Glück bedeutet…
…dankbar zu sein
I ch bin meiner Erkrankung sehr, sehr dankbar.“Auf viele wird diese Aussage irritierend wirken – erst recht, wenn man weiß, von wem sie stammt: Es ist der bekannte britische Physiker Stephen Hawking, der durch das Muskelleiden Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) seit 1970 fast vollständig gelähmt ist. In einem Interview gab der Ausnahmewissenschaftler als Gründe für seine Dankbarkeit unter anderen an, dass er sich seit der Diagnose ungestört seiner wissenschaftlichen Tätigkeit habe widmen können und immer mit maximaler Unterstützung und Wohlwollen behandelt werde. Zudem ist der 75-Jährige für humorvolle Auftritte bekannt – mehr Dankbarkeit geht wohl nicht! Stephen Hawking ist ein extremes Beispiel. Aber gerade dadurch eines, das die enorme Kraft der Dankbarkeit veranschaulicht: Sie ist eine Fähigkeit, „die uns selbst ein schweres Schicksal überwinden und neu bewerten lässt“, wie die Ärztin Dr. med. Claudia Croos-müller gegenüber sächlich arbeiten Therapeuten und Coaches mit dem Effekt der Dankbarkeit auf unser Wohlbefinden; sie ist ein zentrales Element der positiven Psychologie geworden. Umgekehrt gilt: „Der Mensch, der nicht zur Dankbarkeit fähig ist, entwickelt so hohe Ansprüche an sein Leben, dass er am Ende die innere Ruhe verliert“, sagt der Freiburger Ethikprofessor Dr. med. Giovanni Maio. So versuchen Experten, diese „vergessene Tugend“ (Dr. Croos-müller) ins Bewusstsein der Menschen zurückzuholen. Auch die Österreicherin Christiane Deutsch tut dies mit ihrer Internetplattform www.dankstelle.com: Die Website ermuntert Menschen, ihren Dank auszudrücken, wofür auch immer. Seit 2010 sind 15.000 Einträge eingegangen. Sie spiegeln die unendlich vielen Facetten der Dankbarkeit wider. Oft wird anderen Menschen liebevoll gedacht: dem Partner, Freunden oder Familienmitgliedern. Mancher Dank gilt der eigenen Person: für ein gutes Selbstwertgefühl, für innere Stärke oder den Mut, eine Herausforderung angenommen zu haben – ähnlich wie unser Fallbeispiel Anke Kipper (siehe Seite 120). Und da sind viele Einträge wie „danke für mein gemütliches Zuhause und den Garten“, die für manchen unspektakulär scheinen mögen. Nicht aber für den Ethikprofessor Giovanni Maio: „Dankbarkeit bedeutet, empfänglich zu sein für all das scheinbar Selbstverständliche, das bei genauerer Betrachtung nicht selbstverständlich ist.“ hat mit Dr. Claudia Croos-müller über das Phänomen Dankbarkeit gesprochen. Dr. Claudia Croos-müller: Ja, sie sind zufriedener mit ihrem Leben und ihren Beziehungen, sind selbstloser und bescheidener, großzügiger, können Krisen und Veränderungen besser meistern und leiden weniger unter Stress. Inzwischen ist wissenschaftlich erwiesen, dass es durch die Fähigkeit zur Dankbarkeit zu einer Ausschüttung von antidepressiven Hormonen im Körper kommt. Dies mag auch erklären, dass wer einmal konsequent mit Dankbarkeitsübungen begonnen hat, diese fortführen wird. In unserer Zeit ist sie nicht nur das, sondern sogar eine vergessene Tugend. Der römische Staatsmann und Philosoph Cicero formulierte es so: „Dankbarkeit ist nicht nur die größte aller Tugenden, sondern die Mutter aller anderen.“Dankbarkeit ist eine universelle religiöse, ethische und moralische Haltung. Unsere Einstellung zum Leben ändert sich dadurch positiv und selbst ein schweres Schicksal lässt sich durch sie überwinden und neu bewerten. Dankbarkeit kann in allen Lebensbereichen manches verbessern. Denn sie stärkt Beziehungen und soziale Bande, fördert dadurch die gegenseitige Achtung und Anerkennung.
„Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag...“– so beginnt ein bekanntes Kirchenlied, dessen Text populärer ist denn je: Dankbarkeit hat eine so vielfältige, positive Wirkung, dass Experten sie sogar therapeutisch einsetzen. Höchste Zeit, die vernachlässigte Fähigkeit in den Alltag zurückzuholen