VIELFALT FÜR DIE PFLANZENWELT
Auch die Pflanzenwelt ist betroffen vom Artensterben. Schätzungsweise 75 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Saatguts sind in den vergangenen hundert Jahren verloren gegangen. In Indien ging die Zahl der angebauten Reissorten von 30 000 in den 1950er-jahren auf 50 zurück. Wie bei den Tierrassen liegt der Hauptgrund der Artenminimierung auch hier in der konventionellen Landwirtschaft, die sich auf wenige ertragreiche Sorten beschränkt und so die genetische Pflanzenvielfalt reduziert. Hierdurch gehen nicht nur anpassungsfähige und beständige Pflanzen verloren, auch einzigartige Geschmacksrichtungen werden ausgelöscht. Dabei birgt die Vielfalt großen Mehrwert. Die traditionellen Pflanzen sind an lokale Verhältinisse angepasst und daher robuster, benötigen weniger Pestizide und sind oft verträglicher für Allergiker. Dies sind nur wenige der Gründe, die für den Erhalt der Sorten sprechen. Wie auch in der Tierwelt haben sich in der Pflanzenwelt Vereine gefunden, die diese Vielfalt schützen. Ein Beispiel dafür ist die Arche Noah in Schiltern, Österreich. 1990 vereinigten sich zwei Vorgängervereine zur Arche, um zunehmend gefährdete Arten und Sorten zu erhalten, pflegen und zu schützen. Was klein begann, ist heute eine der größten Erhaltungsorganisationen in Europa. Aktuell sichert dieses Samenarchiv etwa 5500 lokale gefährdete Nutzpflanzensorten und erhält diese nicht nur durch Lagerung, sondern ebenfalls durch Weiterentwicklung und Anpassung am Leben. Dafür werden die Samen getrocknet oder eingefroren. Das Aufbewahren der Samen bedeutet jedoch nicht, dass diese dann nach einem jahrzehntelangen Tiefschlaf einfach wieder gepflanzt werden können. Elisabeth Plitzka vom Arche-noah-team erklärt, wie das Samenarchiv arbeitet: „Jede Pflanze passt sich an ihre Umstände an. Temperatur, Nährstoffe und Klima verändern sich über die Zeit, die Pflanze muss darauf reagieren.“Deshalb wird das große Samenarchiv der Arche Noah Jahr für Jahr aktualisiert. Damit das funktioniert, kommt jährlich ein Zehntel der Sammlung als Saatkorn zurück in die Erde, muss sich an die Gegebenheiten anpassen, reift heran und liefert am Ende wieder neuen, frischen Samen. „Das ist auch ein Grund, der für mehr Vielfalt spricht. Denn weltweit drei Weizensorten anzubauen, ist ohne chemische Unterstützung aufgrund der verschiedenen Umweltbedingungen schlicht
unmöglich“, erläutert die Expertin weiter. Um sich der Eintönigkeit entgegenzustellen, startet die Arche jedes Jahr neue Projekte. 2019 steht ganz im Zeichen der Bohne: Rund 600 Bohnensorten müssen Frischluft schnuppern, um erforscht und vermehrt zu werden. Um große Projekte dieser Art zu stemmen, ist der Verein auf Spenden angewiesen. Vereinsmitglieder, Spender und die Beteiligung an Projekten sichern die Finanzierung der Arche.
Vielfalt für alle Sinne
Wie richtige Vielfalt aussehen kann, zeigt der Schaugarten der Institution. Jedes Jahr werden dort rund 600 verschiedene Kulturpflanzen präsentiert. Darunter befinden sich neben Gemüsesorten Kräuter, Beerensträucher und Obstbäume. „Es ist eine sinnliche Erfahrung, diese Pflanzen nicht nur als Samen oder Setzlinge zu sehen, sondern auch zu erleben oder in unserer Gartenküche zu verkosten“, berichtet Elisabeth Plitzka und weist auf den Bildungsauftrag des Vereins hin. Denn die Gartenküche soll bei den Besuchern auch die Lust auf neue Sorten wecken und zeigen, wie vielseitig Gemüse und Obst sein kann. Kann man bei so viel Auswahl überhaupt noch einen Liebling haben? Die Expertin erzählt von ihrer Lieblingssorte, dem Lederapfel. Diesen kennt sie noch aus ihrer Kindheit. Leider ist er inzwischen vom Markt verschwunden. „Der Weltmarkt mag eben nur große und süß-saftige Äpfel. Andere Sorten haben es nicht leicht!“Doch dank der Arche fand sie ein paar alte Bäume verstreut auf Gärten und Höfe wieder und schwärmt von dem Apfelmus, das sich aus der säuerlichen Sorte kochen lässt.
Politik der Pflanzenvielfalt
Neben der geschmacklichen Vielfalt bietet die genetische Variabilität einen weiteren Vorteil. Jedes Jahr breiten sich neue Schädlinge in der Landwirtschaft aus, auf die die Pflanze reagieren muss. Schafft die Pflanze das nicht, wird die Ernte vernichtet. Welches Ausmaß das annehmen kann, zeigt die große Hungersnot in Irland im 19. Jahrhundert. Ausgelöst wurde die Katastrophe von einem Pilz, der die Kartoffeln – das Grundnahrungsmittel – befallen hatte. Daraufhin kämpfte die Bevölkerung sieben Jahre mit der Hungersnot, eine Million Iren starben. Um solchen Katastrophen entgegenzuwirken, ist ein vielseitiges Sortiment von Bedeutung, da die Chancen auf resistente Sorten erhöht werden. Um diese Vielfalt zu ermöglichen, muss die Pflanzenarche politischen Einsatz zeigen. Früher wurde Saatgut einfach getauscht. Damit heute traditionelle Hof- oder Lokalsorten zumindest in kleinen Mengen erhältlich sind, mussten erst rechtliche Bedingungen geschaffen werden. In vielen Ländern ist der Handel mit diesen nicht standardisierten Sorten verboten. Auch gegen Gentechnik und die Patente auf Lebewesen wehrt sich der Verein. „Es bringt nichts, wenn wir ein Museum pflegen und uns der Weg zum Markt versperrt ist. Der Markt ist unser Weg zum Essen, wir müssen die ganze Kette sicherstellen. Vom Samen bis zum Genuss auf dem Teller“, sagt Elisabeth Plitzka. Der Erfolg der politischen Arbeit ist spürbar. Das Thema Sortenvielfalt ist in der Gesellschaft angekommen. Neben einem Netzwerk aus Gärtnern gibt es Kooperationen mit Landwirten und privaten Händlern. Diese sorgen dafür, dass bewährte Sorten wieder auf den Markt kommen. „Wir sorgen für Vielfalt und stillen unterschiedliche Bedürfnisse, um die Variabilität als einen Schatz zu erhalten, der uns dann zur Verfügung steht, wenn wir ihn benötigen. Es wäre ein großer Verlust das aufzugeben“, resumiert Plitzka. ▶ Quellen und Informationen:
• www.g-e-h.de/index.php/verzeichnis-der-arche-hoefe
• www.arche-warder.de
• www.arche-noah.at, https://shop.arche-noah.at
ARTENVIELFALT IST KEIN LUXUS FÜR DIE REICHEN, SONDERN EINE LEBENSNOTWENDIGKEIT FÜR DIE ARMEN.
Pavan Sukhdev, Chef des WWF, November 2017