenz stattfinden soll, will die Staatsregierung einen Luftfilter in jedem Klassenzimmer. Nun zeigt sich: Das wird bis zum ersten Schultag nicht klappen – obwohl die Staatsregierung ein Förderprogramm über 190 Millionen Euro aufgelegt hat. Doch der Ansturm der Kommunen bleibt aus.
In Bayern gibt es rund 75000 Klassenräume. Und während in einer ersten Förderrunde um den Jahreswechsel die Kosten für etwa 15 000 Klassenzimmer übernommen wurden, sind nach Angaben des Kultusministeriums bis dato nur etwa 9000 Klassenzimmer hinzugekommen. Macht insgesamt also weniger als ein Drittel aller Klassenzimmer in Bayern. Beantragt wurden in der aktuellen Förderrunde Geräte für zwölf Millionen Euro –
Der Ansturm auf die Fördergelder bleibt aus
oder sechs Prozent der Fördermittel. Immerhin: „Die Zahl der Anträge steigt jeden Tag deutlich“, heißt es aus dem Kultusministerium. Wie viele Räume außerhalb des Förderprogramms ausgestattet wurden, ist dort unbekannt.
Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Bayern hatten das Programm von Anfang an kritisiert – zum Beispiel Richard Reischl. Der CSU-Mann ist Oberhaupt der 5000-Einwohner-Gemeinde Hebertshausen im Landkreis Dachau. Er hatte Ende Juli bei Facebook einen offenen Brief an die Staatsregierung geschrieben, in dem er unklare Fragen in Sachen Luftfilter thematisierte – und bisher keine Antwort erhalten. Die Klassenräume in der Grundschule, der Mittelschule und den Kitas vor Ort werden am ersten Schultag deswegen keine Luftfilter haben.
Und so schnell wird sich das auch nicht ändern: Erst müssen ein Nachtragshaushalt und ein Beschluss des Gemeinderats her. Doch es ist keine leichte Sache, in den Sommerferien eine beschlussfähige Gemeinderatssitzung hinzubekommen: „Unsere Gemeinderäte sind auch im Urlaub.
wäre ja eigentlich Sommerpause“, erklärt Reischl gegenüber unserer Redaktion. Er rechnet mit einem Bedarf von rund 100 Geräten für die Schulen und Kitas im Ort – und mit Kosten von 4000 Euro pro Stück. Bis zu 1750 Euro pro Klassenzimmer übernimmt die Staatsregierung, sodass die Gemeinde rund 225000 Euro aufbringen müsste. Ganz zu schweigen von etwa 1000 Euro Wartungs- und Betriebskosten pro Jahr und Filteranlage. Reischl berichtet, er sei von Herstellern auf Lieferzeiten zwischen zwölf und 16 Wochen vorbereitet worden. „Wir sollen also sehr viel Zeit, Energie und Geld in diese Luftfilter investieren, ohne eine Garantie zu haben, dass die Schulen im Herbst geöffnet bleiben“, resümiert er. Und der Bürgermeister hat noch ein Problem. Er werde mit zwielichtigen Angeboten überschüttet, die er alle prüfen müsse: LED- und
UV-Lampen gegen die Virenlast im Klassenzimmer etwa oder absorbierende Fensterfolien.
In den Hebertshauser Schulen wird die Luft vorerst also noch ganz klassisch durch Fensteröffnen ausgetauscht. Und alleine ist Reischl mit seiner Skepsis nicht: Viele Schulträger, die eigentlich förderberechtigt wären, haben noch Zweifel. Manche machen sich Sorgen, dass die Geräte nicht so viel bringen wie erhofft. Andere befürchten, dass sie so laut sind, dass der Unterricht gestört wird.
Die Meinung der Elternverbände ist hingegen eindeutig: Der Landeselternverband Bayerischer Realschulen fordert „bis spätestens Ende 2021 ein Raumluftreinigungsgerät und Plexiglastrennwände in jedem Klassenraum“und schrieb einen „Brandbrief“an Kultusminister Piazolo. „Unsere Kinder sind die Leidtragenden, weil SachaufwandsSchließlich träger sich vor Kosten scheuen, deren Ausgabe die Gesundheit unserer Kinder sichern sollen und die Erhaltung des bayerischen Bildungsstandards gewährleisten.“Henrike Paede, die stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternverbandes, beklagt: „Was da bisher passiert ist, ist zu wenig. Hier wurde furchtbar viel Zeit verschenkt.“Reischl fühlt sich hingegen ungerechtfertigt in der Kritik: „Die Staatsregierung versucht, den Kommunen den Schwarzen Peter zuzuschieben, um sich vor der Bundestagswahl beliebt zu machen“, ist er überzeugt.
Obwohl das Kultusministerium Luftfilteranlagen als Teil des Lüftungskonzepts empfiehlt, will man die Entscheidung den Schulträgern vor Ort überlassen. Man habe gar nicht die Kompetenz, so etwas verpflichtend zu machen, lässt sich ein Ministeriumssprecher zitieren. In einigen Schulämtern wird jedoch gemunkelt, dass eine Verpflichtung sehr wohl möglich wäre. Eine Folge wäre jedoch, dass die Staatsregierung die Anlagen komplett bezahlen müsste.
So oder so: Zehn der angeschafften Luftfilter befinden sich in der Grundschule Gablingen: „Die Eltern unserer Schülerinnen und Schüler wollten das unbedingt, also haben wir uns rangemacht“, sagt Schulleiterin Sabine Wirth. Mittlerweile sind fast alle Räume an ihrer Schule ausgestattet. Eingebaut wurden die Filter bereits über Ostern: „Wir sind froh, dass wir uns so früh darum gekümmert haben. Jetzt, wo sich alle drum kümmern, würde das nicht so schnell gehen“, glaubt Wirth. Finanziert wurde das Ganze übrigens mit einem Förderprogramm der Bundesregierung und Mitteln aus dem Gemeindehaushalt.