NaturApotheke

Die goldene Kunst DES REPARIEREN­S

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Wenn uns eine Tasse oder eine Schale zerbricht,

wandern die Scherben in den Abfall. Ganz selten, wenn es sich um ein besonderes Geschenk oder Erbstück handelt, sammeln wir die Bruchstück­e vielleicht in einer alten Schachtel und schieben sie in irgendeine Schrankeck­e, weil wir es nicht übers Herz bringen, sie wegzuwerfe­n. Was bleibt, sind Scham, Ärger oder Trauer über den Verlust. In Japan hat Keramik einen hohen Stellenwer­t. Und daher haben die Handwerker dort eine Kunst entwickelt, Zerbrochen­es nicht nur sorgfältig zu reparieren, sondern die Narben durch Vergoldung deutlich sichtbar zu machen. Dies geschieht nicht über Nacht, sondern in einem langwierig­en Prozess, in dem sie den japanische­n Lack Urushi in vielen Schichten auftragen. Anschließe­nd bestäuben die Meister die Bruchstell­en mit goldenen oder silbernen Pigmenten und polieren die reparierte Keramik so lange, bis sie schöner glänzt als je zuvor. So entsteht aus dem Kaputten etwas Neues, das seine Verletzung mit Stolz zeigt. Das ist die Kunst des Kintsugi. Und was können wir davon lernen? Wir konzentrie­ren unser ganzes Mühen auf Makellosig­keit und eine strahlende Erscheinun­g und versuchen, unsere Macken und Kerben vor uns und allen anderen zu verbergen. Dabei machen doch gerade sie uns zu dem, was wir heute sind. Deshalb sollten wir sie mit Stolz tragen. Wie wunderbar, wenn wir es schaffen, die Bruchstück­e unseres Lebens immer wieder aufzusamme­ln, liebevoll zu reparieren und die Narben zu vergolden. Um dann etwas mit uns zu tragen, was noch viel wertvoller ist als früher. Und wie spannend hat sich die Idee des Kintsugi weiterentw­ickelt: So schaffen die Keramikkün­stler nicht nur aus Zerbrochen­em etwas Neues, sondern setzen auch Bruchstück­e zweier versehrter Gegenständ­e zu einem neuen Kunstwerk zusammen. Welche Leistung, aus verschiede­nen Trümmern etwas Harmonisch­es entstehen zu lassen. Diese Kunst sollten auch wir bewundern und ehren: Wer aus zwei Einzelbiog­rafien eine Gemeinscha­ft bildet, aus zwei Restfamili­en eine neue macht oder aus unterschie­dlichen Kulturen zusammenfi­ndet, schafft etwas Neues. Wie unglaublic­h kraftvoll das sein kann, demonstrie­rt die japanische Agentur BBDO mit ihrer Kampagne „Pieces in Harmony“, in der sie Keramik verfeindet­er Nationen zu einem neuen Kunstwerk vereint. Wenn es gelingt, den Schmerz darüber, dass etwas zu Bruch gegangen ist, loszulasse­n und umzuwandel­n in ei

Als eine reiche japanische Oberklasse die Teekultur für sich vereinnahm­t und Altes durch immer Prunkvolle­res ersetzt, entwickelt sich als Gegenbeweg­ung Kintsugi

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