Der Wein und die Sterne
Richtig angewendet schenkt uns die Weinrebe seit alters her Nahrung, Heilmittel, Inspiration und Vergnügen
Warum Erde, Luft und Wasser im „ Baum der Freude“stecken
Im September und Oktober hat unser Krieger Mars nicht viel Kraft. Neptun und Saturn schwächen ihn, dann steht er auch noch in der harmoniebedürftigen Waage. Der Wein sichert hier mit Saturn- und Marskraft unser Durchhaltevermögen und eine starke Abwehr. Saturn- und Sonnenenergie, die uns der Wein ebenfalls vermittelt, versprechen Selbstsicherheit, Schutz vor schädigenden Außeneinflüssen und Hilfe auf der Suche nach Halt. Venus und Sonne der Heilpflanze machen fröhlich und erfreuen des Menschen Herz. In vino veritas: Wer bei Weingenuss Aggressionen zeigt, bringt die von Saturn aufgenommenen und einbetonierten Verletzungen der Seele explosionsartig ans sonnige Tageslicht. „Vom Urbeginn der Schöpfung ist dem Wein eine Kraft beigegeben, um den schattigen Weg der Wahrheit zu erhellen“, wusste schon Dante. Im November und Dezember zeigt sich der Krieger dann eher angriffslustig. Macht- und Ohnmachtthemen kommen hoch, bei schwachen Nerven allerdings auch Unfallgefahr. Jetzt brauchen wir die versöhnenden Kräfte von Venus und Sonne des Weins. Für alle, die in diesen Monaten zu ehrgeizig sind und zu große Ich-stärke haben, öffnet das Heilmittel Wein die Tür zur Nächstenliebe und führt zum Du.
DAS BLUT DER GÖTTER – DER WEIN
Die Sonne bereitet sich langsam auf den Abstieg in Plutos Reich, in die Unterwelt, vor. Ihre Strahlen sind schon ganz sanft geworden und sie scheint nun von Tag zu Tag deutlich kürzer. Unter Karl dem Großen hieß der Oktober noch Vindemia, der Weinmonat. Passt, denn die Lese der Weinrebenfrüchte, die jetzt durch die milden Strahlen der Herbstsonne und unter den ersten Frösten ihre Reife erhalten, ist in vollem Gange. Die Fässer müssen gefüllt werden, denn Sonne und Saturn vermögen durch den Wein weit mehr, als nur einen trüben Herbstmonat in einen goldenen Oktober zu wandeln.
EIN WENIG WEIN-GESCHICHTE
Lange Zeit war Bier das bevorzugte Getränk der Menschen, ob reich oder arm, bis es schließlich durch den Siegeszug der Weinrebe Konkurrenz bekam. In Ägypten wurde Wein noch aus Datteln, Sesam und Granatäpfeln fermentiert und durfte nur von Priesterinnen und Priestern angebaut und getrunken werden. Über Kleinasien kam der Wein aus Trauben schon bald nach Griechenland. Die Weinrebe galt als der „Baum der Freude“,
wuchs sie doch, wie es der Mythos erzählt, direkt aus dem Herzen des Dionysos. Der Dionysoskult blühte. Recht schnell erkannte man auch die heilsame Wirkung des göttlichen Trunks. Bacchus, wie die Römer ihren Dionysos nannten, hatte Italien ebenfalls schnell infiziert. Die Blumen der italienischen Weine bestanden mit Vorliebe aus Rosen, Veilchen, Myrrhe, Wermut, Pfeffer, Honig, Rosmarin oder Lorbeer. Frauen durften das göttliche Getränk unter Androhung der Todesstrafe zunächst nicht kosten. Bei ekstatischen Weingelagen und wilden Orgien berauschten sich Griechen wie Römer und auch Germanen mit dem Saft der Inspiration, und sie fühlten sich ihren Göttern näher als sonst. Die Götter liebten den Wein ebenfalls und bekamen ihn täglich geopfert, und auch in die Gräber wurde er als Beigabe gelegt. In Kanaan verwandelte Jesus Wasser zu Wein und etwas später reichte er seinen Jüngern beim Abendmahl den Kelch mit dem „Blut Christi“.
DAS HEILMITTEL WEINREBE
Der „Baum der Freude“und das „Blut der Götter“galt bei nahezu allen Völkern schon bald als das „Medizinpferd“, auf dessen Rücken wertvolle Pflanzenstoffe ohne Umwege ins Blut gelangen konnten. Bewusstseinserweiternde Pflanzenwirkstoffe wie Bilsenkraut, Fliegenpilz, Alraune oder Hanf wurden im Wein gelöst und verpassten dem Götterblut die „Blume“und den Menschen einen orgiastischen Rausch. Auch Muskatnuss und Opium waren beliebte Weinzusätze, um den Göttern etwas näher zu kommen. Kranke und Wöchnerinnen aber wurden mit Weinsuppe, in welcher die Frauen- und andere Heilkräuter gesotten wurden, wieder aufgepäppelt. Der Wein war nicht nur ein Mittel der ungehemmten Liebe, er ersetzte auch Thrombosestrümpfe und -spritzen für die Bettlägrigen. Hippokrates lobte die Wirkung des Weins schon 400 v. Chr.: „Der Wein desinfiziert, verleiht dem Krieger Mut, er stärkt die Arbeitskraft, vertreibt Blutarmut, er
nährt die Seele und spendet den Kranken neue Lebenskraft.“Aber er kannte auch die Notwendigkeit, saturnale Einflüsse im Saft der süßen Früchte zu bedenken, und warnte: „Der Wein ist ein Ding, in wunderbarer Weise für den Menschen geeignet, vorausgesetzt, dass er bei guter und bei schlechter Gesundheit sinnvoll und im rechten Maße verwendet wird, übereinstimmend mit der Verfassung der einzelnen Person.“Schon bald darauf konnte in Rom der große Gladiatorenund „Promi“-arzt Galenos, Kaiser Marc Aurel mit Pfefferwein sein „Leibdrücken“nehmen.
DIE ZWÖLF TUGENDEN DES WEINS
Der Triumphzug des Weinstockes war nicht mehr zu stoppen. Im 11. Jahrhundert taucht er dann auch bei Hildegard von Bingen auf. Sie empfiehlt einen Wein mit Aronwurzel gegen die Melancholie. Ab dem 15. Jahrhundert ersetzt der Wein als Trägersubstanz und Verstärker für verschiedenste Heilmittel Milch und Met vollständig. Paracelsus war ebenfalls ein großer Freund des Weines. Er verlangt, wie schon Hildegard von Bingen, von seinen Patienten immer wieder, Pflanzen- und Mineralstoffe in Wein zu sieden, um die Heilung anzutreiben. 1604 veröffentlicht Albertinus „Die zwölf Tugenden des Weines“. „Erstlich verbessert er die Verdauung, zum anderen treibt er den Harn, drittens macht er die Mißfarbigen lieblich rot, viertens bringt er einen guten Geruch, zum fünften stärkt er die Natur der Geburt. Zum sechsten erfreut er das Gemüt und Blut, zum siebten erquickt er die natürliche Hitz und machet er gute Hoffnung. Zum neunten machet er den Menschen keck und kühn in der Gefahr. Zum zehnten machet er des Jammerns und Elends vergessen. Zum elften vertreibt er den Geiz von den Leuten und macht sie freigiebig. Zum zwölften machet er alte Männer und Weiber jung. In Summa – guter Wein ist halbes Leben.“Ein Satz aus den Baderegeln der Thermalquelle Baden, der aus dem 16. Jahrhundert stammt, unterstützt auch unseren Weg zum stillen Alkoholiker: „Im Bad soll man sich des Essens und Trinkens enthalten. Empfohlen sind aber zur Stärkung ein Weißweintrunk und in Wein getunkte und geröstete Brotscheiben.“
SO HEILEN TRAUBEN UND BLÄTTER
Die Wissenschaft bestätigt uns heute, was die Heiler von damals schon lange wussten: Trauben entgiften, kräftigen und sie regen die Blutbildung an. Vitamin C und B, Eisen, Traubenzucker, Kalium und Enzyme sorgen unter anderem für schnelle Erholung an Körper und Geist. Trauben unterstützen den Kreislauf, senken den Blutdruck und sie stärken Herz, Lunge und Nieren. Wer an Rheuma oder Gicht leidet, kann durch den Genuss der Früchte Harnsäure abbauen. Sie senken das Cholesterin und beugen Herzinfarkt und Schlaganfall vor. Vor allem die roten Früchte fördern zudem die Durchblutung, sie festigen die Gefäße und sie helfen bei der Verhütung der Krebszellenbildung, besonders den Leukämie verursachenden im Anfangsstadium. Für Kinder, falls diese ihre Kinderkrankheiten heute überhaupt noch durchleben dürfen, ist der stärkende Traubensaft während einer Erkrankung nach wie vor ein Muss auf dem Nachtkastl. Rosinen, sofern sie nicht geschwefelt sind, bieten neben vielen Mineralstoffen ihre Hilfe als Geistfutter an. Der deutsche Arzt und Apotheker Tabernaemontanus lobt sie im Kampf gegen Heiserkeit, Lungen- und Nierenerkrankungen, immer wieder preist er sie für ihre wohltätige Unterstützung bei der Erhaltung eines weichen Stuhlgangs. Weinblätter aber helfen, wenn wir es mit dem Genuss des göttlichen Tropfens doch übertrieben haben: Sie regenerieren die von Alkohol, Drogen oder Medikamenten geschädigte Leber, stärken Venen und Bindegewebe und stehen überdies wie die Traube, der Saft und der Wein dem Immunsystem im Gefecht gegen die Krebszellen bei. Letztendlich sorgen sie dafür, dass das Zuviel an Weich im Stuhlgang normalisiert wird. Weinessig ist heute noch das beliebteste und wirkungsvolle Hausmittel, um Fieber in der Form von Wadenwickeln zu senken. In der Duftlampe unterstützt ein Schuss Weinessig die Reinigung der Atemwege bei Bronchitis, Angina, Schnupfen und Heiserkeit.
Weingeist liefert uns immer noch die Basis für Pflanzen-, Tier- und Mineralientinkturen. Äußerlich verwenden wir ihn zur Wunddesinfektion, und leicht erwärmt gilt er als Hausmittel gegen Bauchkrämpfe. Hierfür verdünnen wir ihn mit Wasser auf 50 Prozent. Weinstein fällt im Wein aus. Durch das Kochen mit Antimon entsteht das saturnale Mittel: Brechweinstein (wird angewendet gegen Verhärtungen, bei Stoffwechselentgleisungen sowie Steinleiden). Der Wein selbst aber vereint all diese Eigenschaften in sich. Er löst nicht nur die heilsamen Wirkstoffe von Pflanzen und Mineralien vollständig in sich auf, er verstärkt durch seine Eigenschaften ebenfalls die Aufnahme der Substanzen im Körper. Ab dem 15. Jahrhundert wurde nahezu jede Arznei in Wein gesotten oder kalt angesetzt. Doch für sämtliche Anwendungen des Weines gelten immer wieder mahnende Worte. Diesmal stammen sie von Paracelsus: „Die Dosis macht das Gift.“Ein Zuviel kann das Gegenteil bewirken und das ist dann nicht immer nur ein zu weicher Stuhl. „In vino veritas“, im Wein steckt die Wahrheit. Doch leider steckt heute in jeder zehnten Weinprobe noch allerhand anderes drin. Unerlaubte und krankmachende Rückstände von Pestiziden, Schwefel und was den Weinpanschern sonst noch so alles einfällt. Wir sollten gerade bei Arzneiwein auf gute und saubere Qualität achten und auch an Theodor Heuss’ Worte denken: „Wein saufen ist Sünde, Wein trinken ist Beten. Lasset uns beten.“Doch wir können die Apotheke aus dem Weinfass auch essen (siehe Rezept Weinsuppe). Wir sind gerade dabei, die Heilkräfte des Weines zu vergessen und ihn auf eine Alkoholdroge und ein reines Genussmittel zu reduzieren. In der richtigen Dosierung erleichtert der Wein jedoch Medikamentenmuffeln die tägliche Qual der Arzneieinnahme, die Weinrebe versorgt uns mit Nahrung, sie dient als vielfältiges Heilmittel, und nicht nur Goethe war von der Intellekt und Inspiration stärkenden Wirkung des Weines angetan.
ASTROMEDIZINISCHE HILFE DES WEINS
Nicht nur „Veritas“, Wahrheit, steckt im Wein. Einige Planetenkräfte zeigen sich in der Weinrebe deutlich. Sonne, die die Traube für ihre Entfaltung dringend braucht, nimmt der Weinstock auf und vermittelt sie mit all ihrer Wärme an uns weiter. Saturn und das Element Erde stecken auch in allen Weinen. Das zeigt der Weinstock durch sein Verholzen, seine Langlebigkeit und seine tiefen Wurzeln an. Das Element Luft bemerken wir durch den Klettertrieb der Pflanze. Dies fördert die Einfälle, die Inspiration. Zusammen mit der
Erde können wir damit unsere Ideen in die Tat umsetzen. Im Weißwein finden wir zusätzlich das Element Wasser, das die Vorstellungskraft, die Imagination stärken kann. Wer Seele und Geist verbinden will, sollte aus diesem Grund einen Weißwein wählen. Wer dem Geist auf die Sprünge helfen und den Körper stärken will, braucht eher roten Wein. Im Rotwein überwiegt das Element Erde, das den Intellekt, das Denk- und Realisationsvermögen stärkt, und Feuer, das die Eingebung und die Intuition fördern kann. Doch auch der Krieger Mars wird im Rotwein immense Heilkräfte schenken. Sowohl durch den süßen Geschmack als auch durch die herzförmigen Blätter zeigt uns die Traube außerdem einen Venusanteil an. Das sichert die Regeneration und tröstet insbesondere das seelisch geschwächte Herz.
▶ Die Autorin Riki Allgeier ist Heilpraktikerin mit Schwerpunkt abendländische
Therapien. Seit mehr als 20 Jahren führt sie eine Praxis in München und ist zudem Autorin, Fotografin und Dozentin für Astromedizin.
• www.naturheilpraxis-riki- allgeier.de
▶ Literatur • Riki Allgeier, Max Amann: Der himmlische Heilpflanzenführer,
Bacopa Verlag, 2017
• Hieronymus Böck: Das Kreütterbuch, 1577,
Nachdruck im Verlag Konrad Kölbl, 1964
• Hildegard von Bingen: Heilkraft der Natur – „Physica“,
Herder Verlag, 1993
• Susanne Fischer-rizzi: Medizin der Erde, AT Verlag, 2005