Erst Außenseiter dann Freund
W andern als Heilmittel: Im St. Marien Hospital Eickel, einer Klinik für psychiatrisch-psychosomatische Erkrankungen, sind Pilgerreisen fester Bestandteil des therapeutischen Konzepts. Warum, erklärt der Chefarzt und ärztliche Direktor, Dr. med. Peter W. Nyhuis. Patienten einer Klinik gemeinsam auf Pilgerreise – wie darf man sich das konkret vorstellen? Dr. Peter W. Nyhuis: Tatsächlich brechen seit 1996 jedes Jahr im September zwei unserer Therapeuten mit rund 20 Patienten zu einer zweiwöchigen Pilgerreise auf. In den vorangehenden Monaten wird die Reise intensiv vorbereitet, auch mit Trainingswanderungen. Vor Ort legen die Gruppen jeweils etwa 200 Kilometer zurück, die nächste Tour im darauffolgenden Jahr setzt dort an, wo die letzte aufgehört hat. Auf diese Weise sind wir 2010 am Ziel des spanisch-französischen Jakobswegs, in Santiago, angekommen. Weil wir das erfolgreiche Projekt aber damit nicht beenden wollten, setzen wir es seitdem auf einem anderen „Jakobsweg“fort, der von Polen nach Frankreich führt.
Wie entstand diese ungewöhnliche Idee?
Sie wurde vor dem Hintergrund geboren, dass die Außenorientierung unserer Patienten – auch der Schwerstkranken – immer schon eine Besonderheit unserer Klinik war. Anders als 90 Prozent der vergleichbaren Einrichtungen haben wir keine geschlossene Station und gleichzeitig die niedrigste Rate an Gewaltvorkommnissen bundesweit. Mein Vorgänger überlegte damals, wie die Außenorientierung mit Bewegung vereinbar wäre. Das Pilgern war eine Lösung, die noch dazu die religiöse Basis unserer Klinik integriert.
Welche gesundheitlichen Effekte hat das Pilgern?
Bewegung an sich hat nachweislich einen antidepressiven Effekt. Beim Wandern in der Natur kommen noch die Sinneseindrücke hinzu – Stimulationen, die psychisch Kranken aufgrund ihres meist sehr zurückgezogenen Lebens fehlen. Bewegung ist aber nicht alles. Die Interaktion mit Menschen, die die Pilgerreisen mit sich bringen, wirkt zusätzlich heilend. Da werden Freundschaften geschlossen, Konflikte gelöst. Und jeder Teilnehmer bekommt eine spezielle Aufgabe. So sind zum Beispiel Patienten dafür zuständig, über die Sehenswürdigkeiten auf einer Etappe zu informieren. Andere betreuen unsichere Mitwanderer. Und der nächste kann seine Spanischkenntnisse einbringen. Mancher Außenseiter ist so plötzlich mittendrin. Fällt Ihnen ein besonders positives PatientenBeispiel ein? Ja, ein Mann, der aufgrund starker Depression mit wahnhaften Symptomen wochenlang gar keinen Anschluss fand. Bis ich ihn in eine Pilgergruppe integrierte. Inzwischen war er schon auf drei Reisen dabei und nimmt an allen Trainings und Treffen teil, obwohl er längst in einer eigenen Wohnung wohnt. Er hat eine gewisse Lebenszufriedenheit zurückerlangt.
„Um Sinnsuche ging es mir bei meiner Reise nicht, auch war keine Krise der Auslöser. Ich wollte einfach meine Füße nutzen. Staunen, was möglich ist – wie ein Kind, das gerade erst laufen kann. Ich glaube, es war mein Körper, der zu mir sagte: ,Komm, wir hauen ab!‘ Und ich wollte mal einen ganzen Sommer lang draußen sein. So wurde es eine Lust- und Bildungsreise, immer den Blick auf das Schöne und auf den Moment gerichtet. Nur davon ließ ich mich leiten, oder besser: treiben. Rechts, links, vor oder zurück – über die nächste Route entschied ich meist spontan. Ich hatte die Reise auch kaum vorbereitet, orientierte mich an der Sonne, den Kirchtürmen und mit Hilfe von Menschen. Das Handy funktionierte sowieso nur selten. Es war der Inbegriff von Freiheit. Zum Beispiel wollte ich ursprünglich nach Triest. Aber dann traf ich jemanden, der mich von Rom überzeugte. Die Generalaudienz beim Papst war dann auch ein Höhepunkt der Tour.
So eine Reise wirkt stärker nach, als man es beschreiben kann. Ich habe zum Beispiel gelernt, mir selbst und anderen mehr zu vertrauen. Ich habe alle Schuhe weggeworfen – viel zu klein! Am liebsten würde ich nur noch barfuß laufen. Früher habe ich meine Füße nie beachtet. Heute laufe ich oft die sieben Kilometer von meiner Wohnung zur Arbeit zu Fuß, teilweise tatsächlich barfuß, auch durch Pfützen und Schnee. Oder ich gehe mal ein ganzes Stück rückwärts. Ulla Menke, Vorsitzende der Miesbacher Kräuterpädagogen, hält selbst Seminare und führt Wanderungen in der Alpenregion Tegernsee-schliersee. „Für unsere Teilnehmer ist eine Wiese nicht mehr nur grün, sondern besteht aus vielen essbaren Einzelpflanzen“, sagt Ulla Menke. Unterwegs werden nicht nur Kräuter gesammelt, sondern auch Wissen rund um den Verzehr von Wildkräutern: Wann wird eine Pflanze am besten gepflückt, welche Inhaltsstoffe sind interessant und welche Rezeptidee eignet sich? Auf solche Fragen haben Expertinnen wie Ulla Menke Antworten. Darüber hinaus werden Geschichten und Legenden erzählt –„um das Wissen erinnerbar zu machen“, so Menke. Und natürlich gehört ein leckerer Wildkräuter-imbiss dazu. Wieder zu Hause, würden die meisten Teilnehmer das Gelernte in ihre Alltagsküche integrieren. „Und manches Kraut im Garten nicht einfach ausreißen, sondern verwenden“, freut sich die Kräuterpädagogin.
Nähere Infos & Termine: www.miesbacher-kraeuterpaedagogen.de
Wandern mit allen Sinnen im Allgäu
Im Hubertus in Balderschwang, der kleinsten eigenständigen Gemeinde Bayerns, entspannen Sie inmitten satter Wiesen auf 1044 Metern Höhe. Zum Hotel-programm gehören Kräuterwanderungen, Barfußwandern und Fackeltouren – alles, was die Sinne anspricht. Im Sommer dürfen Gäste auf den Alphütten bei der Käseherstellung helfen. Und auch sonst bleibt es im „Hubertus“natürlich: Beim Frühstück steht Einheimisches auf dem Speiseplan, oft finden Kräuter-workshops statt – und die Zimmer vereinen Alm-öhi-charme mit modernem Ambiente.
Für alle, die im Einklang mit der Natur urlauben wollen.
Highlight: Im Preis inbegriffen sind Yoga-, Tai Chiund Qi Gong-kurse.
Buchung: „Klassik Doppelzimmer“ab 160 € p. P. und Nacht, inkl. Frühstück, Lunch und wechselndem Abendessen-angebot sowie täglichem Aktivprogramm. www.hotel-hubertus.de