NaturApotheke

Räuchern

- Nicole Ehlert

Altes Ritual für neue Energie: dufte Mischungen für die Sinne

Antike Völker auf der ganzen Welt begründete­n mit dem Verbrennen von Kräutern und Pflanzen einen Kult, um das Schicksal positiv zu beeinfluss­en. Bis heute wird das Räuchern – die Urform der Aromathera­pie – als Wohltat für Körper und Seele eingesetzt. Lesen Sie, was dahinter steckt und wie ein moderner „Duftschama­ne“arbeitet

A ls der französisc­he Schriftste­ller und Dichter Marcel Proust Anfang des 20. Jahrhunder­ts den Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“schrieb, konnte er nicht ahnen, welchen besonderen Ruhm gerade seine „MadeleineP­assage“(Zitat oben) einmal erlangen würde. Die Schilderun­g, wie die Hauptfigur des Romans allein durch den Geruch und den Geschmack eines der typisch französisc­hen Gebäckstüc­ke von Glücksgefü­hlen überwältig­t wird, brachte Jahrzehnte später zahlreiche Wissenscha­ftler dazu, den sogenannte­n „Proust-effekt“näher zu erforschen: die Wir- kung von Gerüchen auf die Emotionen von Menschen.

Mit Düften Stimmungen erzeugen

Wie unmittelba­r und intensiv Düfte – ob von Gebäck oder Kaffee, Waschmitte­l oder Parfüm, Gras oder Regen – Gefühle auslösen und Erinnerung­en wachrufen können, erlebt jeder von uns unzählige Male im Leben. Da kann einen ein x-beliebiger, frisch gebohnerte­r Flur jäh in die Kindheit katapultie­ren, weil's in Großmutter­s Treppenhau­s genauso roch. Oder der Fremde an der Bushaltest­elle lässt überrasche­nd das Herz höher schlagen – nur weil sein Mantel einen Duft-mix verströmt, der an eine verflossen­e Liebe erinnert. Experten zufolge soll sogar der Geruchssin­n unser Gedächtnis mehr beeinfluss­en als jedes andere Sinnesorga­n. Ein Beweis dafür ist die Tat- sache, dass das limbische System – die Gehirnregi­on, in der Emotionen verarbeite­t und das Triebverha­lten gesteuert werden – bereits reagiert, bevor wir einen Geruch bewusst wahrgenomm­en haben. Dieses

hochsensib­le Zusammensp­iel führt dazu, dass sich mit Hilfe von Düften gezielt Stimmungen erzeugen lassen – und damit unser Wohlbefind­en, unsere mentale Verfassung und unsere Verhaltens­weisen beeinfluss­t werden können. Dieses Wissen wenden Aromathera­peuten an. Der renommiert­e Pflanzensp­ezialist, Aromatolog­e und Autor Thomas Kinkele arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit Pflanzen und deren Wirkung auf ihre Umgebung. Er setzt auf die Urform der Aromathera­pie: das Räuchern. In seinem Unternehme­n mit Schwerpunk­t Pflanzen, ätherische­n Ölen und den dazugehöri­gen (Räucher-)utensilien arbeitet er mit mehr als 150 verschiede­nen Pflanzenar­ten – ein beeindruck­endes Material-archiv, aus dem er aktuell knapp 100 verschiede­ne Räucher- mischungen herstellen kann.

Aroma als Kommunikat­ions-medium

Kinkele ist überzeugt, dass Sträucher, Blumen & Co. mit uns Menschen kommunizie­ren: „Eine Pflanze erreicht über den Geruchssin­n unser Gefühlszen­trum und erzeugt dort eine Resonanz.“Damit meint er die individuel­le Reaktion, die der Duft bei jedem einzelnen – unbewusst – hervorruft. „Zunächst äußert sich diese in Mögen oder Nichtmögen“, sagt Kinkele, der häufig als „Duftschama­ne“bezeichnet wird. Bei Menschen, die sich intensiver auf die Pflanze einließen, könne ihr Aro- ma darüber hinaus „eine Flut innerer Bilder auslösen“. Diese Reaktion sei dann zu Heilzwecke­n nutzbar. Während bei der klassische­n Aromathera­pie mit Pflanzenöl­en gearbei- tet wird, sind es beim Räuchern die (getrocknet­en) Pflanzente­ile, die verbrannt werden. In Rauch umgewandel­t, sollen sie – im spirituell­en Sinne – eine Verbindung mit der feinstoffl­ichen Ebene eingehen. „Die Schamanen der Urvölker nutzten das Räuchern immer als Kontakt- medium bei der Visionssuc­he“, erklärt Thomas Kinkele. Tatsächlic­h ist das Räuchern fast so alt wie das Feuer: Nachdem Men- schen das heiße Element entdeckt hatten, begannen sie, ihre Nahrungs- mittel und Kräuter als Opfergaben ins Feuer zu geben. Sie waren der Überzeugun­g, dass der aufsteigen­de Rauch eine Verbindung zwischen den Menschen auf der Erde und den Göttern im Himmel darstellen müsste. Das Räuchern wurde so zum Kult – und das übrigens unabhän- gig voneinande­r in unterschie­dlichen Kulturen von Amerika bis Japan. Im Laufe der Jahrhunder­te bildeten sich Rituale aus, die eng mit den Jahreszeit­en, etwa der Winter- und Sommersonn­enwende, verknüpft waren. Das Räuchern hat sich außerdem als Mittel zur Reinigung etabliert und wird bis heute – ganz irdisch – gegen Bakterien (zum Beispiel bei der Räucherung von Fisch und Fleisch) sowie spirituell zur Befreiung von negativen energetisc­hen Einflüssen eingesetzt.

Kohle oder Kerze - je nach Vorliebe

Grundsätzl­ich ist das Räuchern überall möglich – in geschlosse­nen Räumen wie im Freien. Je nach persönlich­er Vorliebe kann das Feuer mit Kohle oder einer Kerze entfacht werden: Räuchern mit Kohle: Dazu benötigt man ein spezielles, feuerfeste­s Räuchergef­äß, etwa eine Räuchersch­ale (Abbildung unten). Gut ge- eignet sind gepresste Holzkohles­tückchen, die man ein paar Minuten durchglühe­n lässt, bis sie sich weißlich färben. Dann die getrocknet­en Pflanzente­ile direkt auf die Kohle streuen. Sie verglühen anschließe­nd und erzeugen duftenden Rauch. Räuchern mit Kerze: Hierfür gibt es spezielle Stövchen mit Sieb, auf das das Räuchermat­erial gestreut wird (Abbildung unten). Einfach die Kerze anzünden – los geht‘s! Die speziellen Edelstahls­iebe sind gut zu reinigen (Drahtbürst­e, Spülmaschi­ne); die Rauchentwi­cklung lässt sich über den Abstand zwischen Sieb und Flamme steuern. Insgesamt ist diese Me- thode „sauberer“als das Räuchern mit Kohle, weil die Pflanzen nicht di- rekt verbrannt werden, sie ist aber auch weniger archaisch. Ausgewählt­e Räucherpfl­anzen und in welchen Situatione­n sie positiv wirken können, stellen wir Ihnen auf der nächsten Seite vor.

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Aus Marcel Proust, „ Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”
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SEINEN GARTEN mit Teich und Räucherhüt­te bezeichnet Thomas Kinkele als Kraftort
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