Backen mit Urgetreide
Erst die Naturkostbewegung hat für eine Renaissance der alten Getreidesorten Dinkel, Emmer oder Kamut gesorgt. Viele von ihnen waren hierzulande so gut wie vergessen
Einkorn, Emmer, Kamut, Dinkel: Wertvolles Urkorn für unser tägliches Brot
Eine der gruseligsten deutschen Märchengestalten ist die Korn- oder Roggenmuhme. Als altes Weib wacht sie über die Kornfelder und straft unerbittlich diejenigen, die das Getreide nicht achten und zertreten. Ohne Mitleid stiehlt sie die Kinder, die im Kornfeld wachsende Blumen pflücken wollen, und straft auch jene, die nach dem Mähen nicht sauber lesen. Was so schrecklich urtümlich klingt, ist doch nichts anderes als ein tiefer Respekt vor dem so wichtigen Korn. Und so wünscht man sich in Zeiten, in denen immer billigeres und künstlicheres Brot den Handel flutet, mitunter fast eine Roggenmuhme zurück. Die hilft uns allerdings nicht mehr. Wer gutes Brot will, muss danach suchen oder selber backen. Schon vor 10 000 Jahren wurde Urgetreide in Kleinasien angebaut, später jedoch von ertragsreicheren Sorten wie Weizen und Roggen verdrängt. Im Vergleich etwa zu Weizen sind die alten Sorten nahrhafter. Herausragend ist ihr Gehalt an Mineralstoffen, vor allem an Zink. Der Eiweißgehalt ist ebenfalls deutlich höher als der von Weizen und damit ist das Korn für Veganer und Vegetarier besonders interessant.
LASS STEHEN DIE BLUMEN, GEH NICHT INS KORN! DIE ROGGENMUHME GEHT UM DA VORN! BALD DUCKT SIE NIEDER BALD GUCKT SIE WIEDER. SIE WIRD DIE KINDER FANGEN, DIE NACH DEN BLUMEN LANGEN
August Kopisch
Das Getreide von heute ist ertragreich, widerstandsfähig und gut zu verarbeiten. Im Vergleich zu alten Sorten hat es allerdings einen geringen Gehalt an wertvollen Nährstoffen und ruft eine wachsende Zahl von Unverträglichkeiten hervor. Daher wächst das Interesse an alten Kornsorten wie Emmer, Kamut, Einkorn oder Urdinkel. Grund dafür ist zum einen der viel intensivere Geschmack der Urkörner: kräftig, würzig und nussig. Zum anderen weisen die Urkörner einen hohen Gehalt an Mineralstoffen und Vitaminen auf, Einkorn hat außerdem einen hohen Gehalt an Carotinoiden, die freie Radikale binden. Das Backen mit Urkorn erfordert allerdings etwas Übung. Da das Gluten im Urkorn nicht so kräftig ist, lässt sich der Teig nicht so einfach verarbeiten. Ideal sind daher Mischungen aus verschiedenen Getreidesorten.
EINKORN
Lange galt Einkorn als Urform aller Weizensorten, zählt es doch zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Schon 7000 vor Christus wurde Einkorn am oberen Euphrat verzehrt. Kennzeichen ist die Ausprägung der Ähre mit einem Korn pro „Etage“an der Ährenspindel, beim Weizen sind es beispielsweise vier Körner. Daher ist der Ertrag dieses Getreides, das auch Blicken, Kleiner Dinkel oder kleiner Spelz genannt wird, deutlich niedriger und Korn und Mehl entsprechend teurer. Obwohl das Einkorn kaum anfällig ist gegen Wurzelfäule oder Mutterkorn, war es im vorigen Jahrhundert fast verschwunden. Mit ein Grund dafür sind die fest mit dem Korn verwachsenen Hüllen, die Spelzen, die in einem eigenen Arbeitsschritt entfernt werden müssen. Erst vor wenigen Jahrzehnten ist das Einkorn in das Sortiment regionaler Anbieter in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz zurückgekehrt. Einkorn enthält sehr viel Eiweiß und Mineralstoffe wie beispielsweise Magnesium, Zink und Eisen, dazu Antioxidantien und Carotin. Letzteres verleiht dem Einkornmehl seine gelbe Farbe. Das Einkorn hat einen stark nussigen Geschmack.
URDINKEL
Die Urform des Weizens wurde schon von den Kelten und Ägyptern angebaut, in Deutschland vor allem in BadenWürttemberg. Da auch der Urdinkel einen harten Spelz besitzt, wurde er durch leichter zu verarbeitende Kreuzungen mit Weizen fast ganz verdrängt. Auch heute noch ist es schwierig, reinen Urdinkel zu bekommen. Dinkel hat einen herzhaften und nussigen Geschmack und wird daher nicht nur zu Brot, sondern auch gern zu Keksen und Müsli verarbeitet. Er ist reich an Phosphor und Kieselsäure, gut für Stoffwechsel und Denkvermögen. Wer Dinkelgebäck nicht gut verträgt, kann den Teig mit Oregano oder Thymian würzen. Deren ätherische Öle machen ihn besser verdaulich. Hildegard von Bingen kombiniert Dinkel mit ihren Lieblingsgewürzen Bertram und Galgant. Sie hielt den Dinkel für eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel – wohl auch, weil Dinkel zu ihrer Zeit das populärste Getreide war. „Dinkel ist das beste Getreide, fettig und kraftvoll und leichter verträglich als alle anderen Körner. Es verschafft dem, der es isst, ein rechtes Fleisch und bereitet ihm gutes Blut. Die Seele des Menschen macht er froh und voll Heiterkeit. Und wie immer zubereitet man ihn isst, sei es als Brot, sei es als andere Speise, ist er gut und lieblich und süß.“Bekannt ist das DinkelHabermus nach Hildegard von Bingen, das sie als erste Mahlzeit für einen kraftvollen Start in den Tag empfiehlt.
WEGEN SEINES HOHEN GEHALTS AN KIESELSÄURE GILT DINKEL ALS DAS GETREIDE DER DICHTER UND DENKER