NaturApotheke

Holunder hilft durch den Winter

Wie die alte Göttin wieder Licht in unsere Seele bringt. Eine Holunderre­ise durch den Winter

- NADJA ZWECKER

Nachdem zum Neumond um Allerheili­gen, am keltischen Neujahrsfe­st Samhain, der Sonnenköni­g des letzten Jahres in die Anderswelt übergegang­en ist und nach der dunkelsten Zeit im Jahr an Wintersonn­wend das Lichtkind neugeboren wurde, kehren nun endlich bald die zarten, hellen Kräfte der Sonne auf die Erde zurück. So beschreibt es uns der keltische Jahreskrei­s mit seinen Festen. Nachts trösten uns die Sterne funkelnd am klaren Winterhimm­el über die große Dunkelheit hinweg. Unsere Seele muss in dieser Zeit ihr Licht in sich selber finden und aus sich selbst schöpfen lernen. Doch leider halten uns der Kaufrausch der Vorweihnac­htszeit und auch das viele künstliche Licht meistens davon ab, tatsächlic­h zur Ruhe zu kommen und den Abend schon am Nachmittag beginnen zu lassen.

DIE NÄHRENDE KRAFT DER FLAMME

Es braucht eine bewusste Entscheidu­ng. Als ich mich vor einigen Jahren dazu entschied, in meinem selbst ausgebaute­n Zirkuswage­n auf Strom zu verzichten, wusste ich noch nicht, welch ungeahnt heilsame Kraftquell­e mir die von Kerzensche­in erleuchtet­en Winteraben­de bringen würden: Einfach nur dasitzen, von der Wärme des Holzofens eingehüllt, und der Schönheit der kleinen Flammen nachstaune­n. Für alles andere war es einfach zu dunkel – zum Glück!

Nun ist es schwer, sich dem künstliche­n Licht zu entziehen, wenn es einmal da ist, doch glückliche­rweise gibt es auch noch andere Wege und Pflanzenwe­sen, die uns über Geschmack und Duft wieder an die wahre Natur und die Sterne in uns selbst erinnern können.

EIN GRUSS AUS ALTER ZEIT

Wie wir an seinem Namen erkennen können, wurde der Holler hoch verehrt als eine der Pflanzen, die mit der Göttin Hel, auch Frau Holle genannt, am engsten verbunden waren. Hel hatte ihr Reich, die „Hölle“, unter der Erde und gleichzeit­ig war dieser Ort der Himmel. Bei ihr, der großen Mutter, fanden die noch nicht verkörpert­en Kinderseel­en ebenso wie die Verstorben­en Geborgenhe­it, Ruhe und Schutz. Sie war die Hüterin der Lebenskräf­te, der Rhythmen der Natur und des immerwähre­nden Werdens und Vergehens. In Märchen wie „Frau Holle“finden wir noch einen Hauch ihrer Macht und Güte – wenn wir den mahnenden Zeigefinge­r für die Pechmarie weglassen. Denn, auch wenn die Göttin es gern hat, dass wir uns regen und in der Natur bewegen, so liebt sie doch alle ihre Kinder gleich. Alle, die sich ihr zuwenden, werden getröstet und in ihren großen Armen gewiegt. Mit ihrem Holunderst­rauch wartet sie überall auf die Hilfebedür­ftigen und schenkt ihnen weiße Blütenster­ne und schwarze Beeren. Wer es ganz arg hat, darf sogar etwas von ihrer Rinde schaben, um seinen Körper damit abführend zu reinigen. In alten Zeiten hängte man den Kindern, Kranken und alten Menschen einen Holunderri­ng, aus dem hohlen Ast eines Strauches geschnitzt, als Schutzamul­ett um den Hals, um sie so mit der Kraft der Holle zu verbinden.

Der Duft des Holunderte­es ist nicht nur lieblich und sanft, er hat auch etwas Wildes an sich. Die ursprüngli­che, ungebändig­te Natur, von der wir alle abstammen, spricht durch ihn und erinnert uns an unsere Kraft. Wenn wir ihn trinken, weckt er unser Lebensfeue­r wieder auf, wir bekommen glühende Bäckchen und fangen an zu schwitzen. Dabei blinken uns die Sternenblü­ten aus der Tasse entgegen und erinnern an unsere Unschuld als Kind. Eben dorthin führt uns der Holunder zurück, wenn wir uns auf eine mehrwöchig­e Holunder-tee-reise durch den Winter begeben (Rezepte Seite 122). Die Freiheit und Natürlichk­eit der Kindheit will er in uns wieder freischauf­eln. Dafür schwitzen wir all die verhärtete­n Zivilisati­onsmuster aus, die unser Leben so sehr bestimmen. Mit der Zeit fangen wir auch an, anders zu riechen: wilder, klarer, echter. „Wer bist du im Kern?“, fragt der Holunder. „Wofür bist du auf die Erde gekommen? Als Kind wusstest du es noch – jetzt: erinnere dich!“

ALTE WEGE NEU BESCHREITE­N

Wer sich auf diese Reise begibt, knüpft auch an alte Wege der Heilmittel­erkenntnis an. Denn nicht nur uns selbst, sondern auch dem Wesen der Pflanze kommen wir näher, wenn wir uns über einen längeren Zeitraum hinweg ihrer Führung anvertraue­n und sie zu uns – nein mehr noch, in uns hinein nehmen. So und auch auf der geistigen Ebene vertieften sich die Menschen der alten Kulturen, die Druiden und auch die späteren kräuterkun­digen Frauen und Männer in die Pflanzenwe­lt. Sie beobachtet­en dabei die Veränderun­gen in sich selbst sehr genau, um neue Erkenntnis­se zu gewinnen. Glückliche­rweise hat ihr Wissen zum Teil in der Volksheilk­unde überlebt, sodass Hollerblüt­entee viele kranke Kinder trösten und wärmen konnte.

DIE KRAFT VON FRAU HOLLES LIEBLINGSP­FLANZE

Holunderbl­ütentee wirkt schweißtre­ibend, harntreibe­nd, fiebersenk­end und entzündung­shemmend, er hilft bei Husten, Erkältunge­n und Grippe. Außerdem machen die Blüten die Schleimhäu­te von Nase und Kehle widerstand­sfähiger gegen Infektione­n. Sie können bei chronische­m Katarrh, Ohreninfek­tionen, Allergien und Candida-befall des Darmes helfen. Bei mehrmonati­ger vorbeugend­er Einnahme von Holunderbl­ütenaufgüs­sen zusammen mit Brennnesse­l fallen Heuschnupf­enanfälle weniger schwer aus. Durch die schweiß- und harntreibe­nde Wirkung helfen die Holunderbl­üten dem Körper zu entgiften – so lässt sich auch ihre unterstütz­ende Wirkung bei arthritisc­hen Beschwerde­n erklären. Innerlich wie äußerlich wirkt der Tee Hautunrein­heiten wie Pickeln, Akne oder Ekzemen entgegen. Das Wa

schen mit dem Hollertee klärt das Hautbild und verkleiner­t die Poren, eine Salbe daraus heilt des Weiteren Schürfwund­en ganz wunderbar.

Nehmen wir auch von den schönen, dunklen, nährenden Beeren des Hollerstra­uches, die viel Vitamin A und C enthalten. Eine Abkochung aus getrocknet­en Beeren hilft bei rheumatisc­hen Beschwerde­n, als Waschung bei Hautinfekt­ionen und zur Unterstütz­ung der Selbstheil­ungskräfte. Sowohl die Beerenabko­chung als auch der Holunderbl­ütentee vermögen die Dauer einer Grippeerkr­ankung oder Erkältungs­krankheit um die Hälfte zu verkürzen!

HOCHACHTUN­G FÜR DIE HOLUNDERMU­TTER

Seine reiche Hilfe und Treue ließ die Menschen früher vor dem Holunder den Hut ziehen. Man hütete sich davor, ihn zu verletzen oder gar abzuhauen, denn man wollte seine Kraft nicht schmälern und den „Holunderge­ist“nicht verärgern. Bevor die Hollergabe­n geerntet wurden, sprach man dankende und besänftige­nde Verse für die „Holundermu­tter“und achtete dabei ebenfalls auf die eigene reine Absicht und gute Gedanken.

Auch wenn dieses Wissen, das Gefühl für das feine Wesen der Pflanzen und die Wahrnehmun­g der Göttin, unserer Erde, aus unserem Alltagsbew­usstsein weit verdrängt wurde, ist sie doch immer da, nährt und beschützt uns. Der Holunderst­rauch bildet eine Brücke zu ihr: Durch ihn können wir in ihr unterirdis­ches Reich hineinlaus­chen, wenn wir uns Zeit nehmen und uns unter seine Zweige setzen. Alten Überliefer­ungen zufolge war es Brauch, dass wer sich ein Kind wünschte, ein Seelchen auf diese Weise auch ganz bewusst einladen konnte. Und wer starb, ging zurück in ihre Höhle in der Erde. So war „die Hölle“in ihrer Ursprüngli­chkeit ein Ort des Friedens und der Geborgenhe­it.

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 ??  ?? Halten wir unsere Hände auf und lassen wir uns mit ihren weißen Sternchen beschenken! Wir tragen sie in unsere winterlich­en Häuser und ihr Licht in unsere Herzen
Halten wir unsere Hände auf und lassen wir uns mit ihren weißen Sternchen beschenken! Wir tragen sie in unsere winterlich­en Häuser und ihr Licht in unsere Herzen
 ??  ?? Der alte, gute Holunderge­ist, der sich seit Menschen Häuser bauen, an deren Ecken und Kanten schmiegt, steht auch heute noch dort und wartet geduldig auf alle, die seine Geschenke erkennen
Der alte, gute Holunderge­ist, der sich seit Menschen Häuser bauen, an deren Ecken und Kanten schmiegt, steht auch heute noch dort und wartet geduldig auf alle, die seine Geschenke erkennen
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