Räuchern
Altes Ritual für neue Energie: dufte Mischungen für die Sinne
Antike Völker auf der ganzen Welt begründeten mit dem Verbrennen von Kräutern und Pflanzen einen Kult, um das Schicksal positiv zu beeinflussen. Bis heute wird das Räuchern – die Urform der Aromatherapie – als Wohltat für Körper und Seele eingesetzt. Lesen Sie, was dahinter steckt und wie ein moderner „Duftschamane“arbeitet
A ls der französische Schriftsteller und Dichter Marcel Proust Anfang des 20. Jahrhunderts den Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“schrieb, konnte er nicht ahnen, welchen besonderen Ruhm gerade seine „MadeleinePassage“(Zitat oben) einmal erlangen würde. Die Schilderung, wie die Hauptfigur des Romans allein durch den Geruch und den Geschmack eines der typisch französischen Gebäckstücke von Glücksgefühlen überwältigt wird, brachte Jahrzehnte später zahlreiche Wissenschaftler dazu, den sogenannten „Proust-effekt“näher zu erforschen: die Wir- kung von Gerüchen auf die Emotionen von Menschen.
Mit Düften Stimmungen erzeugen
Wie unmittelbar und intensiv Düfte – ob von Gebäck oder Kaffee, Waschmittel oder Parfüm, Gras oder Regen – Gefühle auslösen und Erinnerungen wachrufen können, erlebt jeder von uns unzählige Male im Leben. Da kann einen ein x-beliebiger, frisch gebohnerter Flur jäh in die Kindheit katapultieren, weil's in Großmutters Treppenhaus genauso roch. Oder der Fremde an der Bushaltestelle lässt überraschend das Herz höher schlagen – nur weil sein Mantel einen Duft-mix verströmt, der an eine verflossene Liebe erinnert. Experten zufolge soll sogar der Geruchssinn unser Gedächtnis mehr beeinflussen als jedes andere Sinnesorgan. Ein Beweis dafür ist die Tat- sache, dass das limbische System – die Gehirnregion, in der Emotionen verarbeitet und das Triebverhalten gesteuert werden – bereits reagiert, bevor wir einen Geruch bewusst wahrgenommen haben. Dieses
hochsensible Zusammenspiel führt dazu, dass sich mit Hilfe von Düften gezielt Stimmungen erzeugen lassen – und damit unser Wohlbefinden, unsere mentale Verfassung und unsere Verhaltensweisen beeinflusst werden können. Dieses Wissen wenden Aromatherapeuten an. Der renommierte Pflanzenspezialist, Aromatologe und Autor Thomas Kinkele arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit Pflanzen und deren Wirkung auf ihre Umgebung. Er setzt auf die Urform der Aromatherapie: das Räuchern. In seinem Unternehmen mit Schwerpunkt Pflanzen, ätherischen Ölen und den dazugehörigen (Räucher-)utensilien arbeitet er mit mehr als 150 verschiedenen Pflanzenarten – ein beeindruckendes Material-archiv, aus dem er aktuell knapp 100 verschiedene Räucher- mischungen herstellen kann.
Aroma als Kommunikations-medium
Kinkele ist überzeugt, dass Sträucher, Blumen & Co. mit uns Menschen kommunizieren: „Eine Pflanze erreicht über den Geruchssinn unser Gefühlszentrum und erzeugt dort eine Resonanz.“Damit meint er die individuelle Reaktion, die der Duft bei jedem einzelnen – unbewusst – hervorruft. „Zunächst äußert sich diese in Mögen oder Nichtmögen“, sagt Kinkele, der häufig als „Duftschamane“bezeichnet wird. Bei Menschen, die sich intensiver auf die Pflanze einließen, könne ihr Aro- ma darüber hinaus „eine Flut innerer Bilder auslösen“. Diese Reaktion sei dann zu Heilzwecken nutzbar. Während bei der klassischen Aromatherapie mit Pflanzenölen gearbei- tet wird, sind es beim Räuchern die (getrockneten) Pflanzenteile, die verbrannt werden. In Rauch umgewandelt, sollen sie – im spirituellen Sinne – eine Verbindung mit der feinstofflichen Ebene eingehen. „Die Schamanen der Urvölker nutzten das Räuchern immer als Kontakt- medium bei der Visionssuche“, erklärt Thomas Kinkele. Tatsächlich ist das Räuchern fast so alt wie das Feuer: Nachdem Men- schen das heiße Element entdeckt hatten, begannen sie, ihre Nahrungs- mittel und Kräuter als Opfergaben ins Feuer zu geben. Sie waren der Überzeugung, dass der aufsteigende Rauch eine Verbindung zwischen den Menschen auf der Erde und den Göttern im Himmel darstellen müsste. Das Räuchern wurde so zum Kult – und das übrigens unabhän- gig voneinander in unterschiedlichen Kulturen von Amerika bis Japan. Im Laufe der Jahrhunderte bildeten sich Rituale aus, die eng mit den Jahreszeiten, etwa der Winter- und Sommersonnenwende, verknüpft waren. Das Räuchern hat sich außerdem als Mittel zur Reinigung etabliert und wird bis heute – ganz irdisch – gegen Bakterien (zum Beispiel bei der Räucherung von Fisch und Fleisch) sowie spirituell zur Befreiung von negativen energetischen Einflüssen eingesetzt.
Kohle oder Kerze - je nach Vorliebe
Grundsätzlich ist das Räuchern überall möglich – in geschlossenen Räumen wie im Freien. Je nach persönlicher Vorliebe kann das Feuer mit Kohle oder einer Kerze entfacht werden: Räuchern mit Kohle: Dazu benötigt man ein spezielles, feuerfestes Räuchergefäß, etwa eine Räucherschale (Abbildung unten). Gut ge- eignet sind gepresste Holzkohlestückchen, die man ein paar Minuten durchglühen lässt, bis sie sich weißlich färben. Dann die getrockneten Pflanzenteile direkt auf die Kohle streuen. Sie verglühen anschließend und erzeugen duftenden Rauch. Räuchern mit Kerze: Hierfür gibt es spezielle Stövchen mit Sieb, auf das das Räuchermaterial gestreut wird (Abbildung unten). Einfach die Kerze anzünden – los geht‘s! Die speziellen Edelstahlsiebe sind gut zu reinigen (Drahtbürste, Spülmaschine); die Rauchentwicklung lässt sich über den Abstand zwischen Sieb und Flamme steuern. Insgesamt ist diese Me- thode „sauberer“als das Räuchern mit Kohle, weil die Pflanzen nicht di- rekt verbrannt werden, sie ist aber auch weniger archaisch. Ausgewählte Räucherpflanzen und in welchen Situationen sie positiv wirken können, stellen wir Ihnen auf der nächsten Seite vor.