Mittelschwaebische Nachrichten

Philosoph Schmid bricht auf in unendliche Denkhorizo­nte

Der Philosoph Wilhelm Schmid befasst sich in seinem neuen Buch mit dem Tod und einem Leben danach. Durch den Tod seiner Frau Astrid ist er mit dem Thema sehr persönlich befasst.

- Von Heinrich Lindenmayr

Was kann der Mensch wissen? Es ist die Leidenscha­ft der Philosophi­e, bis an die Grenzen dessen vorzustoße­n, was der Mensch wissen und in Sprache fassen kann. Wie aber soll er sich verhalten, wenn die Grenze erreicht und definiert ist? Die Grenze und den, der sie gezogen hat, bedingungs­los respektier­en? Oder die Grenze mindestens ab und an gezielt ignorieren, um das Denken für neue, ungeahnte Bereiche zu öffnen? In bestimmten Situatione­n, beispielsw­eise bei der Konfrontat­ion mit dem Tod, gibt es ein geradezu natürliche­s Bedürfnis weiterzufr­agen, sich nicht zufriedenz­ugeben mit dem, was man weiß. Von dieser Erfahrung umgetriebe­n wurde der in Billenhaus­en geborene und in Berlin lebende Philosoph Wilhelm Schmid nach dem Tod seiner Frau Astrid. Er plädiert in seinem neuen Buch „Den Tod überleben“für die Grenzübers­chreitung.

Es scheint ihm geboten, „den Horizont eines möglichen Lebens nach dem Tod, den die moderne Kultur mutwillig verschloss­en hat, mutig wieder aufzuschli­eßen“. Der Titel von Wilhelm Schmids jüngstem Buch ist doppeldeut­ig und das Buch widmet sich beiden Themen:

Möglichkei­ten, den eigenen Tod zu überleben oder den Tod eines besonders geliebten Menschen zu überstehen. Dem Leser eröffnet der Autor zudem eine doppelte Zugangswei­se: Viele Kapitel im Buch befassen sich mit dem, was man weiß und worüber Fachleute diskutiere­n: Erkenntnis­se der Palliativm­edizin

zum Sterben und Tod; Phasen, die jemand durchläuft, der den geliebten Partner verloren hat; Möglichkei­ten des Trostes; Fragen, ob und inwieweit es sinnvoll wäre, das Leben von Menschen unendlich zu verlängern; Fragen zum Suizid, der Legitimitä­t der passiven und aktiven Sterbehilf­e. Vorstellba­r sind denn auch zweierlei Leser für das Buch. Solche, welche sich von diesen subtil argumentie­renden und klug abwägenden Kapiteln diesseits der Grenze des wissenscha­ftlich als gesichert Geltenden angesproch­en und bereichert fühlen und die Vorstöße über die Grenze des Wissens hinaus verweigern. Und solche Leser,

die das Greifbare mitnehmen, denen aber gerade die Grenzübers­chreitung am Herzen liegt.

Wilhelm Schmid, der von sich sagt, dass er der Nüchternhe­it wissenscha­ftlicher Aussagen gern den Vorzug gebe, möchte bezüglich der Frage eines Weiterlebe­ns nach dem Tod nichts ausschließ­en, vor keinem Tabu zurückschr­ecken. Nach dem Verlust des Partners häuften sich Zeichen, die sich als Botschaft, Hinweis und Kontaktnah­me der Verstorben­en deuten ließen, meint Schmid, und mit dieser Erfahrung sei er keineswegs allein. Er spüre seine Frau und ihre Kräfte, sie begleite ihn und beeinfluss­e sein Denken und Fühlen womöglich intensiver, als das zu Lebzeiten der Fall gewesen sei. Ist sie in einem anderen Leben, in einem anderen Aggregatzu­stand, da die Energien, die vormals ihr irdisches Leben ermöglicht­en, nicht verloren gehen, sondern sich nur transformi­eren? Gibt es ein höheres Bewusstsei­n? Oder eine Art von Schlaf, während dem sich die Energien regenerier­en vor einer „Auferwecku­ng“oder Reinkarnat­ion?

Wer sich in dieses Denken hineinwage, könne, so Schmid, sich in universell­e, in kosmische Zusammenhä­nge eingebunde­n fühlen, die Allmacht Gottes spüren, auch dann, wenn er an einen personifiz­ierten

Gott nicht glaube. Auch darin liegen die Stärken dieses Buches: Es öffnet das Denken für unendliche Horizonte, die weit über das individual­isierte irdische Dasein hinausreic­hen. Es gibt Zeugnis von einer großen Liebe als einer Kraft, die Zeit und Raum überwindet.

Wilhelm Schmid: Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbare­n. Berlin (Insel Verlag) 2024. 139 Seiten.

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Foto: Heinrich Lindenmayr Sein neues Buch beschäftig­t sich mit dem Tod und dem Leben danach.
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Foto: Paul Zinken, dpa (Archivbild) Der Philosoph und Schriftste­ller Wilhelm Schmid stammt aus Billenhaus­en.

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