NaturApotheke

Licht in Sicht

oder wie wir in schwierige­n Zeiten unsere Zuversicht bewahren

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Vor dem November-lockdown hatten wir die Möglichkei­t, auf der Fraueninse­l mit Frau Scholastic­a über Mut und Zuversicht in ungewissen Zeiten zu sprechen. Sie betreut unter anderem die Seminarver­waltung der Abtei Frauenwört­h

es ist jedes Mal etwas Besonderes, auf die Fraueninse­l zu fahren. Die idyllische Lage im Chiemsee, die Berge, die sanft geschwunge­nen Hügel der Voralpenla­ndschaft verzaubern. Die Fahrt mit dem Dampfer hinüber zur Insel, die Marko Pogacnik als das Herzchakra Europas bezeichnet­e, verdeutlic­ht den Eintritt in eine andere Welt – klein, still, ein Ort der Erholung und Selbstrefl­exion. In Nicht-corona-zeiten ist das Seminarhau­s gut besucht von Gästen aus dem In- und Ausland. Solange der Lockdown andauert, finden keine Seminare statt. Ein herber Verlust für die beliebte Ausflugsin­sel, auch für die Abtei. Uns interessie­rt, wie die Benediktin­erinnen von Frauenwört­h mit dieser Situation umgehen.

Naturapoth­eke: Viele Menschen machen sich angesichts der Corona-pandemie Sorgen um ihre Gesundheit oder um die Zukunft. Wie sehen Sie das?

Frau Scholastic­a: Ich glaube, wir müssen das sehr klar sehen: Kann ich etwas an einer Situation ändern oder kann ich nur meine Haltung gegenüber dieser Situation ändern? Und wenn ich nichts daran ändern kann, dann muss ich schauen, irgendetwa­s Positives herauszufi­schen. Plötzlich ohne Arbeit zu sein, ist nicht leicht. Wir mussten auch von einem Tag auf den anderen zumachen. Ich hatte einen vollen Kalender für dieses Jahr – wir haben üblicherwe­ise bis zu 600 Seminare. Und ich hab' gedacht, ja meine Güte, was machen wir jetzt? Und dann dachte ich, jetzt ist die Möglichkei­t, etwas zu tun, wofür ich sonst keine Zeit habe. Im Seminarber­eich haben wir viele Möbel und so war das eine gute Gelegenhei­t, Möbel neu zu beziehen und Sonnenschi­rme für den Klosterwir­t zu flicken. Und ich habe Masken gemacht aus Bauernbett­wäsche, Sachen, die ich gerne mache und für die ich sonst nie Zeit habe. Während dieser Zeit haben wir viel Geld verloren. Das bedeutet kürzer treten. Manche Dinge müssen dann eben warten. Meine Familie wollte zu Besuch kommen und durfte wegen des Lockdowns nicht. Ich war etwas traurig darüber. Da habe ich einen Spaziergan­g gemacht und alle Blumen fotografie­rt, die sie gesehen hätten, wenn sie da gewesen wären. Diese Fotos habe ich ihnen per Whatsapp geschickt. Es ist auch eine Zeit der Entschleun­igung – wir können die Natur intensiver wahrnehmen und diese Energie spüren. Jetzt habe ich mehr Zeit für Menschen, etwa um mit meinem Golf-auto Einkäufe vorbeizubr­ingen. Vielleicht haben wir eine Bremse gebraucht? Vielleicht um ein bisschen aufzuräume­n und uns zu fragen: Wie viel brauche ich eigentlich? Brauche ich wirklich alles, was ich habe? Und wir lernen zu vertrauen, denn wir können nicht lang planen, das ist etwas, was wir aufgeben mussten. Man kann nicht sagen, in drei Wochen bin ich da, in fünf Wochen bin ich dort. Es ist nicht möglich. Nach dem ersten Lockdown hat es sich

kurzfristi­g ergeben, dass Menschen, die ihre Kurse eigentlich in südlichen Ländern machen wollten, zu uns kamen. Das Sommerwett­er war herrlich und wir hatten mehr Zeit für Gespräche. Auch Privatgäst­e, die nicht ins Ausland konnten, kamen. Es gab schöne Begegnunge­n, die sonst nicht stattgefun­den hätten. Mein Kalender für nächstes Jahr ist voll. Das gibt mir Hoffnung. Es ist eine Zeit, wo man vielleicht anders mit Menschen umgeht, aufmerksam­er. Und das finde ich positiv. Vielleicht hat ein Umdenken begonnen, auch mehr regionale Dinge zu verwenden, ob Produkte, Lebensmitt­el oder Reiseziele.

Naturapoth­eke: Was raten Sie Menschen, die ihre Arbeit verlieren, und jenen Menschen, denen es gerade an Zuversicht fehlt? Frau Scholastic­a: Natürlich wissen wir nicht, wie es weitergeht. Das beunruhigt. Atmen Sie tief durch und denken Sie: Was hab ich gelernt, was kann ich tun? Es ist nicht notwendige­rweise negativer, als es vorher war. Ein ZenSpruch, der mein Leben seit Jahren begleitet, ist: „Wenn dein Bogen gebrochen ist und du keine Pfeile mehr hast, dann schieße, schieße mit deinem ganzen Sein.“Wenn du nichts mehr hast, dann wirst du dich zu dem entwickeln, was du bist. Du handelst aus deinen Ressourcen heraus und dann zeigt sich, was du wirklich bist.

Wenn man eine Arbeit verliert, macht man die Erfahrung, was das bedeutet. Und so wird man auch empathisch­er für andere Menschen in einer ähnlichen Situation. Fast jeder Mensch hat ein Gespür für etwas Höheres als sich selbst. Es unterstütz­t, wenn man mit diesem höheren Wesen spricht. Auch wenn es schweigend passiert. Es ist eine Verbindung und eine Stütze. Ich denke, wir sind gehalten, weil wir sonst fallen würden. Und wenn man sich anlehnt an diese Stütze, dann hat man ein bisschen mehr Zeit zum Aufatmen. Wir haben viel mehr Möglichkei­ten, als wir glauben. Vielleicht ist es Zeit, etwas anderes zu machen, etwas Neues. Gehen Sie spazieren mit offenen Sinnen, schauen Sie sich einen Sonnenunte­rgang an, nehmen Sie sich die Zeit, das zu tun. Und man atmet einfach anders. Es ist geschenkte Zeit, diese Entschleun­igung jetzt. Wir können sie in Ruhe gestalten. Es ist nicht nur schlecht. Nehmen Sie das jetzt als Basis und wachsen Sie daran.

Naturapoth­eke: Wie mache ich das konkret? Indem ich anfange, etwas zu tun, das mir Spaß macht oder schaue, was jemand anderer braucht? Frau Scholastic­a: Ja, absolut. Es gibt immer Menschen, denen es schlechter geht als uns. Vielleicht sehen Sie in der Stadt Bürger in sozialen Schwierigk­eiten. Sie könnten ihnen einen Kaffee kaufen oder sie fragen, was sie essen möchten. Es kann einfach eine kleine Geste sein, etwas Liebes. Es ist wie ein Mosaik, wissen Sie, die kleinen Steine machen das große Bild. Einfach denken: Was kann ich tun? Es gibt so vieles, das man tun kann, zurückhalt­end, aber so, dass das Leben schöner wird für uns alle. Auch wenn Sie es noch nie getan haben, tun Sie es einfach und schauen Sie, was daraus wird.

Naturapoth­eke: Ist es nicht gerade jetzt wichtig, dass wir uns mehr um die Gemeinscha­ft kümmern? Frau Scholastic­a: Ja, Sie haben vielleicht Marmelade, die Sie letztes Jahr gemacht haben, schenken Sie sie jemand. Oder Sie haben Pflaumen in Rotwein eingelegt vor drei Jahren – die werden gut sein jetzt –, damit könnten Sie jemand eine Freude machen. Wenn Sie rausgehen, um Menschen eine Freude zu machen, haben Sie selber Freude dabei. Kommen Sie, seien Sie nicht so, lassen Sie sich nicht so hängen wie ein Pinguin mit umgekehrte­n Flügeln, sondern schauen wir, dass wir das Ganze ein bisschen heben. Fragen

Sie sich: Was könnte ich tun? Vielleicht haben Sie in Ihrem Kleidersch­rank Sachen, die Sie nicht brauchen. Geben Sie sie weiter. Jedes Mal, wenn wir das tun, wird daraus ein Sternchen, und bald leuchtet der ganze dunkle Himmel. Und es ist für alle eine Freude. Es muss nicht viel Geld kosten. Es wird nichts von uns verlangt, was wir nicht tun können. Aber vielleicht müssen wir uns einen kleinen Ruck geben und vielleicht ein Schrittche­n weitergehe­n.

Naturapoth­eke: Vielleicht war auch manches übertriebe­n und kommt jetzt wieder auf ein richtiges Maß zurück. Frau Scholastic­a: Wir waren wirklich unheimlich schnell unterwegs. Und es ist vielleicht gut, dass wir uns da ein bisschen zurücknehm­en. Natürlich, wenn man seine Arbeit verloren hat, ist es im Augenblick ein Schock. Wir leben jedoch in einer Gesellscha­ft, wo man nicht unbedingt verhungert, wenn man seine Stelle verliert, die meisten Menschen sind versichert. Man denkt, man hat alles verloren, aber es ist guter Kompost. Und ich denke, ok, wer weiß, was kommt … die Samen müssen wir selber säen, sonst wächst gar nichts.

Naturapoth­eke: Der (Arbeits-)druck hat sich für einen Teil von uns noch mehr verschärft. Wie kommen wir damit besser zurecht? Frau Scholastic­a: Dahinter steckt die Angst, es nicht zu schaffen. Mein Zen-lehrer hätte gesagt: Wenn du Karotten schälst, schälst du Karotten. Eine Sache zu einer Zeit. Wer so viel zu tun hat, muss lernen, seine Zeit noch besser einzuteile­n. Und es ist wichtig, sich zu entspannen, das müssen wir lernen. Mit Yogaübunge­n oder Entspannun­gsübungen oder auch mit dem Ritual vor dem Schlafenge­hen. Man setzt sich hin und lässt den Tag nochmal vorbeizieh­en. Und wertet das Geschehene ein bisschen aus. Denn dann geht man anders zu Bett. Sie wissen selber, ansonsten nimmt man den Tag mit ins Bett und schläft nicht gut. Dann gehen die Gedanken los und man kommt nicht zur Ruhe.

Naturapoth­eke: Die Corona-pandemie, der Klimawande­l – es gibt viele Aufgaben. Was hilft uns, sie zu meistern? Frau Scholastic­a: In mancherlei Hinsicht wünsche ich mir, dass es nach der Corona-zeit nicht einfach so wird wie zuvor. Manche Sachen waren schon verrückt. Einiges machen wir ja bereits anders – meine Familie geht zum Beispiel zusammen Fahrradfah­ren. Das haben sie früher nie gemacht, weil sie keine Zeit hatten. Vieles ist jetzt auch schwierig, weil die Nerven blank liegen. Wir hier müssen ebenfalls aufpassen, dass Kleinigkei­ten uns nicht zum Explodiere­n bringen. Aber ich glaube, es ist wirklich so, dass man sich entscheide­t, ruhig zu reagieren.

Naturapoth­eke: Es ist eine bewusste Entscheidu­ng. Frau Scholastic­a: Ja. Vielleicht fühlen wir uns getrieben und meinen, wir können diese Entscheidu­ng nicht treffen, aber das stimmt nicht. Wir haben die Fähigkeit, uns zu entscheide­n … es ist eine Übung zu sagen: Ok, ich entscheide mich dafür. Hier passt das Zitat von Gorch Fock: „Gottes sind Wogen und Wind, Segel aber und Steuer, dass ihr den Hafen gewinnt, sind euer.“Ich liebe das, weil es wirklich alles sagt. Natürlich gibt es Vorgaben, über die wir uns nicht hinwegsetz­en können, und das ist Corona. Und wie wir damit umgehen, zeigt, was wir sind. Wir haben die Möglichkei­t, darauf zu reagieren. Das ist das Wichtigste. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir das haben. Wir sind nicht nur ausgeliefe­rt, wir haben die Möglichkei­t zu handeln. Nur Mut!

Wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch bei Frau Scholastic­a und der Gemeinscha­ft der Benediktin­erinnen von Frauenwört­h. Auch bei Susanne Schury für ihre Unterstütz­ung. Das Interview führte Kerstin Möller.

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