Darum tut der Wald Körper und Seele gut
Haben Sie schon vom Waldbaden gehört? Es steigert nachweislich unser Wohlbefinden und ist ausgesprochen gesund. Warum der Wald heilende Kräfte besitzt und wie wir in seine Atmosphäre eintauchen
DER WALD LEGT DAS LAUSCHEN NAHE Hermann Hesse
Erinnern Sie sich an die schönen Momente, als Sie als Kind ausgelassen im Wald gespielt haben? Oder an Ihren letzten Waldspaziergang – an die kühle Luft, die herrlichen Gerüche und die wohltuende Stille? Erinnerungen, die wir mit dem Wald verknüpfen, sind in der Regel positiv. Im Wald fühlen wir uns wohl. Das sanfte Licht und die grüne Farbe beruhigen die Augen, die imposanten Bäume scheinen die Außenwelt abzuschirmen und bilden eine schützende Mauer. Wir können der Hektik und dem Lärm des Alltags entfl iehen und hören nur das Zwitschern der Vögel, das Rascheln der Bäume, das Knacken der Zweige unter unseren Füßen. Hier in der Natur dürfen wir ganz für uns sein. Weit weg von Druck, Stress und Technik.
GRÜNE HEILKRAFT
Halten wir uns im Grünen auf, fühlen wir uns automatisch besser – das hat nichts mit Spiritualität zu tun. Zahlreiche Studien beweisen, dass die Natur heilende Kräfte besitzt und uns Menschen körperlich und seelisch beeinflusst. Die Bewegung an der frischen Luft aktiviert Glückshormone und kurbelt unseren Verdauungsapparat an. Im Wald liegt weniger Feinstaub in der Luft, außerdem ist diese mit wertvollen ätherischen Ölen und Terpenen angereichert. Terpene sind Naturstoffe, die unser Immunsystem stärken. Sie aktivieren unsere körpereigenen Killerzellen, die dafür da sind, um Viren, Bakterien und sogar Krebszellen zu bekämpfen. ▶
Alleine der Anblick von Bäumen, Wiesen und Pflanzen hat einen erstaunlichen Einfluss auf uns Menschen: Eine Studie aus dem Jahr 1984 fand heraus, dass der Blick auf Naturbilder den Erholungsprozess des Menschen fördert. Nachweislich erholten sich Patienten, die regelmäßig den Ausblick auf eine Naturlandschaft genießen konnten, schneller, als Patienten ohne diese Möglichkeit. Naturbilder entfachen in unserem Körper positive Emotionen, reduzieren Stress und fördern die körpereigenen Selbstheilungskräfte. Natur tut einfach gut.
WAS IST WALDBADEN?
Waldbaden hat, genauso wie Sonnenbaden nichts mit einer Badewanne oder Wasser zu tun. Mit Waldbaden ist die Reinigung des Geistes und die Steigerung des körperlichen Wohlbefindens gemeint. Das Konzept hat seinen Ursprung in Japan und wird dort als „Shirin Yoku“bezeichnet. Übersetzt heißt das „Einführung in die Waldatmosphäre“. Man genießt den Wald mit allen Sinnen, bewegt sich bewusst darin und taucht in seine Atmosphäre ein. Das unterscheidet Waldbaden auch gleichzeitig von einem gewöhnlichen Spaziergang: Man hält sich nicht nur für eine gewisse Zeit im Wald auf, man versucht, ihn mit allen Sinnen wahrzunehmen. Man genießt die intensiven
Gerüche, hört auf die sanften Geräusche und begegnet bewusst den Pflanzen, Tieren und Steinen, die den Weg kreuzen. Zum Waldbaden gehört auch achtsames Gehen. Hier, sicher abgeschirmt vom schnelllebigen Alltag, dürfen wir uns erlauben, einfach mal ganz langsam zu sein. Am besten gehen wir so, als würden dort Blumen wachsen, wo unser Fuß den Boden berührt – ein Tipp von Zen-meister Thich Nhat Hanh. Wir beobachten, fühlen und lassen die Eindrücke auf uns wirken.
ACHTSAM UND BEWUSST
So leicht, wie Waldbaden klingt, fällt es nicht jedem. In der heutigen Zeit, in der wir alle wie ein rastloses Uhrwerk funktionieren, sind wir es nicht gewohnt, einfach mal keine Aufgaben erfüllen zu müssen. Wir haben gelernt, Zeit zu nutzen und Ziele zu erreichen. Den Kopf abzuschalten, fällt oft schwer. Dabei wären gelegentliches Nichtstun und Ausruhen wichtig, um produktiv bleiben zu können. Hier im Wald dürfen wir nichts tun – es ist sogar erwünscht. Probieren Sie es aus: Setzen Sie sich bei Ihrem Waldbesuch kein Ziel. Handeln Sie spontan und intuitiv. Beobachten Sie die Natur und befassen Sie sich ruhig und intensiv mit ihren kleinen Wundern. Betrachten Sie die Rinde eines Baums ganz genau oder lauschen Sie ganz ▶
REGUNGSLOS WAR ICH, BAUM MITTEN IM WALD. UND WUSSTE DIE WAHRHEIT NIE GESEHENER DINGE Ezra Pound
bewusst der Melodie des Vogelgezwitschers. Nehmen Sie sich Zeit für dieses Erlebnis. Von Mal zu Mal wird es Ihnen immer leichter fallen, sich darauf einzulassen. Achtsamkeit ist beim Waldbaden essenziell. Neue Studien haben herausgefunden, dass Bewegung in Kombination mit Achtsamkeit Depressionen und Angststörungen effektiv vorbeugt. Die Natur ist ein Lebensraum für unzählige Lebensformen, und wir müssen stets respektvoll mit ihr umgehen. Wir zerstören nichts mutwillig. Wir trampeln nicht unnötig umher. Wir verschrecken keine Tiere. Wir hinterlassen keinen Müll. Wenn wir dem Wald etwas entnehmen, dann nur in Maßen. Vielleicht geben wir ihm sogar etwas zurück – eine sanfte Berührung, ein ernst gemeintes Dankeschön. Die Natur gibt uns so viel Kraft und wir sind es ihr schuldig, sie zu schützen.
DER RICHTIGE WALD
Als Raum zum Waldbaden eignet sich im Grunde jedes Waldstück. Suchen Sie also getrost eines in Ihrer Nähe aus – Sie werden schnell merken, ob es die gewünschte Wirkung auf Sie hat. Probieren Sie mit der Zeit verschiedene Wälder aus. Es macht einen Unterschied, ob Sie durch einen Fichten- oder einen Tannenwald streichen oder ob Sie einen Laubwald gewählt haben. Das Gefühl, die Gerüche, die Geräusche sind jedes Mal anders und die Umgebung kann, abhängig von Ihrer eigenen Emotion, besser oder schlechter geeignet sein. Je unruhiger der Wald bewachsen ist, umso schwerer wird es uns beispielsweise fallen, zur Ruhe zu kommen. Ist er zu dicht, könnte er bedrohlich wirken. Schlängeln sich kleine Gehwege durch das Dickicht und finden wir die eine oder andere Sitzgelegenheit, steigert das unser Wohlbefinden. Finden Sie heraus, was Ihnen gefällt und wo Sie sich zu Hause fühlen.
▶ Literatur und Quellen
• Karin Greiner und Martin Kiem: Wald tut gut!,
AT Verlag, 2019
• Clemens G. Arvay: Biophilia in der Stadt,
Goldmann, 2018
• Bettina Lemke: Das kleine Buch vom Waldbaden,
Scorpio Verlag, 2018 (Quelle Zitate)
• www.waldbaden.com
• https://mindfulmind.ch/anleitung-waldbaden