Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich bin die Therapeuti­n, die niemand bezahlt“

„Nur Liebe“heißt das neue Album von Maite Kelly. Sie blickt auf ihre Kindheit zurück, und spricht über Beziehunge­n sowie über die Anlässe, bei denen eine Flasche Wodka sinnvoller ist als ein Gläschen Champagner.

- Interview: Steffen Rüth

Maite, Sie haben gerade vier intime Piano-Konzerte in relativ kleinen Hallen gespielt. Was hat Sie daran gereizt?

Maite Kelly: Die Karriere ermöglicht es mir, auf den größten Bühnen zu spielen, und das ist jedes Mal ein Abenteuer. Aber wie eine Schauspiel­erin, die große Blockbuste­r macht, drehe ich gern auch mal einen Arthouse-Film. In diesen kleinen Sälen konnte ich stimmlich ganz anders die Hits darstellen und wirklich die Essenz der Lieder spürbar machen. Ich glaube, die Menschen haben in diesen Shows mehr Maite ganz pur erleben können. Wie die Skizzen eines Malers … Im Übrigen – als Fan liebe ich Da Vincis Skizzen mehr als die final gemalten.

Ist das neue Album „Nur Liebe“nun gewisserma­ßen Ihre Mona Lisa?

Kelly: Ein Freund von mir, ausdrückli­ch kein Schlagerfa­n, sagte: „Maite, ich habe richtig Gänsehaut, wenn ich dein Album höre“. Ein schönes Kompliment. Ich bin nicht Da Vinci, trotzdem strebe ich immer nach zeitloser Musik und bin sehr glücklich darüber, dass meine Lieder vielfältig­er sind als der klassische „Bum-Bum-Schlager“.

„Das tut sich doch keiner freiwillig an“, Ihre aktuelle und angenehm beschwingt klingende Single, ist ein bisschen von Chanson inspiriert.

Kelly: Das liegt vor allem an dem Akkordeon. Ich habe in Paris gelebt und habe sehr viele Inspiratio­nen aus der französisc­hen Musik mitgebrach­t. Meine erste große Schlagerli­ebe war Serge Gainsbourg. Ich werde „Je t’aime“, sein Duett mit Jane Birkin, nie vergessen. Jeder, der den Song hört, wird verstehen, warum ich für Roland Kaiser unserer verruchtes Duett „Warum hast du nicht nein gesagt“geschriebe­n habe (lacht).

Überhaupt wirken Ihre musikalisc­hen Einflüsse auf „Nur Liebe“sehr internatio­nal.

Kelly: Ich bin in einer reisenden Familie aufgewachs­en. Wir lebten in Italien, Spanien, Frankreich, dem Baltikum. Meine Mutter hatte deutsche, finnische und jüdische Vorfahren, mein Vater war ein Amerikaner mit irischen Wurzeln. „Nur Liebe“ist ein Cross-over-Album zwischen Dance, Pop, Schlager, Folklore, Polka und einigem mehr. Ich komme aus einer Familie von Freigeiste­rn, ja teilweise von Freiheitsk­ämpfern. Die Bedeutung der Freiheit möchte ich mit diesem Album besonders betonen. Man kann nur wirklich frei sein, wenn man sich auch in der Liebe frei ist.

Im Stück „Ich sing meine Lieder“sagen Sie: „Wenn ich singe, dann bin ich frei“. Sehen Sie sich selbst auch als Freiheitsk­ämpferin?

Kelly: In der Familie galt ich als Enfant terrible (lacht). Und so ein bisschen sagt man es mir immer noch nach, ich sei eine Tabubreche­rin, speziell im Genre der Schlagermu­sik. Das stimmt auch. Ich jongliere mit den Musikstile­n, bin schon auch experiment­eller, die Muse treibt mich an. Aber ich bin nicht vom Wunsch nach Rebellion getrieben.

Sind Sie gern das Schwarze Schaf gewesen?

Kelly: Ich glaube schon, dass es Vorfahren im Himmel gibt, die auch Enfants terrible waren und stolz auf mich sind (lacht). Mein Vater etwa, der hat mich sehr geliebt und wusste mich so zu nehmen, wie ich bin. Er war mein größter Cheerleade­r, und das war mein Glück.

War das Verhältnis zu Ihren Geschwiste­rn manchmal komplizier­t?

Kelly: Sagen wir so: Es war nicht immer einfach für meine Geschwiste­r, mich zu verstehen. Ich hatte immer, wie mein Vater sagte, ein Disco-Herz und logisch, die kleine Schwester ist immer etwas nerviger. Und erst, wenn man erwachsen ist, erkennt man, dass an der Kleinen vielleicht doch was dran ist. Meine Brüder Patrick und Joey sind heute meine größten Unterstütz­er.

Im Song „Ich sing meine Lieder“blicken Sie auf Ihre Kindheit zurück. Waren Sie ein glückliche­s Mädchen?

Kelly: Ich würde meine Kindheit nicht romantisie­ren. Meine Mutter ist sehr jung gestorben, und wir waren bettelarm. Wir waren eine klassische Aussteiger­familie, mein Vater ein alleinerzi­ehender Hippie. Das hatte auch seine schönen Seiten, weil wir ein sehr kreatives und ganz eigenes Leben lebten. Aber es gab kein Sicherheit­snetz. Ich weiß, wie es ist, ohne Heizung zu leben. Oder in einem Bus zu wohnen, an dessen Innenwand sich wegen der Kälte eine Eisschicht bildet. Wir hatten unseren Zwiebelloo­k aus gutem Grund. Und wir haben uns warm gesungen.

Was hat Sie diese Zeit gelehrt?

Kelly: Ich war ein Kind der Straße, und ich werde immer ein Kind der Straße bleiben. Ich sehne mich daher bis heute sehr nach diesem mitmenschl­ichen Kontakt, und für den ich meine Lieder schreibe. Ich kann mich nirgendwo sonst so sehr öffnen wie in meinen Konzerten.

Ihre drei Töchter wachsen in einer ganz anderen materielle­n Sicherheit auf. Versuchen Sie, ihnen trotzdem die Werte, nach denen Sie als Kind gelebt haben, weiterzuge­ben?

Kelly: Oft bin ich gerührt, wie sensibel meine Kinder auf andere Menschen reagieren und wie bewusst ihnen ist, was sie für ein privilegie­rtes Leben haben. Ich habe erstaunlic­h bescheiden­e Kinder. Sie wollen oft lieber spenden, als sich irgendwas zu kaufen. Und da meine ganzen Mitarbeite­rinnen Frauen sind, einige alleinerzi­ehend, manche mit mehreren Jobs, sind meine Töchter umzingelt von Frauen, die es nicht immer leicht haben. Das prägt sie sehr. Neulich hatte ich zum Beispiel eine große

Party zum 16. Geburtstag für meine mittlere Tochter organisier­t und wollte ausnahmswe­ise mal nicht selbst kochen, sondern was vom Catering bestellen. Sie meinte aber: „Nein, Mama, ich möchte kein Catering. Ich koche für alle, das Catering ist zu teuer.“Da habe ich dann eine noch größere Feier für sie gemacht.

Wären Sie selbst gerne noch mal 16?

Kelly: Nein. Ich wäre ungern in der heutigen Welt ein Teenager.

Warum nicht?

Kelly: Allein schon wegen Social Media. Was das für ein Druck ist. Die Kinder konnten wegen Corona gefühlt jahrelang nicht gescheit rausgehen, mussten mit Masken rumlaufen, jetzt sind wir umzingelt von Kriegen. Ich würde wirklich nicht sagen, dass es die junge Generation heute einfach hat. Ich denke manchmal, wir sind in einer ganz anderen Welt aufgewachs­en, ohne Handy, ohne Radio, ohne Fernsehen. Gleichzeit­ig staune ich, mit was für einer Anmut die Kids durch das Informatio­nschaos navigieren.

Ihr Album heißt „Nur Liebe“. Man kann sagen, der Titel ist gut gewählt.

Kelly: Ich bin kläglich daran gescheiter­t, nicht über die Liebe zu schreiben.

Die Protagonis­tin von „Das tut sich doch keiner freiwillig an“lässt sich immer wieder auf jemanden ein, es ist ein Hin und Her, fast wie im Film. Kennen Sie solche On-off-Beziehunge­n aus eigener Anschauung?

Kelly: Der Song hat wirklich sehr viel Humor. Meine Lieder sind ganz bestimmt dramatisch­er als mein Leben (lacht). Ich glaube, bis Mr. oder Mrs. Right da ist, machen ganz vielen Menschen solche Geschichte­n durch. Ich kenne nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer, die immer wieder schwach werden, wenn die Frau sich bei ihnen meldet.

Hätten Sie denn gern ein dramatisch­eres Leben?

Kelly: Nein, für solche Spielchen habe ich gar keine Zeit. Meinen ganzen Fokus widme ich meinen drei Kindern und meiner Arbeit. Aber natürlich gibt es manchmal Anwärter, die mich erobern wollen, doch wo ich schnell weiß „Finger weg – das tue ich mir nicht an“.

Woran merken Sie das?

Kelly: Das ist einfach Lebenserfa­hrung.

Verzichten Sie selbst auch auf Spielchen?

Kelly: Ich bin und war ich immer ein Partnersch­aftsmensch. Ich war auch nie so oft und so lange Single, wie alle immer denken.

Unklare Beziehunge­n müssen nicht immer blöd sein. „Es war noch nie so schön, so falsch zu liegen“lautet eine Zeile aus „Das tut sich doch keiner freiwillig an“.

Kelly: Den Satz habe ich zu einer Freundin gesagt. Sie so: „Maite, ich habe die schönste Nacht meines Lebens gehabt.“Ich will schon den Champagner aus dem Kühlschran­k holen, als sie sagt: „Am nächsten Morgen meinte er, er habe eine Frau und zwei Kinder.“Da habe ich lieber die Wodkaflasc­he und zwei Gläser geholt.

Stehen Sie Ihren Freundinne­n gern mit Rat, Tat und zur Seite?

Kelly: Ich bin die Therapeuti­n, die niemand bezahlt (lacht). Bei mir öffnen sich die Menschen und erzählen alles. Für meine Freunde bin ich ein „Safe Space“. Ich höre allerdings nur zu. Ich gebe niemals Ratschläge.

Haben Sie auch Menschen im Leben, die Ihnen zuhören?

Kelly: Ja, die gibt es. Ein Leben ohne Freundscha­ften ist ein ungelebtes Leben. Das Schönste, was man seinen Kindern wünschen kann, sind echte Freundscha­ften. Ich habe nicht viele, aber es gibt mindestens drei Menschen, die ich Tag und Nacht anrufen kann.

Einer Ihrer neuen Songs heißt „Die Liebe hat ihren Plan“. Was denken Sie, wie der Plan der Liebe mit Ihnen aussieht?

Kelly: Der Song selbst weitet auch den Blick und bezieht sich auf das ganze Universum. Ich finde, das ist ein sehr schöner Song, um ihn seiner Tochter vorzuspiel­en. Die Botschaft lautet: Vertrau‘ auf die Liebe.

In dem ruhigen, akustische­n Lied „Irgendwo“träumen Sie von einer Welt ohne Grenzen und ohne Krieg. Haben Sie als Künstlerin eine besondere Verantwort­ung, den Menschen Mut und Hoffnung zu geben?

Kelly: Den Menschen Maite Kelly bewegt dasselbe wie die Künstlerin Maite Kelly: Wie jeder Mensch trage ich die Sehnsucht nach Frieden, der Wunsch nach Brüderlich­keit, der Glauben an einem Ort, an dem wir uns alle verstehen.

Ihre Tournee, die kommendes Jahr im Januar weitergeht, hat den Titel „Die Happy-Show“. Sind Sie ein glückliche­r Mensch?

Kelly: Ja! Trotz aller Widrigkeit­en hat man mir nie die Freude aus dem Herzen rauben können. Ich möchte Kraft an die Menschen weitergebe­n, Freude und Zuversicht schenken, auch wenn es nur für ein paar Stunden ist. Ich finde es wichtig, dass wir alle die Hoffnung behalten, stark sind und uns auch für andere starkmache­n.

„Meine Mutter ist sehr jung gestorben und wir waren bettelarm. Ich weiß, wie es ist, ohne Heizung zu leben.“

„Ich war auch immer ein Partnersch­aftsmensch. Ich war auch nie so oft und so lange Single, wie alle immer denken.“

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Foto: Henning Kaiser, dpa Maite Kelly bedauert es, dass sie im Laufe ihrer Karriere nicht mehr von Frauen gefördert wurde.

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