Warum das Soay-schaf unsere Zukunft retten kann
Die Rote Liste gefährdeter Tierarten ist lang und wächst weiterhin rasant. Wissenschaftler schätzen, dass pro Tag zwischen 50 und 150 Pflanzen- und Tierarten aussterben und so für immer von der Erde verschwinden. Ein eigentlich natürlicher Prozess, in den der Mensch stark negativ eingegriffen hat
Biodiversität spielt eine große Rolle für den Planeten. Der Eingriff in die Vielfalt bedeutet eine große Belastung für die Umwelt. Wichtige Wechselbeziehungen der Natur werden stark belastet oder zerstört, Genpools verkleinert, Entwicklungsmöglichkeiten verhindert. Ich selbst denke beim Thema Artensterben an ferne Welten wie Pandas, Delfine oder Affenarten, an gerodete Urwälder und zerstörte Lebensräume – ein bedrohliches, aber fernes Bild. Doch auch ganz nah in der Landwirtschaft findet sich das Thema. Das beweist das Konzept der Archen. In ganz Deutschland verteilt finden sich weit über hundert Arche-parks, -Höfe, -Regionen und sogar ein Arche-dorf. Ihr Ziel ist es, bedrohte Nutztiere wie Schweine, Rinder oder Hühner zu schützen, indem sie die Artenvielfalt erhalten, wahren und den Kontakt zwischen Tier und Mensch wieder stärken. Dieses Konzept behauptet sich seit 2007, als der älteste Arche-park Petermoor in Bassum seine Tore öffnete – erstmals unter dem offiziellen Titel einer Arche. Ursprünglich ein Präsentationszentrum exotischer Tiere, wandelte der Park sich bald zu einem Auffangbecken für die gefährdete Vielfalt der Nutztierrassen. Neben der Konzentration auf die Zucht sollte den Besuchern die Vielfalt vor Augen geführt werden. Das Konzept hat großen Anklang gefunden, da so viele Bestände wieder vergrößert werden konnten.
VIELFALT ALS MEHRWERT
Doch weshalb ausgerechnet Nutztiere? Reichen die vorhandenen für die Nachfrage an tierischen Produkten nicht aus? Oft höre ich, dass Biodiversität eine wichtige Rolle spielt, die Gründe dafür werden jedoch selten erklärt. Dabei vergrößert die Erhaltungszucht der verschiedenen Archen nicht nur Bestände alter und kostbarer Arten. Die Vielfalt des Genpools birgt gleichzeitig auch den Vorteil, auf Klimaumschwünge und neue landwirtschaftliche Modelle reagieren zu können. Denn jede dieser Rassen hat Qualitäten, die bereits von unseren Vorfahren geschätzt wurden. Viele dieser Tiere sind robuster oder gut geeignet für die Freilandhaltung. Durch die Abwendung von der industriellen Massenhaltung mit Hochleistungstieren suchen biologisch orientierte Landwirte wieder nach strapazierfähigen und anpassungsfähigen Tieren. Hierfür bietet ein bunter Genpool mehr Möglichkeiten. Auch im biologischen Forschungsbereich dient der Arche-bestand oft als Quelle wissenschaftlicher Untersuchungen und Entdeckungen. In Zusammenarbeit mit Universitäten und Instituten werden so verschiedene Rassen erforscht.
RASSENVIELFALT ZUM ANFASSEN
Um mir selbst ein Bild zu machen, besuche ich den Tierpark der Arche Warder bei Kiel. Dieser ist mit rund 40 Hektar Europas größtes Zentrum zum Erhalt von über 80 verschiedenen Rassen. Von der beschriebenen Rassenvielfalt kann ich mir vorab nur schwer ein Bild machen. In meiner schwachen Fantasie haben Schweine, Hühner und andere Nutztiere ein bestimmtes Aussehen – ähnlich den Bildern aus Kinderbüchern. Kaum vorstellbar, dass dort gleich ein ganzes Schweineland mit verschiedensten Rassen auf mich wartet. Empfangen werde ich von Stefanie Klingel, die mir in den nächsten Stunden die Bedeutung des Arche-konzepts und des Parks erläutert. Sie ist seit zwölf Jahren fester Bestandteil des Parks und weist als Tierpark-pädagogin ebenfalls auf den Bildungsauftrag der Einrichtung hin: „Für uns ist der Kontakt zwischen Tier und Mensch eine der wichtigsten Aufgaben. Wir wollen die Distanz zwischen Mensch und Nutztier wieder verringern.“Ein Beispiel dafür finde ich zu Beginn des Rundgangs im Hofladen. Dort wird nicht nur Honig aus der Region angeboten, sondern es gibt auch Fleischprodukte der im Park gehaltenen Tiere. Stefanie Klingel dazu: „Die Arche ist kein Gnadenhof, sondern ein Zuchtpark.“Das bedeutet auch, dass zur Zucht ungeeignete Tiere nach gewisser Zeit in einem Schlachthof geschlachtet werden. „Wir wünschen uns, unsere Besucher zum Nachdenken anzuregen und mehr Wertschätzung für das Fleisch zu vermitteln.“So wider
sprüchlich es auch klingt, der Konsum der Tiere ist im Sinne der Artenerhaltung, denn bei größerem Bedarf werden mehr Tiere gezüchtet. Gleichzeitig leben diese Tiere bis zur Schlachtung in artgerechter Haltung.
KULTURGUT TIER
Dass Nutztiere wichtiges Kulturgut sind, zeigt die Steinzeitsiedlung der Arche, die die Geschichte des Nutztiers erläutert. Dort wartet auch die älteste Tierrasse der Arche auf uns, das kleine und gehörnte Soay-schaf. Dieses hat seinen Ursprung in der Bronzezeit. „Das lebendige Tier hatte viel mehr Wert für den Bauern als ein totes. Ein Schaf bedeutete früher nicht nur Fleisch, sondern eine gesamte Lebensgrundlage durch Milch, Wolle und Zuchtpotenzial“, erklärt mir die Pädagogin (siehe dazu auch Naturapotheke 2/19). Unser Weg führt uns an einer Pferdekoppel vorbei. Hier finde ich gleich ein gutes Beispiel für die Rolle der Biodiversität, auf der Koppel wächst neben Gebüsch auch wilder Thymian, ein besonderes Wildkraut. Um die Landschaft mit Rücksicht auf die Kräuter zu pflegen, grasen hier die Pferde. Sie kürzen die Planzen, nehmen aber Abstand vom Thymian, da dieser zu geschmacksintensiv ist – eine Win-win-situation. Über die Koppel traben mir Tiere verschiedener Rassen entgegen. Neben einem großen braunen Maultier auch zwei Exemplare, die dank der hellen Fellfarbe und des dunklen Aalstriches auf dem Rücken sehr nach Wildpferden aussehen. „Aber es sind keine – obwohl das jahrelang angenommen wurde“, führt Stefanie Klingel aus. „Forschungen haben herausgefunden, dass sie vom domestizierten Pferd abstammen und zu diesem Aussehen gezüchtet wurden. Das merkt man auch an ihrem Verhalten. Sie sind viel leichter zu händeln.“Was genau der Unterschied zwischen wildem Ursprungstier und unserem domestizierten Nutztier ist, lerne ich bei den Hühnern. Dort wartet wieder eine beeindruckende Vielfalt auf uns: Das klassisch anmutende Vorwerkhuhn, das Brakel-huhn mit Streifenkleid und auch das imposant-marmorierte Brahma-huhn lassen sich gerne von uns füttern. Zuletzt führt unser Weg an der Ursprungsrasse des Huhns, dem indonesischen Bakivahuhn, vorbei – das ich glatt übersehe. Unscheinbar braun, klein und zurückhaltend hockt das Pärchen im Gehege. Nur der Hahn trägt etwas Farbe. „Deshalb wird er in der freien Wildbahn häufiger gefressen als die Hennen. So gleicht sich auch der Bestand wieder aus, denn Hühner und Hähne kommen beinahe im gleichen Verhältnis aus dem Ei “, erklärt mir die Pädagogin. Auch bei anderen Tierarten wird mir der lange Weg bis zum zahmen Nutztier vor Augen geführt.
EIN GESICHT FÜR DIE BIODIVERSITÄT
Auch private Halter interessieren sich für die Hühnerrassen. Denn wenn schon Hühner, warum dann nicht gleich Arten retten? Hier berät die Arche gerne und vermittelt ihren Bestand. Damit der Park damit Erfolg hat, legt er viel Wert auf Öffentlichkeitsarbeit. So oft wie möglich treten Mitarbeiter nach außen, um darauf aufmerksam zu machen. „Wir sehen es als Aufgabe, für die Vielfalt Gesicht zu zeigen“sagt Stefanie Klingel. Wie alle Archen funktioniert das System des Parks nur aufgrund der Mischung von Fördergeldern, Eintrittsgeldern der Besucher, Spenden und Tierpatenschaften. Bei dem Wort „Patenschaft“horche ich auf, denn in viele Tiere habe ich mich beim ersten Kontakt direkt verliebt. Etwa in das sanftmütig-starke Maultier. Warum also nicht sein eigenes Tier adoptieren? Bei den rund 2000 Tieren des Parks werden die Spenden verteilt eingesetzt, um das Umfeld der Tiere stetig auszubauen und zu erweitern. Stichwort Umfeld: Auf unserem Weg sind wir im Schweineland angekommen, und ich muss zugeben – die Schweine sehen richtig glücklich aus. Die Gehege sind perfekt auf die Arten abgestimmt, im Sommer schwimmen die Tiere sogar im Teich. Uns traben verschiedene Borstentiere entgegen: groß, klein und schwarz, gefleckt oder gestreift und mit großen Ohren. Auch der Pädagogin sieht man den Spaß an der Arbeit mit den Tieren an. Auf unserem Weg spricht sie fast jedes der Tiere namentlich an, etwa das 450 Kilogramm schwere Schwein Sirius oder das ungarische Steppenrind Juri, das aus der Ferne schon mit seinen großen Hörnern auffällt. Auch für die Besucher soll der Ausflug in die Arche ein Erlebnis sein. Neben der Ausstellung dient er auch der Entspannung, denn auf den schön angelegten Wanderwegen darf fleißig gestreichelt und gefüttert werden.