Osteopathie– GANZHEITLICHE THERAPIE
Wer zum ersten Mal einen Osteopathen aufsucht, hat in der Regel Schmerzen im Bewegungsapparat. Tatsächlich kann die Heilkunde, die mit den Händen arbeitet, aber viel mehr.
Der amerikanische Arzt und Begründer der Osteopa
thie Andrew Taylor Still bezeichnete den menschlichen Körper im ausgehenden 19. Jahrhundert als perfekte Schöpfung. Er trage alles in sich, um Gesundheit zu bewahren oder zu finden. Folgendes wäre dafür notwendig: • Gesunde Ernährung • Ruhe und Erholung • Freiheit aller Bestandteile des Körpers Unsere Lebensumstände haben sich seither in vielen Bereichen verändert. Der Alltag ist durch den Einfluss der Medien weitaus hektischer und „schneller“geworden. Auch wenn wir uns beispielsweise bei der Arbeit körperlich kaum bewegen, arbeitet der Organismus dennoch auf Hochtouren. Der Adrenalinspiegel ist erhöht, der Herzschlag beschleunigt und die Muskulatur angespannt. Wenn wir dann noch in einer gekrümmten Sitzposition verharren, kommt es unweigerlich zu strukturellen und funktionellen Veränderungen im Körper: Muskulatur verkürzt, die Wirbelsäule verliert ihre Elastizität und Organe werden fester. Die Freiheit von Bestandteilen des Körpers geht verloren. Bei der Osteopathie handelt es sich um eine herausragende Methode für die Wiederherstellung oder Verbesserung dieser „Freiheit“im Körper. Eine alleinerziehende Frau in den Vierzigern kommt in meine Praxis wegen unerträglicher Schmerzen im unteren Rücken. Die Beschwerden verstärken sich vor allem beim Sitzen und über Nacht. Erst auf Nachfragen erfahre ich von einer längeren Leidensgeschichte wegen einer Reizblase. Frau M. arbeitet 30 Stunden in der Woche am Computer für eine große Versicherung und kümmert sich in ihrer „Freizeit“um ihre vierzehnjährige Tochter und den Haushalt. Sie beschreibt ihren Alltag als stressig. Obwohl Frau M. entspannt auf dem Rücken liegt, zucken die geschlossenen Augen. Während der osteopathischen Untersuchung fällt mir zunächst die hohe Grundspannung im Körper auf. Mit den Händen spüre ich entlang der gesamten Wirbelsäule eine tief sitzende Verkrampfung. Die untere Lendenwirbelsäule wird von verkürztem Muskel- und Bindegewebe nach vorne in Richtung Blase gezogen. Die Blasenregion selbst ist eng und fest. Ich bitte Frau M., sich möglichst vollständig zu entspannen und für die Zeit der Behandlung, so gut es geht, auch geistig Ruhe einkehren zu lassen. Mit einer sanften und gezielten Berührung am oberen und unteren Pol der Wirbelsäule nehme ich Kontakt mit der unruhigen und angespannten Aktivität des Rückenmarksschlauches auf. Ich begleite diese feinen Bewegungen zu einem momentanen Spannungsgleichgewicht, dem sogenannten Balancepunkt. Nach ein paar Minuten wird eine Stille im Gewebe spürbar, die sich im ganzen Körper ausbreitet, verbunden mit einem tiefen Atemzug von Frau M.
WIE DIE OSTEOPATHIE WIRKT
Kräften im Organismus in Kontakt gebracht werden. So kann der Körper Spannungen reduzieren, Aktivität ausgleichen und Fixierungen lösen – sowohl auf grobstofflicher als auch auf feinstofflicher Ebene. Körper und Geist sind pausenlos unzähligen äußeren und inneren Einflüssen ausgesetzt, die ausgeglichen werden müssen. Solange es den sogenannten „vitalen Kräften“gelingt, dieses Gleichgewicht zu erhalten, spricht man von Gesundheit. Wenn dies nicht ausreichend gelingt, dann kommt es zu einem Verlust des Gleichgewichts und Krankheit entsteht. Durch den Verlust des Gleichgewichts im Körper kommt es zu Funktionsstörungen. In der Folge können sich je nach Organsystem Schmerzen und andere Symptome entwickeln. Der Osteopath oder die Osteopathin kann beispielsweise Organe, Gelenke und Faszien mobilisieren, Abweichungen der Körper- sowie der Organachsen korrigieren und die Stärke und Qualität der vitalen Kräfte ausgleichen.
WO KANN DIE OSTEOPATHIE HELFEN? WANN SIE ZUM OSTEOPATHEN GEHEN KÖNNEN
schen Traumata kann eine osteopathische Behandlung den Heilungsverlauf häufig deutlich beschleunigen. Bei chronischen Schmerzen mit schulmedizinisch unklarem Befund wird oft der Begriff „Schmerzgedächtnis“bemüht. Klassische Schmerztherapie zielt darauf ab, den Schmerz medikamentös zu verringern und den Umgang mit Kompression bei der Geburt werden solche Muster wieder gelöscht, und der kleine Körper kann sich auch mithilfe der starken Aktivität zu diesem Zeitpunkt gewissermaßen neu entfalten. Die Flut von Hormonen, die während einer natürlichen Geburt freigesetzt wird, unterstützt außerdem maßgeblich die Bindung zwischen Mutter und Kind in den ersten Stunden nach der Geburt. Bei einer Kaiserschnittgeburt bleiben diese Mechanismen aus. Nach der Geburt sind sowohl Mutter als auch Kind beim Osteopathen in den besten Händen. Wenn Neugeborene viel schreien und sich nicht beruhigen lassen, dann haben sie in aller Regel Schmerzen. Osteopathisch lassen sich schmerzhafte Spannungen am Schädel, an der Wirbelsäule oder im Bauch präzise ertasten und gezielt lösen. Durch die starke Belastung bei der Geburt kommt es bei der jungen Mutter häufig zu Beschwerden im Rücken und Becken. In diesen Fällen und auch bei Blasenschwäche kann die Osteopathie zuverlässig helfen. Vor einiger Zeit kam ein Patient in meine Praxis wegen deutlich erhöhter Leberwerte unbekannter Ursache. Der Herr lebte einigermaßen gesund, trank keinen Alkohol und hatte im Vorfeld keine Erkrankungen, die für eine Belastung der Leber typisch wären. Im Gespräch (Anamnese) erfuhr ich von einem schweren Autounfall, den der Patient aber ohne äußere Verletzungen überstanden hatte. Bei der manuellen Untersuchung war die Leber unauffällig. Allerdings war im Inneren der Wirbelsäule deutlich eine längsverlaufende Anspannung des Rückenmarks
WAS MIR AN DER OSTEOPATHIE GEFÄLLT
Nervensystems zu einer Fehlregulation eines inneren Organs geführt. Eine Behandlung der Leber wäre hier deshalb unwirksam geblieben. Mich fasziniert die Möglichkeit, den Körper mit seiner Funktion über die Hände zu erfahren. So behandle ich als Osteopath genau diejenigen Bereiche, an denen ich Veränderungen finde. Während der Behandlung nehme ich gewissermaßen wahrnehmend an der Heilung teil. Dieses Miterleben von Gesundheit im Menschen macht für mich den Reiz der Osteopathie aus. Alle körperlichen und geistigen Prozesse sind in ständiger Bewegung. Auch Heilung funktioniert am besten, wenn sich das Gewebe frei in alle Richtungen bewegen kann. Eine Ruhigstellung von Gelenken sollte meiner Meinung nach auf den absolut notwendigen Zeitraum beschränkt bleiben. Aber nicht jede Art von Bewegung ist auch gesund. Gesunde körperliche Bewegung muss meiner Meinung nach nicht anstrengend sein. Ein Zitat eines chinesischen Tai-chi-meisters besagt, man solle jede Übung vermeiden, die mit einer Beschleunigung des Herzschlags einhergehe. Ich habe einige Meditierende kennengelernt, die überhaupt keinen Sport treiben, aber durch die Meditation geistig extrem beweglich und auch körperlich flexibel sind. Ich selbst meditiere seit etwa zehn Jahren, treibe keinerlei Sport und meine körperliche Gesundheit hat sich seither verbessert, von der geistigen gar nicht zu reden. Allerdings achte ich sehr auf eine entspannte, aufgerichtete und offene Körperdynamik bei der Arbeit und privat. Ich versuche,
LEBEN IST BEWEGUNG