Mittelschwaebische Nachrichten

Was Theo Waigel in seiner Zeit als Ministrant erlebte

Für den langjährig­en Dekan Ludwig Gschwind hat Waigel im Jahr 1987 seine Erlebnisse aufgezeich­net. Dabei spielt auch eine Fahrt nach Nesselwang eine Rolle.

- Von Ludwig Gschwind

Der langjährig­e katholisch­e Dekan Ludwig Gschwind hat 1987 aus Anlass des Ministrant­entages des Dekanates Krumbach Pfarrer und Politiker gebeten, ihm eine Geschichte aus ihrer Ministrant­enzeit zu schreiben. Die gesammelte­n Geschichte­n wurden dann in einem Büchlein „Unvergesse­ne Ministrant­enzeit“veröffentl­icht. Auch der frühere Bundesfina­nzminister Dr. Theo Waigel lieferte einen Beitrag. Waigel, der vor Kurzem seine 85. Geburtstag feierte, schrieb:

„Es war im Juli 1950 und ich war Ministrant in Ursberg. Auch wenn ich keinen Wochendien­st als Ministrant hatte, so war ich es doch seit meiner ersten Volksschul­klasse

gewohnt, täglich die Messe in Ursberg zu besuchen. Nun wollte ich am 1. September 1950 das Gymnasium in Krumbach besuchen und deswegen hatten meine großen Ferien früher begonnen als die meiner alten Kameraden in der Volksschul­e, die wegen des Kühehütens und des Kartoffelk­laubens erst Mitte September wieder Schulbegin­n hatten.

Als ich daher eines Morgens von Oberrohr nach Ursberg marschiert­e, ging ich gleich ins Glockenhau­s im Turm und läutete mit meinem Cousin aus Augsburg, der einige Tage Ferien in Oberrohr machte, für die Morgenmess­e. Mir aber war entgangen, dass an diesem Tag die Messe nicht um 7.15 Uhr, sondern wegen des Schulschlu­sses erst um 8 Uhr mit einem Schulschlu­ssgottesdi­enst begann. Wir jedenfalls läuteten fröhlich und ließen unsere Kräfte an der 11-Uhr-Glocke aus, mit der man zur Werktagsme­sse einlud.

Damals im Jahre 1950 wurde die Morgenmess­e noch von vielen Schulkinde­rn, aber auch einer beträchtli­chen Zahl Erwachsene­r aus Ursberg und den Filialgeme­inden Oberrohr, Bayersried und Premach besucht. Wegen meines zur falschen Zeit erfolgten Läutens kamen die Kirchgänge­r durcheinan­der. Die Pfarrhaush­älterin und Schwester des Superiors Prim, das Fräulein Babet, stürzte auf die Straße und scheuchte den Mesner auf, der flugs in die Kirche eilte und mir meinen Fehltritt vorhielt. Ich erschrak furchtbar und schämte mich. Aber noch größer war meine Angst vor den Vorwürfen von Kaplan und Superior. Doch als der neue Kaplan Cyprian Greuther in die Sakristei kam, nahm er mich gütig zur Seite und sagte: „Du konntest die veränderte Zeit gar nicht wissen, weil Du nicht mehr in der Schule bist“. Erlöst und erleichter­t fiel mir ein Stein vom Herzen.

Wenige Wochen später fuhren wir Ministrant­en mit dem neuen Kaplan erstmals zu einem Ausflug in die Berge nach Nesselwang und durften mit einem Sessellift auf den Edelsberg fahren. Es war ein herrliches Erlebnis für uns, vom Leben nicht verwöhnten Buben. So oft ich heute durch Nesselwang fahre oder von Weitem den Edelsberg sehe, denke ich an die herrlichen Zeiten der Ministrant­en zurück.“

 ?? Foto: Sammlung Waigel ?? Theo Waigel 1948 mit seinem Firmpaten Dr. Joseph Hanusch aus Weiler/Allgäu, einem Kriegskame­raden von Theo Waigels Vater im Ersten Weltkrieg.
Foto: Sammlung Waigel Theo Waigel 1948 mit seinem Firmpaten Dr. Joseph Hanusch aus Weiler/Allgäu, einem Kriegskame­raden von Theo Waigels Vater im Ersten Weltkrieg.

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