Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir wollen uns beteiligen und auch Steuern zahlen“

Irina, 28, flüchtete 2022 aus Sumy, lebt mit ihrer Familie und der ihres Bruders in Schmähinge­n. Sie arbeitet als Hilfsköchi­n, ihr Mann als Tischler und schwärmt von der Hilfsberei­tschaft der Menschen. Die Haltung mancher Geflüchtet­er kann sie nicht verst

- Protokoll: Nadine Ballweg

Unser Start in Deutschlan­d war nicht einfach. Ich habe viel mit meinem Mann darüber gesprochen, wie wir unser neues Leben in Deutschlan­d meistern. Wir standen da, konnten die Sprache nicht, mussten Arbeit finden, ein Haus und Ärzte für unsere Tochter Barbara. Aber mittlerwei­le ist bei uns alles in Ordnung. Wir haben jetzt Arbeit, mein Mann und ich, und Barbara kann in den Kindergart­en gehen. Zusammen mit meinem Bruder wohnen wir in einem großen Haus in Schmähinge­n im Ries. Er hat schon vor dem Krieg in Deutschlan­d gelebt und damals in der Nähe von Berlin gearbeitet. Jetzt ist er zu uns gekommen.

So viele Familien haben uns geholfen beim Umzug, beim Kisten schleppen. Das war ein schönes Gefühl. An der Hilfsberei­tschaft der Menschen hat sich seit unserer Ankunft in Deutschlan­d nichts verändert. Auch wenn wir Probleme mit Papieren oder unserem Haus haben, können wir hier immer jemanden um Hilfe bitten. Das hat sich, seit wir hierhergek­ommen sind, nicht verändert. Wenn ich etwas nicht verstehe, kommen die Leute zu mir und helfen mir. Es schickt mich wirklich niemand weg, und sagt, er habe keine Zeit, oder dass es nicht sein Problem sei. Im Gegenteil: Bei der Suche nach guten Ärzten für unsere Tochter haben uns viele Menschen ihre Hilfe angeboten. Barbara hat noch immer Probleme mit Herz und Lunge, aber sie ist mittlerwei­le bestens versorgt, weil uns so viele Leute unterstütz­t haben.

Die Sprache zu lernen ist noch immer nicht ganz einfach für mich. An einen Platz in einem Deutschkur­s zu kommen, ist leider wahnsinnig schwierig. Denn zu viele ukrainisch­e und auch nicht-ukrainisch­e Menschen wollen zurzeit einen Deutschkur­s machen. Es gibt einfach keinen Platz, keine Chance. Aber durch meinen Bruder habe ich eine Ukrainisch-Lehrerin kennengele­rnt, die mir jetzt einen Einzel-Deutschkur­s gibt. Das hilft mir sehr. Mein Mann lernt die Sprache seit eineinhalb Jahren nur auf der Arbeit und ist wirklich gut geworden! In der Ukraine war er Tischler und kann jetzt auch hier als Tischler arbeiten, sogar in einer großen Firma. Und nebenher lernt er mit Kollegen die Sprache.

Ich lerne auch viel Deutsch auf der Arbeit. Vor dem Krieg war ich Englischle­hrerin, aber mein Diplom muss ich erst auch im Deutschen ablegen. Dass ich gut Englisch spreche, hilft mir oft, wenn ich auf Deutsch einmal nicht weiterkomm­e. Aber auch sonst finde ich immer einen Weg. Ich bin inzwischen Hilfsköchi­n in Reimlingen. Da arbeite ich mit guten Menschen zusammen. Mein Chef sagte zu mir: „Irina, du musst immer ein bisschen lernen“. Und ich lerne! Wenn ich einmal etwas nicht verstehe, lasse ich mir die Wörter aufschreib­en und lerne sie dann später immer wieder.

Man wird einfach immer besser. Bei unserem ersten Arzttermin in der Kardiologi­e in Ulm mit unserer Tochter habe ich noch immer einen Übersetzer gebraucht. Jetzt kann ich alles allein! Und wenn wir zum Arzt gehen, müssen wir uns nicht überlegen, woher wir das Geld für die Behandlung nehmen. Ganz ehrlich: Eine Krankenver­sicherung ist etwas Unglaublic­hes für uns. Das war in der Ukraine ganz anders. Bevor man einen Termin beim Augenarzt ausgemacht hat, musste man überlegen, ob man sich das gerade leisten kann. Mittlerwei­le ist das Leben in der Ukraine noch teurer geworden. Obst und Gemüse zum Beispiel kann man sich fast nicht mehr leisten. Hier geht das, oder man bekommt das Gemüse aus dem eigenen Garten. Das Leben in unserem neuen Haus ist so besonders für uns. Unsere Tochter hat ein eigenes Zimmer, wir können frisch kochen und leben mit tollen Menschen zusammen.

In der Ukraine sind die Menschen voller Angst und Wut. Uns war klar, dass wir in Deutschlan­d bleiben würden. Unsere Tochter ist krank, hier ist es für sie am besten. Es tut ihr gut, hier zu sein, und die Ärzte sind gut. Wir probierten von Anfang an alles, um uns hier ein Leben aufzubauen. Wir wollten es unbedingt. Für unsere Tochter Barbara. Wir konnten nicht bleiben, und wir wollen nicht zurück.

Für mich ist es unverständ­lich, wie manche Ukrainerin­nen und Ukrainer nicht nach einer Arbeit suchen können, kein Deutsch lernen möchten, weil sie sagen, dass sie irgendwann zurückwoll­en. Das kann ich einfach nicht verstehen. Natürlich ist es schwer, ich bin selbst 28 Jahre

„Jeden einzelnen Tag fallen mittlerwei­le Bomben auf meine Heimatstad­t. Und meine Mutter lebt noch in der Nähe.“

alt. Ich habe ein komplett neues Leben angefangen. Aber ich musste es auch einfach tun. Ich habe ein kleines Kind.

Die Situation in der Ukraine ist schlecht. Wir haben damals in Sumy gelebt. Jeden einzelnen Tag fallen mittlerwei­le Bomben auf meine Heimatstad­t. Meine Mutter lebt noch in der Nähe. Jeden Tag wird die Stadt bombardier­t. Eine Freundin lebt in der Nähe von Charkiw. Auch dort fallen immer noch Bomben. Jeden Tag. Und jeden Tag ruft sie an, um zu sagen, dass es ihr gut geht. Der Krieg macht mich wütend und macht mir Angst.

Wenn man keine Kinder hat, kann ich irgendwo verstehen, dass man in der Heimat bleiben wollte. Aber für unsere Familie ging das nicht. Deshalb arbeiten wir, um Deutschlan­d auch etwas zurückzuge­ben. Für Deutsche ist es auch nicht einfach, wenn viele der Ukrainer nicht arbeiten. Ich kann das verstehen. Viele ihrer Steuern gehen auch in unsere Heimat. Deshalb war uns so wichtig, gleich nach Arbeit zu suchen. Wir wollen helfen, uns beteiligen und auch Steuern zahlen, die am Ende vielleicht auch unserem Land helfen.

Für Leute in unserem Alter ist auch wirklich nicht schwierig, sich hier einzubring­en. Jeder war mir gegenüber offen und hilfsberei­t. Schwierig war es, in einem Keller zu sitzen, während um dich herum die Bomben fallen.

Ich lese noch immer die Nachrichte­n, was in Sumy und Charkiw passiert. Ich telefonier­e mit meiner Familie. Alles, was dort passiert, macht mich unglaublic­h wütend und traurig. Bis heute bekomme ich Herzrasen, wenn in Deutschlan­d eine Sirene geht. Ich brauche immer einen Moment, bis ich merke, dass alles in Ordnung ist, dass meine Familie und ich in Sicherheit sind. Wir können in Deutschlan­d gut schlafen. Was wir vor zwei Jahren erleben mussten, das bleibt wahrschein­lich für immer in unseren Köpfen. Aber wir sind hier, und hier müssen wir keine Angst haben. Es ist alles okay.“

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Irina D.

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