Holunder hilft durch den Winter
Wie die alte Göttin wieder Licht in unsere Seele bringt. Eine Holunderreise durch den Winter
Nachdem zum Neumond um Allerheiligen, am keltischen Neujahrsfest Samhain, der Sonnenkönig des letzten Jahres in die Anderswelt übergegangen ist und nach der dunkelsten Zeit im Jahr an Wintersonnwend das Lichtkind neugeboren wurde, kehren nun endlich bald die zarten, hellen Kräfte der Sonne auf die Erde zurück. So beschreibt es uns der keltische Jahreskreis mit seinen Festen. Nachts trösten uns die Sterne funkelnd am klaren Winterhimmel über die große Dunkelheit hinweg. Unsere Seele muss in dieser Zeit ihr Licht in sich selber finden und aus sich selbst schöpfen lernen. Doch leider halten uns der Kaufrausch der Vorweihnachtszeit und auch das viele künstliche Licht meistens davon ab, tatsächlich zur Ruhe zu kommen und den Abend schon am Nachmittag beginnen zu lassen.
DIE NÄHRENDE KRAFT DER FLAMME
Es braucht eine bewusste Entscheidung. Als ich mich vor einigen Jahren dazu entschied, in meinem selbst ausgebauten Zirkuswagen auf Strom zu verzichten, wusste ich noch nicht, welch ungeahnt heilsame Kraftquelle mir die von Kerzenschein erleuchteten Winterabende bringen würden: Einfach nur dasitzen, von der Wärme des Holzofens eingehüllt, und der Schönheit der kleinen Flammen nachstaunen. Für alles andere war es einfach zu dunkel – zum Glück!
Nun ist es schwer, sich dem künstlichen Licht zu entziehen, wenn es einmal da ist, doch glücklicherweise gibt es auch noch andere Wege und Pflanzenwesen, die uns über Geschmack und Duft wieder an die wahre Natur und die Sterne in uns selbst erinnern können.
EIN GRUSS AUS ALTER ZEIT
Wie wir an seinem Namen erkennen können, wurde der Holler hoch verehrt als eine der Pflanzen, die mit der Göttin Hel, auch Frau Holle genannt, am engsten verbunden waren. Hel hatte ihr Reich, die „Hölle“, unter der Erde und gleichzeitig war dieser Ort der Himmel. Bei ihr, der großen Mutter, fanden die noch nicht verkörperten Kinderseelen ebenso wie die Verstorbenen Geborgenheit, Ruhe und Schutz. Sie war die Hüterin der Lebenskräfte, der Rhythmen der Natur und des immerwährenden Werdens und Vergehens. In Märchen wie „Frau Holle“finden wir noch einen Hauch ihrer Macht und Güte – wenn wir den mahnenden Zeigefinger für die Pechmarie weglassen. Denn, auch wenn die Göttin es gern hat, dass wir uns regen und in der Natur bewegen, so liebt sie doch alle ihre Kinder gleich. Alle, die sich ihr zuwenden, werden getröstet und in ihren großen Armen gewiegt. Mit ihrem Holunderstrauch wartet sie überall auf die Hilfebedürftigen und schenkt ihnen weiße Blütensterne und schwarze Beeren. Wer es ganz arg hat, darf sogar etwas von ihrer Rinde schaben, um seinen Körper damit abführend zu reinigen. In alten Zeiten hängte man den Kindern, Kranken und alten Menschen einen Holunderring, aus dem hohlen Ast eines Strauches geschnitzt, als Schutzamulett um den Hals, um sie so mit der Kraft der Holle zu verbinden.
Der Duft des Holundertees ist nicht nur lieblich und sanft, er hat auch etwas Wildes an sich. Die ursprüngliche, ungebändigte Natur, von der wir alle abstammen, spricht durch ihn und erinnert uns an unsere Kraft. Wenn wir ihn trinken, weckt er unser Lebensfeuer wieder auf, wir bekommen glühende Bäckchen und fangen an zu schwitzen. Dabei blinken uns die Sternenblüten aus der Tasse entgegen und erinnern an unsere Unschuld als Kind. Eben dorthin führt uns der Holunder zurück, wenn wir uns auf eine mehrwöchige Holunder-tee-reise durch den Winter begeben (Rezepte Seite 122). Die Freiheit und Natürlichkeit der Kindheit will er in uns wieder freischaufeln. Dafür schwitzen wir all die verhärteten Zivilisationsmuster aus, die unser Leben so sehr bestimmen. Mit der Zeit fangen wir auch an, anders zu riechen: wilder, klarer, echter. „Wer bist du im Kern?“, fragt der Holunder. „Wofür bist du auf die Erde gekommen? Als Kind wusstest du es noch – jetzt: erinnere dich!“
ALTE WEGE NEU BESCHREITEN
Wer sich auf diese Reise begibt, knüpft auch an alte Wege der Heilmittelerkenntnis an. Denn nicht nur uns selbst, sondern auch dem Wesen der Pflanze kommen wir näher, wenn wir uns über einen längeren Zeitraum hinweg ihrer Führung anvertrauen und sie zu uns – nein mehr noch, in uns hinein nehmen. So und auch auf der geistigen Ebene vertieften sich die Menschen der alten Kulturen, die Druiden und auch die späteren kräuterkundigen Frauen und Männer in die Pflanzenwelt. Sie beobachteten dabei die Veränderungen in sich selbst sehr genau, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Glücklicherweise hat ihr Wissen zum Teil in der Volksheilkunde überlebt, sodass Hollerblütentee viele kranke Kinder trösten und wärmen konnte.
DIE KRAFT VON FRAU HOLLES LIEBLINGSPFLANZE
Holunderblütentee wirkt schweißtreibend, harntreibend, fiebersenkend und entzündungshemmend, er hilft bei Husten, Erkältungen und Grippe. Außerdem machen die Blüten die Schleimhäute von Nase und Kehle widerstandsfähiger gegen Infektionen. Sie können bei chronischem Katarrh, Ohreninfektionen, Allergien und Candida-befall des Darmes helfen. Bei mehrmonatiger vorbeugender Einnahme von Holunderblütenaufgüssen zusammen mit Brennnessel fallen Heuschnupfenanfälle weniger schwer aus. Durch die schweiß- und harntreibende Wirkung helfen die Holunderblüten dem Körper zu entgiften – so lässt sich auch ihre unterstützende Wirkung bei arthritischen Beschwerden erklären. Innerlich wie äußerlich wirkt der Tee Hautunreinheiten wie Pickeln, Akne oder Ekzemen entgegen. Das Wa
schen mit dem Hollertee klärt das Hautbild und verkleinert die Poren, eine Salbe daraus heilt des Weiteren Schürfwunden ganz wunderbar.
Nehmen wir auch von den schönen, dunklen, nährenden Beeren des Hollerstrauches, die viel Vitamin A und C enthalten. Eine Abkochung aus getrockneten Beeren hilft bei rheumatischen Beschwerden, als Waschung bei Hautinfektionen und zur Unterstützung der Selbstheilungskräfte. Sowohl die Beerenabkochung als auch der Holunderblütentee vermögen die Dauer einer Grippeerkrankung oder Erkältungskrankheit um die Hälfte zu verkürzen!
HOCHACHTUNG FÜR DIE HOLUNDERMUTTER
Seine reiche Hilfe und Treue ließ die Menschen früher vor dem Holunder den Hut ziehen. Man hütete sich davor, ihn zu verletzen oder gar abzuhauen, denn man wollte seine Kraft nicht schmälern und den „Holundergeist“nicht verärgern. Bevor die Hollergaben geerntet wurden, sprach man dankende und besänftigende Verse für die „Holundermutter“und achtete dabei ebenfalls auf die eigene reine Absicht und gute Gedanken.
Auch wenn dieses Wissen, das Gefühl für das feine Wesen der Pflanzen und die Wahrnehmung der Göttin, unserer Erde, aus unserem Alltagsbewusstsein weit verdrängt wurde, ist sie doch immer da, nährt und beschützt uns. Der Holunderstrauch bildet eine Brücke zu ihr: Durch ihn können wir in ihr unterirdisches Reich hineinlauschen, wenn wir uns Zeit nehmen und uns unter seine Zweige setzen. Alten Überlieferungen zufolge war es Brauch, dass wer sich ein Kind wünschte, ein Seelchen auf diese Weise auch ganz bewusst einladen konnte. Und wer starb, ging zurück in ihre Höhle in der Erde. So war „die Hölle“in ihrer Ursprünglichkeit ein Ort des Friedens und der Geborgenheit.