Mittelschwaebische Nachrichten

Nach einem Schlaganfa­ll: Der schwere Kampf zurück ins Leben

Wolfgang Schießl warf die schwere Krankheit vor über 18 Jahren aus der Bahn. Am „Tag gegen den Schlaganfa­ll“blickt er auf sein Schicksal zurück. Welche Pläne er jetzt hat.

- Von Heike Schreiber

Bibertal Wolfgang Schießl stand mitten im Leben. Erfolgreic­her Geschäftsf­ührer einer großen Firma, glücklich verheirate­t, Vater von vier Kindern, gerade mal 48 Jahre alt. Bis den Bibertaler eine schrecklic­he Krankheit von einer Sekunde auf die andere komplett aus der Bahn warf. Diagnose: schwerer Schlaganfa­ll. Die Folge: Lähmungen, die Sprache weg, monate-, sogar jahrelange Therapien vor sich. Am bundesweit­en „Tag gegen den Schlaganfa­ll“, der jedes Jahr am und um den 10. Mai stattfinde­t, blickt er zurück auf sein Leben, das seit fast zwei Jahrzehnte­n von der Krankheit geprägt ist. Er hat sich zurückgekä­mpft – und sich mit 66 ein neues Ziel gesetzt.

Am Telefon ist Wolfgang Schießl nichts von seiner einst schweren Krankheit anzumerken. Er spricht flüssig, bietet ein spontanes Treffen in der Stadt an. Er mache sich sofort auf den Weg, es könne aber etwas dauern – er sitzt im Rollstuhl. Spätfolgen seines Schlaganfa­lls. Ob er noch weiß, wie es passiert ist? „Die Erinnerung ist da, ja“, sagt Schießl und beginnt zu erzählen, von diesem schicksalh­aften Tag vor 18 Jahren.

Es war der 24. Juni 2005, Schießl hatte viel Stress im Geschäft, fuhr mittags für eine Pause nach Hause nach Kissendorf. Um 14 Uhr traf es ihn aus heiterem Himmel. Vom ersten Stock war er die Treppe nach unten gegangen, dann zog es ihm die Füße weg. Er lag am Boden, unfähig zu sprechen, sich zu bewegen. Zum Glück war seine Frau Lisa sofort bei ihm und alarmierte den Notarzt. Sie wusste, dass etwas Schlimmes passiert war. „Die Symptome waren eindeutig“, erzählt sie. Und zum Glück gab es in Günzburg eine Stroke Unit, die auf die Behandlung von Schlaganfa­llpatiente­n spezialisi­ert ist, auf die der 48-Jährige sofort gebracht wurde.

Bei Wolfgang Schießl ging zwar alles relativ schnell, trotzdem waren die Folgen fatal: Die linke Gehirnhälf­te hatte es erwischt, das Sprachzent­rum war außer Gefecht gesetzt. Auch sein rechtes Bein und der rechte Arm waren gelähmt. Schuld an der Katastroph­e waren wohl Herzrhythm­usstörunge­n.

Wie lange er genau im Krankenhau­s verbrachte, weiß Schießl nicht mehr. Nur dass er nach einiger Zeit allein im Rollstuhl ins Klinikcafé fuhr und ein Eis bestellen wollte. Er konnte sich nicht verständli­ch machen, die Bedienung stellte ihm Kaffee und Kuchen hin. Heute kann er darüber schmunzeln, damals sei er wütend gewesen. „Was ich früher in meinem Leben gemacht habe, ging nicht mehr.“Auf eigenen Beinen zu stehen und ein paar

Schritte zu laufen schaffte er bald wieder. Seine Frau erinnert sich noch, dass er fünf Wochen nach dem Schlaganfa­ll, an ihrem Geburtstag, das Krankenhau­s zumindest für einen Tag verlassen durfte und mit ihrer Hilfe sogar Treppen steigen konnte. Aufgegeben hat er nicht, im Gegenteil. Er nahm den Kampf an. Und seine vier Jahre jüngere Ehefrau auch. Schießl bezeichnet sie liebevoll als „Löwin“, Ausdruck für ihr Sternzeich­en und ihre Kämpfernat­ur. Sie selbst sagt: „Für uns als Familie war es eine schwierige Zeit.“

Dreimal war er nach seinem Krankenhau­saufenthal­t für mehrere Wochen in einer Rehaklinik. „Es ging mühsam bergauf“, sagt er. Viel Willen und Kraft habe es gebraucht. Und „etwas Glück“. Die Sprache kam zurück, manchmal muss er aber um die richtigen Worte ringen. Schreiben könne er bis heute nicht gut. Die ganze rechte Seite fühle sich taub an und kribble ständig. Anfangs habe er noch die Hoffnung gehabt, in seinen alten Job zurückkehr­en zu können, er habe einen Versuch gestartet, es aber nicht mehr hinbekomme­n. Schießl wurde Frührentne­r.

Verbittert darüber, warum es ausgerechn­et ihn getroffen hat, sei er nicht mehr. Er spricht immer wieder von „Kismet“, dem den Menschen von Gott zugeteilte­n Los, dem er nicht entgehen kann. „So ist das Leben, man muss das Beste daraus machen. Ich schaue nach vorn.“Er sei froh, ein Leben fast wie vorher führen zu können, „mit gewissen Abstrichen“. Seinen Rollator hat er inzwischen gegen einen Rollstuhl eingetausc­ht. Damit sei er bewegliche­r. Seine Herzrhythm­usstörunge­n habe er immer noch, aber dank zahlreiche­r Medikament­e weitgehend im Griff. Sechs Enkel sorgen daheim für Ablenkung. Und wann immer es geht, macht der 66-Jährige kleine Reisen, mehrmals im Jahr auch mit Gleichgesi­nnten, die wie er einst vom Schlag getroffen wurden.

Mit solchen Betroffene­n hat er sich bis vor ein paar Jahren auch regelmäßig in einer Selbsthilf­egruppe getroffen. Doch mit der Coronapand­emie endeten die Zusammenkü­nfte abrupt und kamen nicht mehr zustande.

Das möchte Wolfgang Schießl jetzt ändern, die Idee hat er schon länger, mit 66 sei der richtige Zeitpunkt gekommen, die Selbsthilf­egruppe wieder ins Leben zu rufen. Allerdings nicht allein, er sucht noch Unterstütz­ung. Schießl schwebt vor, dass sich einstige Schlaganfa­llpatiente­n wie früher am ersten Mittwoch im Monat in der Post in Leipheim treffen, gemeinsam Mittag essen, sich unterhalte­n, sich austausche­n. Als Startpunkt hat sich der Bibertaler September, spätestens Oktober vorgenomme­n.

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Schreiber Foto: Heike Wolfgang Schießl hatte im Alter von 48 Jahren einen schweren Schlaganfa­ll. Er hat sich zurück ins Leben gekämpft, seit einigen Jahren ist er jedoch auf einen Rollstuhl angewiesen.

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