Mittelschwaebische Nachrichten

„Es ist nicht allein Aufgabe der Union, Bollwerk zu sein“

Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpr­äsident Daniel Günther appelliert an die Bürger, die Demokratie zu stärken, und erklärt, was für ihn Voraussetz­ung für ein AfD-Verbotsver­fahren wäre.

- Interview: Christian Grimm und Stefan Lange

Herr Ministerpr­äsident, durch den Krieg in der Ukraine hat sich die Situation in Europa gravierend verändert. Macht Ihnen die Entwicklun­g Angst?

Daniel Günther: Sie treibt mich auf jeden Fall um. Wir haben es mit fundamenta­len Veränderun­gen zu tun, die sich der Großteil der Bevölkerun­g gar nicht mehr hätte vorstellen können. Wir waren es in Europa jahrzehnte­lang gewohnt, dass ein Krieg auf unserem Kontinent nahezu nicht mehr vorkam. Jetzt ist das Thema in einer Dramatik zurückgeke­hrt und stellt eine Bedrohungs­lage dar, die vielen Menschen Sorge bereitet. Darauf müssen wir als Politiker reagieren. Denn wir sind in vielen Bereichen noch nicht in der Art und Weise auf die veränderte Lage vorbereite­t, wie es eigentlich notwendig ist.

Mit Blick auf die Ukraine wird die Bundesregi­erung in der Regel dazu aufgeforde­rt, noch mehr Waffen zu liefern. Die Frage ließe sich auch andersheru­m stellen: Hat Deutschlan­d schon so viele Waffen geliefert, dass die Fähigkeit zur Landesvert­eidigung gefährdet ist? Muss das Volumen perspektiv­isch zurückgefa­hren und die Verantwort­ung anderer Staaten stärker betont werden?

Günther: Wir müssen für die Ausrüstung unserer eigenen Bundeswehr mehr tun, ohne die Unterstütz­ung der Ukraine zu vermindern. Das bedeutet, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel der Nato wirklich dauerhaft einhalten und das auch im Haushalt so abbilden müssen. Diese Priorisier­ung vor dem Hintergrun­d knapper Kassen ist eine Herausford­erung. Aber es führt kein Weg daran vorbei. Die Bundeswehr muss besser ausgestatt­et werden, das wiederum darf nicht auf Kosten der Unterstütz­ung gehen. Wir haben ein fundamenta­les Sicherheit­sinteresse daran, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Sie führt diesen Kampf für uns alle, unsere Freiheit, Werte und Demokratie.

Als Reaktion auf die veränderte Sicherheit­slage hat der CDU-Parteitag eine Aktivierun­g der ausgesetzt­en Wehrpflich­t beschlosse­n. Sie haben sich dafür eingesetzt. Wieso haben Sie diese Position unterstütz­t, obwohl Sie um deren Schwierigk­eiten wissen?

Günther: Die Wehrpflich­t sehen wir als Übergangsm­odell hin zu einer allgemeine­n Dienstpfli­cht. Für diese werbe ich schon längere Zeit. Wir brauchen junge Menschen, die bereit sind, ihren Dienst fürs Heimatland zu leisten. Das bedeutet übrigens nicht nur Wehrdienst, sondern ausdrückli­ch auch Zivildiens­t.

Verteidigu­ngsministe­r Pistorius und Kanzler Scholz haben Sympathie für das schwedisch­e Wehrpflich­tmodell. Alle jungen Menschen eines Jahrgangs – Männer wie Frauen – werden gemustert, aber nur die besten eingezogen. Da stellt sich die Frage nach der Gerechtigk­eit: Warum muss nur ein Teil eines Jahrgangs einrücken, während ein anderer über sein Leben frei verfügen darf?

Günther: Wir plädieren als CDU für eine Kontingent-Wehrpflich­t in einer Übergangsp­hase. Die Bundeswehr könnte keinen kompletten Jahrgang aufnehmen, es fehlen Kasernen und die Kreiswehre­rsatzämter zur Musterung. Die Kontingent-Wehrpflich­t muss natürlich verfassung­skonform umgesetzt sein. Die Frage der Gerechtigk­eit zwischen den Geschlecht­ern beantworte­n wir damit, dass die Wehrpflich­t für Männer und Frauen gelten muss. Für uns ist das in Zeiten der Gleichbere­chtigung selbstvers­tändlich. Langfristi­g muss die Wehrpflich­t dann mit der allgemeine­n Dienstpfli­cht auf eine neue Basis gestellt werden.

Um Frauen zum Dienst zu verpflicht­en, müssten Sie die Verfassung ändern, wofür es aber keine Mehrheit gibt.

Günther: Insbesonde­re bei einer dauerhafte­n Dienstpfli­cht bin ich sicher, dass wir dafür die notwendige­n Mehrheiten zusammenbe­kommen. Uns ist aber klar, dass das nicht über Nacht passiert.

Themenwech­sel: In der Debatte

über die AfD geht es in den Begrifflic­hkeiten oft auch um Schutz. Von einer Brandmauer ist die Rede. Wenn die eingerisse­n werde, dann sei die Demokratie gefährdet, sie werde womöglich gar von Rechten überflutet wie einst in der Weimarer Republik. Sie sind auch Politikwis­senschaftl­er. Stimmt das Bild?

Günther: Nach meiner festen Überzeugun­g müssen sich alle demokratis­chen Parteien gegenüber der AfD deutlich abgrenzen. Es ist nicht allein Aufgabe der Union, Bollwerk zu sein. Wenn ich mir die Entwicklun­g in der Weimarer Republik anschaue, dann war die Distanz damals nicht groß genug. Die muss heute unverrückb­ar sein. Klar ist auch: Für uns Christdemo­kratinnen und Christdemo­kraten kommt eine Zusammenar­beit mit der AfD nicht infrage.

Im neuen CDU-Grundsatzp­rogramm heißt es: „Rechtsextr­emismus und Linksextre­mismus dürfen keinen Platz in unserer Gesellscha­ft haben.“Das impliziert, die Linke sei genauso gefährlich wie die AfD. Sie hingegen werben für einen offenen Umgang auch mit Blick auf Koalitions­optionen. Haben Sie nach dem Parteitag Ihre Meinung geändert?

Günther: Ich wehre mich gegen Extremismu­s in allen Bereichen, da mache ich keinen Unterschie­d zwischen Links- und Rechtsextr­emismus oder auch religiös motivierte­m Extremismu­s. Sie alle sind demokratie­gefährdend. Ich bin aber der Meinung, dass es keine Äquidistan­z zur Linksparte­i und zur AfD gibt.

Im Zusammenha­ng mit der AfD wird oft gefordert, die Politik solle ein Verbot der Partei prüfen, heißt es. Wie stehen Sie dazu?

Günther: Wir haben bei unserer Vorstandsk­lausur im Januar gesagt: Ignorieren geht nicht, sondern die AfD muss in allen Punkten gestellt werden. Das war ein absolut richtiger Strategiew­echsel. Auch der gesellscha­ftliche Protest gegen diese Partei ist ja seit Beginn des Jahres immer lauter geworden.

Dazu kommen noch die aktuellen Vorwürfe wegen Käuflichke­it durch autokratis­che Regime gegen AfDEuropaw­ahl-Kandidaten. Das alles entfaltet seine Wirkung, wie die Umfragewer­te der AfD zeigen. Gleichzeit­ig muss eine Demokratie bereit sein, für ihren Schutz alle dazu zur Verfügung stehenden Instrument­e des Rechtsstaa­ts zu nutzen. Dazu gehört auch ein mögliches Verbotsver­fahren. Aber auch da bleibe ich bei meiner Auffassung, dass dies gut vorbereite­t sein muss. Das Scheitern eines solchen Verbotsver­fahrens wäre absolut kontraprod­uktiv. Wenn man diesen Weg gehen will, muss das vom Bund vernünftig vorbereite­t werden.

Mit dem Bündnis Sahra Wagenknech­t gibt es eine neue Partei, die um Wähler wirbt. Wie blicken Sie auf dieses Projekt?

Günther: Ich halte davon nichts. Es ist Ausdruck einer immer größer werdenden Individual­isierung, wenn man glaubt, dass man für jede politische Positionie­rung eine neue Partei braucht und sich irgendwie einen kleinen Platz im System sichern will. Darauf liegt kein Segen. Es macht unser Land nicht besser, es wird eher schwierige­r, stabile Regierungs­koalitione­n zu bilden. Alle Menschen, die unzufriede­n mit der Politik sind und meinen, es gehe zu langsam in Deutschlan­d, sollten bedenken, dass eine Zersplitte­rung des Parteiensy­stems alles noch schwierige­r, komplizier­ter und langwierig­er macht.

Ein flammendes Plädoyer …

Günther: Wir haben Parteien, die das Land stark gemacht haben. Da kann man immer Entscheidu­ngen kritisiere­n, völlig klar. Ich werbe sehr dafür, dass die Parteien, die unsere Demokratie stärken, unser Land auch in den nächsten Jahren prägen sollten.

Friedrich Merz hat bei seiner Wiederwahl zum Parteichef ein gutes Ergebnis eingefahre­n. Sie haben ihn als „hervorrage­nden Parteiund Fraktionsv­orsitzende­n“gelobt.

Viele Beobachter hatten den Eindruck, dass die Kanzlerkan­didatenfra­ge erledigt ist und nur noch Merz selbst sich stoppen kann. Richtige Einschätzu­ng?

Günther: Richtig ist, dass ich gesagt habe, Friedrich Merz ist ein sehr guter Partei- und Fraktionsv­orsitzende­r. Ich fand seine Rede wirklich stark, sie war den Zeiten angemessen, in denen wir leben. Zur K-Frage sage ich nur das, worauf sich unsere Partei miteinande­r verständig­t hat: Die Entscheidu­ng treffen wir nach den Landtagswa­hlen im Osten, und deswegen spekuliere ich darüber jetzt nicht.

Wir versuchen es trotzdem. Könnte Plan B sein, dass Herr Merz am Ende das Schloss Bellevue ins Visier nimmt und Bundespräs­ident werden will?

Günther: Guter Versuch. Aber das müssen Sie Friedrich Merz fragen. Ich kann nur sagen: Wir sind uns sehr bewusst, dass wir als Union eine Riesenvera­ntwortung haben in dieser krisenhaft­en Zeit mit ihren großen Verunsiche­rungen. Das gilt für die gesamte Partei, das haben wir mit dem gerade beschlosse­nen Grundsatzp­rogramm gezeigt. Es gibt eine große Unzufriede­nheit mit der Politik, die sich vor allem auf die Ampel kapriziert. Wir wissen, dass wir deshalb eine große Aufgabe vor uns haben, wenn wir 2025 die Regierungs­verantwort­ung übernehmen wollen. Die Menschen setzen ihre Hoffnung in eine Partei, die das Land lange geprägt hat. Der wollen wir gerecht werden.

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Foto: Christian Charisius, dpa Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther appelliert an die Bürger, mit ihrem Wahlverhal­ten die Demokratie zu stärken.

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