NaturApotheke

Warum das Soay-schaf unsere Zukunft retten kann

- NATASCHA HAAG

Die Rote Liste gefährdete­r Tierarten ist lang und wächst weiterhin rasant. Wissenscha­ftler schätzen, dass pro Tag zwischen 50 und 150 Pflanzen- und Tierarten aussterben und so für immer von der Erde verschwind­en. Ein eigentlich natürliche­r Prozess, in den der Mensch stark negativ eingegriff­en hat

Biodiversi­tät spielt eine große Rolle für den Planeten. Der Eingriff in die Vielfalt bedeutet eine große Belastung für die Umwelt. Wichtige Wechselbez­iehungen der Natur werden stark belastet oder zerstört, Genpools verkleiner­t, Entwicklun­gsmöglichk­eiten verhindert. Ich selbst denke beim Thema Artensterb­en an ferne Welten wie Pandas, Delfine oder Affenarten, an gerodete Urwälder und zerstörte Lebensräum­e – ein bedrohlich­es, aber fernes Bild. Doch auch ganz nah in der Landwirtsc­haft findet sich das Thema. Das beweist das Konzept der Archen. In ganz Deutschlan­d verteilt finden sich weit über hundert Arche-parks, -Höfe, -Regionen und sogar ein Arche-dorf. Ihr Ziel ist es, bedrohte Nutztiere wie Schweine, Rinder oder Hühner zu schützen, indem sie die Artenvielf­alt erhalten, wahren und den Kontakt zwischen Tier und Mensch wieder stärken. Dieses Konzept behauptet sich seit 2007, als der älteste Arche-park Petermoor in Bassum seine Tore öffnete – erstmals unter dem offizielle­n Titel einer Arche. Ursprüngli­ch ein Präsentati­onszentrum exotischer Tiere, wandelte der Park sich bald zu einem Auffangbec­ken für die gefährdete Vielfalt der Nutztierra­ssen. Neben der Konzentrat­ion auf die Zucht sollte den Besuchern die Vielfalt vor Augen geführt werden. Das Konzept hat großen Anklang gefunden, da so viele Bestände wieder vergrößert werden konnten.

VIELFALT ALS MEHRWERT

Doch weshalb ausgerechn­et Nutztiere? Reichen die vorhandene­n für die Nachfrage an tierischen Produkten nicht aus? Oft höre ich, dass Biodiversi­tät eine wichtige Rolle spielt, die Gründe dafür werden jedoch selten erklärt. Dabei vergrößert die Erhaltungs­zucht der verschiede­nen Archen nicht nur Bestände alter und kostbarer Arten. Die Vielfalt des Genpools birgt gleichzeit­ig auch den Vorteil, auf Klimaumsch­wünge und neue landwirtsc­haftliche Modelle reagieren zu können. Denn jede dieser Rassen hat Qualitäten, die bereits von unseren Vorfahren geschätzt wurden. Viele dieser Tiere sind robuster oder gut geeignet für die Freilandha­ltung. Durch die Abwendung von der industriel­len Massenhalt­ung mit Hochleistu­ngstieren suchen biologisch orientiert­e Landwirte wieder nach strapazier­fähigen und anpassungs­fähigen Tieren. Hierfür bietet ein bunter Genpool mehr Möglichkei­ten. Auch im biologisch­en Forschungs­bereich dient der Arche-bestand oft als Quelle wissenscha­ftlicher Untersuchu­ngen und Entdeckung­en. In Zusammenar­beit mit Universitä­ten und Instituten werden so verschiede­ne Rassen erforscht.

RASSENVIEL­FALT ZUM ANFASSEN

Um mir selbst ein Bild zu machen, besuche ich den Tierpark der Arche Warder bei Kiel. Dieser ist mit rund 40 Hektar Europas größtes Zentrum zum Erhalt von über 80 verschiede­nen Rassen. Von der beschriebe­nen Rassenviel­falt kann ich mir vorab nur schwer ein Bild machen. In meiner schwachen Fantasie haben Schweine, Hühner und andere Nutztiere ein bestimmtes Aussehen – ähnlich den Bildern aus Kinderbüch­ern. Kaum vorstellba­r, dass dort gleich ein ganzes Schweinela­nd mit verschiede­nsten Rassen auf mich wartet. Empfangen werde ich von Stefanie Klingel, die mir in den nächsten Stunden die Bedeutung des Arche-konzepts und des Parks erläutert. Sie ist seit zwölf Jahren fester Bestandtei­l des Parks und weist als Tierpark-pädagogin ebenfalls auf den Bildungsau­ftrag der Einrichtun­g hin: „Für uns ist der Kontakt zwischen Tier und Mensch eine der wichtigste­n Aufgaben. Wir wollen die Distanz zwischen Mensch und Nutztier wieder verringern.“Ein Beispiel dafür finde ich zu Beginn des Rundgangs im Hofladen. Dort wird nicht nur Honig aus der Region angeboten, sondern es gibt auch Fleischpro­dukte der im Park gehaltenen Tiere. Stefanie Klingel dazu: „Die Arche ist kein Gnadenhof, sondern ein Zuchtpark.“Das bedeutet auch, dass zur Zucht ungeeignet­e Tiere nach gewisser Zeit in einem Schlachtho­f geschlacht­et werden. „Wir wünschen uns, unsere Besucher zum Nachdenken anzuregen und mehr Wertschätz­ung für das Fleisch zu vermitteln.“So wider

sprüchlich es auch klingt, der Konsum der Tiere ist im Sinne der Artenerhal­tung, denn bei größerem Bedarf werden mehr Tiere gezüchtet. Gleichzeit­ig leben diese Tiere bis zur Schlachtun­g in artgerecht­er Haltung.

KULTURGUT TIER

Dass Nutztiere wichtiges Kulturgut sind, zeigt die Steinzeits­iedlung der Arche, die die Geschichte des Nutztiers erläutert. Dort wartet auch die älteste Tierrasse der Arche auf uns, das kleine und gehörnte Soay-schaf. Dieses hat seinen Ursprung in der Bronzezeit. „Das lebendige Tier hatte viel mehr Wert für den Bauern als ein totes. Ein Schaf bedeutete früher nicht nur Fleisch, sondern eine gesamte Lebensgrun­dlage durch Milch, Wolle und Zuchtpoten­zial“, erklärt mir die Pädagogin (siehe dazu auch Naturapoth­eke 2/19). Unser Weg führt uns an einer Pferdekopp­el vorbei. Hier finde ich gleich ein gutes Beispiel für die Rolle der Biodiversi­tät, auf der Koppel wächst neben Gebüsch auch wilder Thymian, ein besonderes Wildkraut. Um die Landschaft mit Rücksicht auf die Kräuter zu pflegen, grasen hier die Pferde. Sie kürzen die Planzen, nehmen aber Abstand vom Thymian, da dieser zu geschmacks­intensiv ist – eine Win-win-situation. Über die Koppel traben mir Tiere verschiede­ner Rassen entgegen. Neben einem großen braunen Maultier auch zwei Exemplare, die dank der hellen Fellfarbe und des dunklen Aalstriche­s auf dem Rücken sehr nach Wildpferde­n aussehen. „Aber es sind keine – obwohl das jahrelang angenommen wurde“, führt Stefanie Klingel aus. „Forschunge­n haben herausgefu­nden, dass sie vom domestizie­rten Pferd abstammen und zu diesem Aussehen gezüchtet wurden. Das merkt man auch an ihrem Verhalten. Sie sind viel leichter zu händeln.“Was genau der Unterschie­d zwischen wildem Ursprungst­ier und unserem domestizie­rten Nutztier ist, lerne ich bei den Hühnern. Dort wartet wieder eine beeindruck­ende Vielfalt auf uns: Das klassisch anmutende Vorwerkhuh­n, das Brakel-huhn mit Streifenkl­eid und auch das imposant-marmoriert­e Brahma-huhn lassen sich gerne von uns füttern. Zuletzt führt unser Weg an der Ursprungsr­asse des Huhns, dem indonesisc­hen Bakivahuhn, vorbei – das ich glatt übersehe. Unscheinba­r braun, klein und zurückhalt­end hockt das Pärchen im Gehege. Nur der Hahn trägt etwas Farbe. „Deshalb wird er in der freien Wildbahn häufiger gefressen als die Hennen. So gleicht sich auch der Bestand wieder aus, denn Hühner und Hähne kommen beinahe im gleichen Verhältnis aus dem Ei “, erklärt mir die Pädagogin. Auch bei anderen Tierarten wird mir der lange Weg bis zum zahmen Nutztier vor Augen geführt.

EIN GESICHT FÜR DIE BIODIVERSI­TÄT

Auch private Halter interessie­ren sich für die Hühnerrass­en. Denn wenn schon Hühner, warum dann nicht gleich Arten retten? Hier berät die Arche gerne und vermittelt ihren Bestand. Damit der Park damit Erfolg hat, legt er viel Wert auf Öffentlich­keitsarbei­t. So oft wie möglich treten Mitarbeite­r nach außen, um darauf aufmerksam zu machen. „Wir sehen es als Aufgabe, für die Vielfalt Gesicht zu zeigen“sagt Stefanie Klingel. Wie alle Archen funktionie­rt das System des Parks nur aufgrund der Mischung von Fördergeld­ern, Eintrittsg­eldern der Besucher, Spenden und Tierpatens­chaften. Bei dem Wort „Patenschaf­t“horche ich auf, denn in viele Tiere habe ich mich beim ersten Kontakt direkt verliebt. Etwa in das sanftmütig-starke Maultier. Warum also nicht sein eigenes Tier adoptieren? Bei den rund 2000 Tieren des Parks werden die Spenden verteilt eingesetzt, um das Umfeld der Tiere stetig auszubauen und zu erweitern. Stichwort Umfeld: Auf unserem Weg sind wir im Schweinela­nd angekommen, und ich muss zugeben – die Schweine sehen richtig glücklich aus. Die Gehege sind perfekt auf die Arten abgestimmt, im Sommer schwimmen die Tiere sogar im Teich. Uns traben verschiede­ne Borstentie­re entgegen: groß, klein und schwarz, gefleckt oder gestreift und mit großen Ohren. Auch der Pädagogin sieht man den Spaß an der Arbeit mit den Tieren an. Auf unserem Weg spricht sie fast jedes der Tiere namentlich an, etwa das 450 Kilogramm schwere Schwein Sirius oder das ungarische Steppenrin­d Juri, das aus der Ferne schon mit seinen großen Hörnern auffällt. Auch für die Besucher soll der Ausflug in die Arche ein Erlebnis sein. Neben der Ausstellun­g dient er auch der Entspannun­g, denn auf den schön angelegten Wanderwege­n darf fleißig gestreiche­lt und gefüttert werden.

 ??  ??
 ??  ?? hat Das Soay-schaf in der seinen Ursprung . Heute teilt Bronzezeit vielen Nutzes sich mit Platz auf tieren einen Liste bedrohder Roten ter Tierarten
hat Das Soay-schaf in der seinen Ursprung . Heute teilt Bronzezeit vielen Nutzes sich mit Platz auf tieren einen Liste bedrohder Roten ter Tierarten
 ??  ?? Stefanie Klingel erklärt den Rückgang der Vielfalt aufgrund der starken Züchtung einiger weniger Hochleistu­ngsrassen
Stefanie Klingel erklärt den Rückgang der Vielfalt aufgrund der starken Züchtung einiger weniger Hochleistu­ngsrassen
 ??  ?? 2
2
 ??  ?? 3 1) Bunt und imposant: Das Brahma-huhn 2) Streichelk­ontakt mit dem sanftmütig­en Maultier 3) Das englische Parkrind ist die älteste Rinderrass­e der Welt
3 1) Bunt und imposant: Das Brahma-huhn 2) Streichelk­ontakt mit dem sanftmütig­en Maultier 3) Das englische Parkrind ist die älteste Rinderrass­e der Welt
 ??  ?? 1
1

Newspapers in German

Newspapers from Germany