MEHR ALS EIN TREND Vegetarisch boomt weiter
Nichts hat Deutschlands Essgewohnheiten in den letzten Jahren so sehr verändert wie der Wunsch: Ich will auf Fleisch verzichten! Immer mehr vegetarische Restaurants eröffnen, vegane Köche sind die Stars ihrer Branche, und die Zahl an Kochbüchern zum Thema
M eist stehen ethische Gründe hinter dem Entschluss zum Fleischverzicht. Doch immer häufiger verweisen Veggies auch auf die gesundheitlichen Vorteile ihrer Ernährungsweise. Wir erklären, ob Pflanzenesser wirklich gesünder leben und was Vegetarier und Veganer unbedingt wissen sollten.
Die Zahl der Vegetarier hat sich verzehnfacht
Wer sich die Szene-restaurants und Cafés der Jungen und Hippen in unseren Großstädten anschaut, bekommt leicht das Gefühl, dass der Fleischesser schon eine vom Aussterben bedrohte Spezies ist. Dabei ist
die Frage, wie viele Vegetarier es derzeit wirklich in Deutschland gibt, gar nicht so leicht zu beantworten. Vegetarier-verbände geben sie mit bis zu acht Millionen an, das Robert-koch-institut geht dagegen davon aus, dass nur halb so viele Deutsche sich wirklich konsequent fleischlos ernähren. Fakt ist jedoch: Die Zahl der Vegetarier hierzulande hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als verzehnfacht, und auch die Menschen, die sich vegan ernähren, sind heute keine kleine, idealistische Minderheit mehr. Den weitreichenden Einfluss ihrer Überzeugungen zeigt eindrucksvoll eine andere Zahl: Bei einer Umfrage des Marktforschungsinstituts TNS gaben 56 Prozent der Deutschen an, dass sie heute bewusst weniger Fleisch essen als früher. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Massentierhaltung, Lebensmittelskandale und die Erkenntnis, dass zu viel Fleisch nicht nur für unsere Umwelt, sondern auch für unseren Körper richtig schädlich sein und beispielsweise die Gefahr von Herz-kreislauf-erkrankungen deutlich erhöhen kann. Denn mit dem Fleischverzehr steigen auch Blutdruck, Cholesterinwerte und das Körpergewicht. Wissenschaftler der Oxford University wiesen nach, dass Vegetarier ein 30 Prozent niedrigeres Herzinfarktrisiko haben als Fleischesser. Der Trend geht also ganz klar weg von Wurst und Schnitzel – hin zu einer ballaststoffreichen Ernährung mit viel frischem Gemüse und Obst sowie Vollkorn-getreideprodukten. Davon essen Vegetarier naturgemäß mehr als regelmäßige Fleischkonsumenten. Hülsenfrüchte und Nüsse liefern darüber hinaus wertvolle Nährstoffe, Vitamine und Antioxidantien. Zahlreiche Studien belegen, dass Vegetarier länger und gesünder leben als Fleisch-fans. Dabei spielt natürlich eine wichtige Rolle, dass ein Großteil der Veggies sich generell bewusster ernährt und gesünder lebt. Wer Fleisch links liegen lässt, so die Statistiken, trinkt meist auch weniger Alkohol, raucht seltener und achtet in der Regel mehr auf seinen Körper. Dazu passt, dass etwa 70 Prozent der Vegetarier in Deutschland weiblich sind – Frauen achten noch immer deutlich mehr auf ihre Gesundheit als Männer. Ebenfalls eine Rolle spielt, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Bildung und der Art der Ernährung: Mit zunehmendem Bildungsabschluss erhöht sich der Anteil der Menschen, die Vegetarier oder Veganer sind. Eine Nestlé-studie belegt, dass es heute vor allem gut gebildete Frauen aus urbanen Regionen sind, die sich konsequent für einen fleischfreien Lebensstil entscheiden. Aber was ist mit den Risiken einer streng veganen Ernährung, von denen immer wieder zu hören und lesen ist? Droht nicht ein Mangel etwa an Eisen, Jod oder bestimmten Vitaminen wie B12, wenn man radikal auf alle tierischen Produkte verzichtet? Die Antwort muss lauten: Jein. Für Schwangere, Stillende, ältere Menschen oder Kleinkinder gelten Regeln, die beachtet und im Zweifelsfall mit einem Arzt besprochen werden sollten (s. Kasten S. 79). Ansonsten bringt eine vegane Ernährung keine signifikanten Nachteile mit sich – und
schmälert auch nicht die Leistungsfähigkeit unseres Körpers. Schließlich gibt es inzwischen eine wachsende Zahl von Spitzensportlern, darunter Basketball-legende Dirk Nowitzki, Formel-1-champion Lewis Hamilton oder Tennis-weltstar Novak Djokovic, die vegan leben und dabei extrem erfolgreich sind. Sogar Box-bösewicht Mike Tyson ernährt sich komplett ohne tierische Produkte. Und nahm so nicht nur 50 Kilo ab, sondern kam auch zu alter, fitter Form zurück. Dass immer mehr Menschen ganz oder zeitweise auf Tofu, Seitan und Tempeh statt Schwein, Huhn oder Rind setzen, hat natürlich auch etwas mit dem deutlich gewachsenen Angebot zu tun. Mussten sich Veganer ihre Lebensmittel früher oft mühsam aus weit verstreuten Reformhäusern zusammensuchen, boomt die Veggie-branche heute gerade in Deutschland. In jedem Supermarkt gibt es inzwischen ein immer umfangreicher werdendes Angebot an pflanzlichen Produkten und Fleischalternativen. Dem Marktforschungsinstitut Nielsen zufolge machte der deutsche Lebensmittel-einzelhandel 2016 schon 160 Millionen Euro Umsatz mit vegetarischen oder veganen Wurst- und Fleischalter nativen – die jährlichen Zuwachsraten liegen hier bei 30 Prozent. Stark wachsend sind auch Angebot und Umsatz von pflanzlichen Brotaufstrichen und Milch-alternativen. Vor allem jüngeren Kunden sind hier Vorreiter: Fast jeder Fünfte der 16- bis 24-Jährigen kauft regelmäßig Fleischalternativen.
Wobei die pflanzlichen Produkte, die aussehen und schmecken wollen wie Fleisch, bei Vegetariern und Veganern durchaus umstritten sind. Denn Lebensmittel sind nicht per se gesünder, nur weil sie vegetarisch sind. Schnitzel- oder Fleischwurstimitate bleiben nun einmal industriell gefertigte Produkte – oft von den großen Fleischherstellern – mit einer langen Liste künstlicher Zutaten. Zudem sind sie hochverarbeitetet und in kleinen Portionsgrößen verpackt und damit nicht besonders umweltfreundlich. Experten geben deswegen auch Fleisch-verzichtern den guten, alten Rat, wenn möglich regionale und saisonale Produkte zu kaufen und diese frisch zuzubereiten. An Ideen und Inspirationen dafür mangelt es wirklich nicht. Kamen 2012 noch 23 vegane Kochbücher im Jahr auf den deutschen Markt, waren es 2016 schon 211. Probieren Sie doch auch unsere köstlichen vegetarischen und veganen Rezepte (ab S. 82). Guten Appetit!