Panchakarma: Entgiften nach Ayurveda
Wie kann man nur so müde sein? 20 Tage zwischen Erschöpfung und Erneuerung: ein ganz persönliches Tagebuch einer Ayurveda-entgiftungskur
Mit matten Schritten schlurfe ich zum Frühstück, verspeise schläfrig Suppe, Fruchtsaft und Kokosfladen. Ich sitze wie alle Gäste des Surya Lanka Ayurveda Kur Resort alleine an einem Tisch mit Blick auf den Indischen Ozean, der hinter dem Klinikgelände glitzert. Leise kommen und gehen die anderen Gäste, leise wird serviert und abgeräumt. Die einzigen Geräusche hier kommen vom „Schscht Schscht“der Reisigbesen, mit denen der Park unermüdlich blitzsauber gehalten wird. Und vom aufgeregten Zwitschern der Eichhörnchen, die über mir im Baum hin und hersausen und es auf meine Mango abgesehen haben. Ich bin auf Sri Lanka, einem wunderschönen Flecken Erde, von dem ich bei meinem Aufenthalt kaum mehr als die traumhafte Bucht vor meiner Nase kennenlernen werde, denn ich unterziehe mich hier einer ayurvedischen Panchakarma-kur. In gesundem Zustand hätte ich nie gedacht, dass ich um die halbe Welt fliegen würde, um drei Wochen lang in einer Ayurveda-klinik zu verweilen. Aber ich habe „Rücken“. Dauerschmerzen plagen mich seit Jahren, zuletzt kamen verstärkt Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten hinzu. Nachdem ich mein Mobiltelefon in die Spülmaschine einsortiert und wiederholt Dinge vergessen hatte, wusste ich, dass ich dringend eine Auszeit benötige. Die Empfehlung meiner Freundin zu einer Panchakarma-kur auf Sri Lanka kam im richtigen Moment. Mich beeindruckte, wie erholt sie von dort zurückkam und wie lange sie von diesem Besuch zehrte. Ich weiß nicht sehr viel über Ayurveda, aber ich nehme diese Chance wahr, lasse mich ein. Das Surya Lanka ist eines der ältesten Ayurveda-ressorts auf Sri Lanka und wirbt mit einer authentischen Reinigungskur nach den Regeln des klassischen Ayurveda. Tatsächlich ist es mehr Klink als Wellnesshotel. Zentrum und Blickfang der Anlage bildet eine riesige uralte Würgefeige, deren Krone ein Doppelhaus überdecken könnte. Ihre Luftwurzeln und verschlungenen Äste sehen wild und ungezähmt aus und bilden einen beeindruckenden Kontrast zu dem penibel gepflegten Gelände der Klinik. Ich bewohne ein schlichtes Zimmer. Das große Doppelbett in seiner Mitte wird mein Hauptaufenthaltsort während der nächsten drei Wochen. Dort werde ich mich von den Behandlungen erholen, tagträumen, auf Reaktionen meines Darms warten und natürlich – schlafen! Die wichtigsten Utensilien meiner Kur passen auf einen kleinen Tisch: Zwei große Wickeltücher, die ich die meiste Zeit tragen werde, eine Zwei-liter-thermoskanne mit heißem Wasser und zwei ebenso große Flaschen mit kaltem Wasser. Der Kuralltag startet am Morgen des zweiten Tages mit der Erstkonsultation bei Dr. Takshila. Sie ist ausgebildete Schulmedizinerin und Ayurveda-ärztin, Ende dreißig und seit neun Jahren hier im Surya Lanka. Ihre Fragen zu meiner Krankengeschichte, zu Unverträglichkeiten und Essgewohnheiten gehören ebenso zur Untersuchung wie die Kontrolle von Haut, Zunge, Blutdruck, Puls und Gewicht. Bei der nachmittäglichen Auswertung erklärt sie mir mein Dosha,
also meinen ayurvedischen Konstitutionstyp, und überreicht mir einen Ernährungsplan. Als Pitta-vata-typ soll ich alles Scharfe, Saure sowie rohe Salate meiden, bevorzugt bitter essen. Beim täglichen Mittags- und Abendbuffet wachen die Küchenchefs von nun an mit Argusaugen darüber, dass ich auch wirklich nur die richtigen Speisen zu mir nehme. Auf meinem Behandlungsplan befinden sich vier bis sieben Kreuze täglich für Anwendungen, über den Tag verteilt. Wäre ich gesund, fände ich die Aussicht auf die kommenden Wochen langweilig. Aber ich bin erschöpft genug, um die Leerzeiten zwischen den festen Terminen als erholsam zu verspüren. Und: Panchakarma wird anstrengend!
DIE INNERE ÖLUNG
Die Tage zwei bis vier beginnen um 7.00 Uhr mit einem besonderen Morgendrink: Ein Stamperl Öl, ex auf nüchternen Magen herunterzuschlucken. Zum Trost gibt es ein Glas warmes Wasser hinterher. Die Portion Öl oder Ghee dient der sogenannten inneren „Ölung“des Darms, der Prozess nennt sich „Snehanam“und ist der vorbereitende Schritt auf die Entgiftungsphase. Kein Frühstück, reduzierte Kost, kein Schwimmen und viel Öl. Massagen mit reichlich kräuterversetztem Öl begleiten jeden Schritt der Kur und dienen neben der Entspannung dem Zweck, den Stoffwechsel anzuregen, die Blutzirkulation zu verbessern, das Gewebe zu beleben und toxische Stoffe aus den Zellen über die Haut abzutransportieren. Jeder Patient erhält hier seine spezielle Zusammensetzung je nach Diagnose und Behandlungsart. Das bedeutet für mich neben dem Öl für den Körper eines für die Haare (kopfhautberuhigend und haarkräftigend), eines für die Stirngüsse (entspannend), eines für die Rückenwickel (muskelberuhigend und -stärkend). Müdigkeit dominiert auch die nächsten Tage. Hatte ich mir vorgenommen, den Kuraufenthalt zu nutzen, um Gewohnheiten zu ändern, so leide ich nun unter meiner Konsequenz. Der Kaffee-entzug macht sich in Form von Kopfschmerzen bemerkbar. Meine Schlaflosigkeit und die ewigen Gedankenschleifen im Kopf halten an und so ignoriere ich den Ratschlag, möglichst wenig zu lesen. Immerhin, der Rechner liegt unbenutzt im Schrank und das Handy dient weitgehend nur als Uhr. Mein Zustand beschert mir indes eine großartige Behandlung: Ich werde Nofretete! Auf einem Stuhl thronend, wird mir in einer komplizierten Wickeltechnik ein hoher, oben offener Hut auf den Kopf geklebt, der „Shirovasti“. Er wird mit so viel warmem Öl gefüllt, dass mir der Kopf schwer wird. 20 Minuten bleibe ich in dieser königlichen Haltung und sinke dabei in einen Halbschlaf, traumlos und schwer. An diesem Abend schlafe ich erstmals durch.
VIRECHANA, DAS INNERE FEUER SCHÜREN
Am sechsten Tag bereitet mich Dr. Takshila morgens auf die Prozedur „Virechana“vor, das durch Abführen herbeigeführte Entgiften des Dünndarms: „Heute wird der härteste Tag der Kur sein.“Sie reicht mir meine erste Dosis Abführmittel. Nun muss ich für die nächsten Stunden das Verdauungsfeu
er „Agni“in mir aufrechterhalten, dazu alle 15 Minuten eine Tasse heißen Wassers trinken, mich warm halten und mich bewegen. Rastlos trabe ich Runde um Runde um meinen Baum, hoffend, dass sich die gewünschte Darmtätigkeit einstellt. Minutiös soll ich meine Stuhlgänge anschließend protokollieren. Mein Darm hingegen bleibt träge und mein Bauch voll, eine weitere Abführdosis ignorierend und mich zunehmend frustrierend. Nach vier Litern heißen Wassers, wenig Stuhlgang, lahmen Waden, einer Fußmassage, einem Dampfbad und weiteren Kontrollbesuchen beendet die Ärztin am frühen Abend das Virechana. Ich bekomme kaltes Wasser und eine kühlende Reissuppe. 50 Prozent der Entgiftung, „cleaning from the mouth to the Dunndarm“, habe ich nun hinter mir. Die kommenden Tage dienen der Erholung vom Entgiftungsprozesses und mein Tagesablauf gliedert sich in baden, das Meer betrachten, faulenzen auf den Sonnenliegen unter Kokospalmen und natürlich meine Behandlungen. Die Thermomassage wird mein Favorit. Zwei Therapeutinnen stempeln nach der Ölmassage meinen kompletten Körper ab. Dazu nutzen sie heiße Säckchen, gefüllt mit Sesam und gekochtem rotem Reis. Nach dieser Behandlung ist meine Haut so frisch und weich wie ein Babypopo und mein Gestell jugendlich locker. Mein Plan sieht alle drei Tage Inhalieren vor und alle vier Tage ein Kräuterbad. Die Mahlzeiten zelebriere ich aufmerksam und langsam, ich versuche mich daran zu halten, auch beim Essen weder das Handy mitzunehmen noch zu lesen. Ich darf wieder mehr
und reichhaltiger essen und werde deutlich entspannter. Mittlerweile habe ich einige andere Gäste kennengelernt und freue mich über ein bisschen Austausch. Die Patienten hier suchen Abhilfe bei chronischen Erkrankungen, neue Lebenswege oder sich selbst. Wir teilen unsere Erfahrungen und würgen nach jedem Essen unsere Batterien an scheußlicher ayurvedischer Medizin herunter. Spätestens jetzt wird mir klar, in einem Kurhotel zu Hause hätte ich mich nie so fallenlassen können. Die paradiesische Umgebung, die hohe Luftfeuchtigkeit und Wärme, der großartige Ozean vor der Nase, der sich jeden Tag in anderen Farben präsentiert, sorgen für eine unwirkliche Leichtigkeit des Seins. Weitab von Alltag und Arbeit reduziert sich mein Tag auf Erholung, Ruhe, Natur. Die beste Voraussetzung abzuschalten, und es gelingt mir immer besser. Die Kopfschmerzen sind verschwunden. Für bessere Konzentration erhalte ich „Shirodara“, den Stirnguss mit einem dünnen Ölstrahl, in dessen Verlauf ich jedes Mal in so wunderbare bildlose Sphären abdrifte, dass ich anschließend Schwierigkeiten habe, beim geraunten „finish, Madam“, die Augen zu öffnen. Meinem Rücken geschuldet, bekomme ich mit giftgrünem Öl getränkte Baumwollwickel und „Greeva Vasti“, eine weitere Lieblingsbehandlung.
VASTI: DEN DICKDARM PUTZEN
Da meine Verdauung noch immer stockt, erhalte ich vermehrt Einläufe, zehn Tage lang. „Vasti“nennt sich die Entgiftung des Dickdarms. Nach dem Abendessen erhalte ich meine Portion, anschließend verziehe ich mich auf mein Zimmer. Der Tag endet um 20.15 Uhr. Während ich mir zu Hause ein Glas Wein einschenken und den Abend beginnen würde, liege ich hier nach Anordnung auf meinem Bett, langweile mich, höre auf meinen Darm und freue mich auf 6.30 Uhr. Denn was wäre diese Kur ohne Mr. Chaminda? Der YogaMeister hält zweimal täglich eine Stunde und wie nichts an
deres liebe ich die 90 Minuten Meditation und Yoga auf den kühlen Fliesen am Pool: „Inhale – exhale“. Langsam, bedächtig und in Maßen verlaufen diese Stunden. „Feel the Beauty of the nature and relax your body ...“Und recht hat er. Inmitten dieser unglaublich wohlwollenden Atmosphäre danke ich für den Luxus, den ich mir hier gönnen darf, genieße mit allen Sinnen. Ich tanke spürbar Kraft und Gelassenheit in einem lange nicht erlebten Ausmaß. Ohm Shanty …
FROM THE NOSE TO THE THROAT: NASYA
Am 19. Tag meines Aufenthaltes – mittlerweile war ich zweimal im nahen Städtchen, habe die Bucht erkundet, Hunderte von Bahnen im Pool gezogen und alle erlaubten Speisen des Buffets auswendig gelernt – folgt der letzte Schritt des Panchakarma: Nasya, die Reinigung des Kopf-nase-rachenbereiches. An diesem Morgen gibt es nur warmes Wasser. Wehmütig träume ich zum letzten Mal bei Shirodara. Von der Ärztin erhalte ich eine Gesichtsmassage für Stirnund Nebenhöhlen, Nase, Hals, obere Brust und Ohren. Mit dampfenden Kräutersäckchen tupft sie alle Bereiche mehrfach ab. Sie träufelt fünf Tropfen links, fünf Tropfen rechts in die Nase: „Inhale through the nose, exhale through the mouth.“Dann spülen und gurgeln mit einer scharfen Flüssigkeit. Mir zieht es die Schleimhäute im Mund zusammen, der Rachen brennt – angenehm ist anders! Sie schickt mich in mein Zimmer, aufrecht sitzen und Schleim loswerden. Heute keine Sonne, nicht waschen und schwimmen, um den wärmenden Prozess im Körper nicht zu unterbrechen. Nun habe ich alle drei Reinigungsprozesse durchlaufen und mein Aufenthalt neigt sich dem Ende zu. Mit der Abschlusskonsultation bei der Ärztin und einer letzten großen Massagerunde mit Body- und Facepeeling endet die öligste Phase meines Lebens.
NACHWIRKUNG
Erst im Laufe der nächsten Wochen werde ich merken, was die Kur wirklich mit mir gemacht hat. Ich bin gelassen geworden, konzentriert und kann wieder schlafen. Was für ein Geschenk! Erst jetzt realisiere ich, wie lange ich versucht habe, meinen schlechten Zustand zu ignorieren und einfach weiterzumachen. Ich wünsche mir, dass ich in Zukunft achtsamer mit mir umgehen werde. Auch nach vier Monaten weitgehend ohne Kaffee, Fleisch und Milchprodukte bin ich ein zufriedener Esser. Wenn ich Ausnahmen brauche, gönne ich sie mir. Und natürlich bin ich längst nicht so konsequent, alles beizubehalten, was mir so gut tat. Aber ich merke es ein bisschen besser, wenn ich Raubbau betreibe. Dann mache ich die Augen zu, höre den Ozean rauschen und ein sonores „Inhaaaaale – exhaaaaale“… Namaste, Mr. Chaminda!
▶Weiterführende Informationen
• www.suryalanka.com/de
• www.srilanka-reise.info
• www.zentrum-der-gesundheit.de/panchakarma-ayurveda-kur-ia.html