Mittelschwaebische Nachrichten
Philosoph Schmid bricht auf in unendliche Denkhorizonte
Der Philosoph Wilhelm Schmid befasst sich in seinem neuen Buch mit dem Tod und einem Leben danach. Durch den Tod seiner Frau Astrid ist er mit dem Thema sehr persönlich befasst.
Was kann der Mensch wissen? Es ist die Leidenschaft der Philosophie, bis an die Grenzen dessen vorzustoßen, was der Mensch wissen und in Sprache fassen kann. Wie aber soll er sich verhalten, wenn die Grenze erreicht und definiert ist? Die Grenze und den, der sie gezogen hat, bedingungslos respektieren? Oder die Grenze mindestens ab und an gezielt ignorieren, um das Denken für neue, ungeahnte Bereiche zu öffnen? In bestimmten Situationen, beispielsweise bei der Konfrontation mit dem Tod, gibt es ein geradezu natürliches Bedürfnis weiterzufragen, sich nicht zufriedenzugeben mit dem, was man weiß. Von dieser Erfahrung umgetrieben wurde der in Billenhausen geborene und in Berlin lebende Philosoph Wilhelm Schmid nach dem Tod seiner Frau Astrid. Er plädiert in seinem neuen Buch „Den Tod überleben“für die Grenzüberschreitung.
Es scheint ihm geboten, „den Horizont eines möglichen Lebens nach dem Tod, den die moderne Kultur mutwillig verschlossen hat, mutig wieder aufzuschließen“. Der Titel von Wilhelm Schmids jüngstem Buch ist doppeldeutig und das Buch widmet sich beiden Themen:
Möglichkeiten, den eigenen Tod zu überleben oder den Tod eines besonders geliebten Menschen zu überstehen. Dem Leser eröffnet der Autor zudem eine doppelte Zugangsweise: Viele Kapitel im Buch befassen sich mit dem, was man weiß und worüber Fachleute diskutieren: Erkenntnisse der Palliativmedizin
zum Sterben und Tod; Phasen, die jemand durchläuft, der den geliebten Partner verloren hat; Möglichkeiten des Trostes; Fragen, ob und inwieweit es sinnvoll wäre, das Leben von Menschen unendlich zu verlängern; Fragen zum Suizid, der Legitimität der passiven und aktiven Sterbehilfe. Vorstellbar sind denn auch zweierlei Leser für das Buch. Solche, welche sich von diesen subtil argumentierenden und klug abwägenden Kapiteln diesseits der Grenze des wissenschaftlich als gesichert Geltenden angesprochen und bereichert fühlen und die Vorstöße über die Grenze des Wissens hinaus verweigern. Und solche Leser,
die das Greifbare mitnehmen, denen aber gerade die Grenzüberschreitung am Herzen liegt.
Wilhelm Schmid, der von sich sagt, dass er der Nüchternheit wissenschaftlicher Aussagen gern den Vorzug gebe, möchte bezüglich der Frage eines Weiterlebens nach dem Tod nichts ausschließen, vor keinem Tabu zurückschrecken. Nach dem Verlust des Partners häuften sich Zeichen, die sich als Botschaft, Hinweis und Kontaktnahme der Verstorbenen deuten ließen, meint Schmid, und mit dieser Erfahrung sei er keineswegs allein. Er spüre seine Frau und ihre Kräfte, sie begleite ihn und beeinflusse sein Denken und Fühlen womöglich intensiver, als das zu Lebzeiten der Fall gewesen sei. Ist sie in einem anderen Leben, in einem anderen Aggregatzustand, da die Energien, die vormals ihr irdisches Leben ermöglichten, nicht verloren gehen, sondern sich nur transformieren? Gibt es ein höheres Bewusstsein? Oder eine Art von Schlaf, während dem sich die Energien regenerieren vor einer „Auferweckung“oder Reinkarnation?
Wer sich in dieses Denken hineinwage, könne, so Schmid, sich in universelle, in kosmische Zusammenhänge eingebunden fühlen, die Allmacht Gottes spüren, auch dann, wenn er an einen personifizierten
Gott nicht glaube. Auch darin liegen die Stärken dieses Buches: Es öffnet das Denken für unendliche Horizonte, die weit über das individualisierte irdische Dasein hinausreichen. Es gibt Zeugnis von einer großen Liebe als einer Kraft, die Zeit und Raum überwindet.
Wilhelm Schmid: Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbaren. Berlin (Insel Verlag) 2024. 139 Seiten.