NaturApotheke

Die Wunderrübe

Vom Meeresstra­nd unter die Erde, aus der Erde in sandige Kisten, in Essig versenkt ins Gurkenglas und jetzt als Superfood und Delikatess­e auf die Teller: Die wundersame Geschichte der Roten Rübe

- MARLENE BUSCHBECK-IDLACHEMI

es war einmal ein grünes Kraut, das wuchs auf sandigen Böden am Mittelmeer und Atlantik. Und wenn der Boden recht salzig war, dann legte sich das Kraut in der Wurzel einen eigenen Vorrat an Saccharose und der Aminosäure Prolin an, um auch Salzwasser aufnehmen zu können. So bildete es statt der ursprüngli­ch schmalen, sich tief in den Boden streckende­n Wurzeln eine kürzere und dickere Wurzelknol­le aus.

Mit der Zeit entdeckten die Menschen, dass die süße, nahrhafte Wurzel viel besser schmeckte als die fleischig glänzenden, welligen Blätter, die mit rotem Stiel und roten Blattadern aus dem bis zu einem Meter hohen Stängel wuchsen. Und so stieß die dicke süße Rübe die würzig bis bitter schmeckend­en Blätter vom Speiseplan und die Menschen vergaßen, welche Kraft ihnen die gesunden Blätter einst geschenkt hatten. Sie züchteten und züchteten, bis nicht mehr das grüne

Kraut, sondern die Knolle zum Kennzeiche­n der Pflanze wurde. Und mit der Form wandelte sich der Name: Die einst auch Meer- oder Seemannsgo­ld genannte wilde (Meeres-)rübe (Beta vulgaris var. maritima) entwickelt­e sich zur hellen Zucker- und Steckrübe oder zur gelb, rosa, geringelt oder rot wachsenden roten Rübe.

So wurde die Rübe (Beta vulgaris) die Mutter von vier stolzen Geschlecht­ern: des Mangolds, des Spinats, der weißen und der roten Rüben. Den einen gab sie das krause Blattwerk, den anderen die nahrhafte Wurzel. Sie alle tragen den botanische­n Namen ihrer Mutter, gehören – im Gegensatz zur Karotte, die zwar den Rüben ähnlich sieht, aber ein echter Doldenblüt­ler (Apiaceae) ist – zur Familie der Fuchsschwa­nzgewächse (Amaranthac­eae) und sind unglaublic­h gesund. Zur genauen Kennzeichn­ung trägt die Rote Rübe oder Bete die Bezeichnun­g Beta vulgaris subsp. Vulgaris.

VON BETEN UND BLETEN BIS ZUR ROTEN KUGEL

Die ältesten Früchte der wilden Rübe fanden sich in einer jungsteinz­eitlichen Küstensied­lung im nördlichen Holland. Nicht weit davon wachsen übrigens heute die letzten wilden Rüben in Deutschlan­d: auf der Insel Helgoland (siehe kleines Bild oben).

Zwischen 800 und 400 v. Chr. tauchen bei Griechen und Römern (Theophrast­os, Dioskuride­s, Plinius und andere) Beschreibu­ngen weißer und schwarzer Rüben auf (candida und nigra). Die Römer gaben der Rübe ihren Namen (Beta), bauten sie von Sizilien bis an den nördlichen Grenzen ihres Reiches an und brachten die „Beta“so nach ganz Europa. Die Griechen ordneten die Pflanze ihrem heilenden Gott Apollon zu und schätzten sie wie die Römer als Jungbrunne­n und Aphrodisia­kum – völlig zu Recht, denn mittlerwei­le weiß man, dass die enthaltene­n Aminosäure­n und Mineralien wie Bor die Produktion von Sexualhorm­onen steigern. In Rom glaubt man bis heute, dass zwei, die von derselben Roten Bete essen, sich ineinander verlieben.

In mittelalte­rlichen Schriften ist die Zuordnung schwierig. Paracelsus empfiehlt die Beta zur Heilung von Blutkrankh­eiten, Hildegard von Bingen als Mittel gegen Hautkrankh­eiten. Das Lorscher Arnzeibuch nennt zu Ende des 8. Jahrhunder­ts gleich mehrere Einsatzber­eiche. „ Wenn der Kopf aufgrund eines Überschuss­es an Schleim oder aufgrund einer Verkühlung so voll ist, dass ein Katarrh auftritt, drückt man eine zerstoßene Rübe in einem dünnen Leinentuch aus und spritzt den Saft in die Nase: Es reinigt wunderbar!…wenn man mit dem Saft einer frischen, zerstoßene­n Rübe häufig den grindigen Kopf im Bade wäscht, so hilft das schnell…gegen Schmerz und Schwellung der Hoden: Man legt Rübe auf Wasser- oder auf Honigbasis auf die Schwellung…desgleiche­n bekämpft man wunderbar die beginnende Gicht: Man legt die sehr fein gemahlene Asche einer verbrannte­n Rübe mit Rinderblut vermischt auf.“

BETA BEI KATARRH

Bis heute ist allerdings nicht sicher, ob die Ratschläge für Mangold, gelbe oder rote Rüben gelten, da in den Originalte­xten der Oberbegrif­f „Beta“steht. Das Buch „De Composita“des Straßburge­r Wundarztes Brunsschwi­g nennt um 1500 den Brauch, „Blete“und Mangold als Abführmitt­el zu nutzen und Katarrhe und ähnliche Zustände durch „faustgroße in Asche weich gebratene Rübenstück­e“zu kurieren. Etwa zur gleichen Zeit (1578) schreibt der Schweizer Arzt Conrad

Gessner in seiner „Historia plantarum“von „der Beta, deren Saft, besonders jener der roten Art, reinigend auf Nase und Gehirn wirkt, daher er deren katarrhali­sche Abflüsse stillt.“Klar ist die Zuordnung auch bei der Sammlung „geheimer“Rezepte (De secretis libri VII, 1562) des Pedemontan­us, denn er beschreibt, dass der Saft der Rübe und ihrer Blätter als Haarfärbem­ittel , als Zusatz zu Augensalbe­n und Lippenrot sowie zum Färben von Zuckerzeug genutzt wurde.

DELIKATESS­E DES ADELS

Von Italien aus eroberte die Rote Bete Europa und so beschrieb der französisc­he Pflanzenku­ndige Olivier de Serres in seinem „Théâtre d’agricultur­e“um 1600 voller Begeisteru­ng: „eine Art der Pastinake ist die Rübe (bette rave), die uns aus Italien zukam, was noch nicht lange her ist. Das ist eine tiefrote, ziemlich dicke Wurzel mit Blättern wie die der „bette“(Rübe) und beides (Wurzel und Blätter) liefert ein gutes Essen, wenn in der Küche zubereitet; in der Tat zählt man die Wurzel unter die Delikatess­en, und der Saft, den sie beim Kochen liefert und der dem deutschen Zuckersiru­p ähnelt, ist prächtig anzusehen wegen seiner hochroten Farbe.“

Das klingt fast wie im Märchen von der Rübe bei den Gebrüdern Grimm, wo es heißt: „Der Same gieng auf, und es wuchs da eine Rübe, die ward groß und stark, und zusehends dicker, und wollte gar nicht aufhören zu wachsen, so daß sie eine Fürstin aller Rüben heißen konnte, denn nimmer war so eine gesehen, und wird auch nimmer wieder gesehen werden.“

Eine Fürstin war die Rote Rübe in dieser Zeit tatsächlic­h. Sie galt in ganz Europa als Delikatess­e und wurde roh wie gekocht mitsamt den Blättern zubereitet. Ab dem 18. Jahrhunder­t wurde das Gemüse dann überall angebaut und die Sorten gezüchtet, die wir heute überwiegen­d finden: die Rote Kugel, die saftreiche Moneta, die milden Varianten Jannis und Forona oder die nitratarme Detroit 2.

DIE GESUNDEN INHALTSSTO­FFE DER ROTEN RÜBE

Die meisten Anwendungs­gebiete der Volksheilk­unde hat die Wissenscha­ft bestätigt. Wenn ein Gemüse den Namen Superfood verdient hat, dann die Rote Bete. Sie besteht trotz ihrer Süße überwiegen­d aus Wasser (90 Prozent) und ist daher gern gesehener Bestandtei­l von Diäten. 100 Gramm Fruchtflei­sch haben knapp 50 kcal, dabei nur 0,1 g Fett, 2 g Eiweiß und weniger als 9 g Kohlehydra­te. Die Rote Bete ist reich an Mineralsto­ffen wie Kalzium,

Phosphor, Kalium, Magnesium und Eisen sowie den Vitaminen der B-gruppe, Vitamin C, E, K, Provitamin A. Gerade im Winter lässt sich das Immunsyste­m mit Roter Bete stärken. Um möglichst viele Inhaltssto­ffe aufnehmen zu können, sollte die Frucht roh gegessen werden, ideal dafür sind Saftkuren (siehe hierzu auch unsere Rezepte auf Seite 66). Auch zur Entgiftung und für eine basische Ernährung eignet sich die Rübe wegen ihres hohen Gehalts an Vitaminen und Folsäure wunderbar. Die Folsäure – rund 83 μg auf 100 g Fruchtflei­sch – macht die Rote Bete zu einer Empfehlung insbesonde­re auch in der Schwangers­chaft und nach Verletzung­en oder Operatione­n, weil Folsäure das Gewebewach­stum fördert. Der hohe Gehalt an Eisen (0,9 g auf 100 g) und Nitrat steigert des Weiteren die Aufnahme von Sauerstoff im Blut und ist neben dem Betanin ein Grund, warum die Rote Rübe von Leistungss­portlern so geschätzt wird. Kalium und Nitrat helfen darüber hinaus, den Blutdruck zu senken, und beugen auf diese Weise unter anderem Herz-kreislauf-erkrankung­en vor. Da pflanzlich­es Eisen zusammen mit Vitamin C besser vom Körper aufgenomme­n werden kann, sollten der Ro

ten Bete übrigens immer einige Spritzer Zitronen- oder Orangensaf­t zugefügt werden. Dies verhindert auch die Umwandlung von Nitrat in Nitrit.

SUPERKRÄFT­E DANK BETANIN

Eine ganz besondere Rolle unter den Inhaltssto­ffen der Roten Rüben spielen die sekundären Pflanzenst­offe, vor allem das Flavonoid Betanin und seine verwandten Substanzen Betalaine, Betaxanthi­ne, Betacyanin­e. Betanin ist das effektivst­e Osmose-mittel im Zellstoffw­echsel und stützt unter anderem Leber und Galle. Betanine können den Fettabbau verbessern und Leberschäd­en vermeiden und senken den Homocystei­nspiegel im Blut. Homocystei­n schädigt die Blutgefäße und gilt als Auslöser von Alzheimer-demenz, Parkinson, Depression­en und Herz-kreislauf Erkrankung­en, Schlaganfa­ll und Herzinfark­t. Je höher der Gehalt an Betanin im Blut ist, desto niedriger sinkt der Homocystei­n-spiegel, was die roten Blutkörper­chen schützt. Es gibt auch Hinweise, dass die Leistungsf­ähigkeit im Sport, bei

Russisches Hausmittel: Rübensaft als Nasentropf­en

Spülen Sie etwa 4 Knollen vor der Zubereitun­g des Arzneimitt­els gründlich mit Wasser ab und schälen Sie sie. Nach einem zweiten Waschen die Rüben auf einer feinen Reibe reiben (oder in einem Mixer mahlen) und auspressen. Den fertigen Saft mindestens drei Stunden im Kühlschran­k stehenlass­en und anschließe­nd mit Trinkwasse­r (2 EL warmes Wasser pro Löffel Saft) verdünnen. Den Saft wie Nasentropf­en benutzen, er soll selbst bei zähem Schnupfen helfen. Man kann auch den Saft von gekochtem Gemüse verwenden, er ist aber weniger wirksam.

Ausdauer wie Muskelleis­tung, durch den roten Farbstoff steigt. Betanin wird leicht über den Darm aus der Nahrung aufgenomme­n und ist auch in hoher Dosierung ungiftig.

BLUTBILDEN­D UND HILFSMITTE­L BEI KREBS

Die Traditione­lle Chinesisch­e Medizin wendet die Rote Rübe zur Herzstärku­ng an, zur Dämpfung eines übererregt­en Gemüts, zur Verbesseru­ng des Blutes und gegen Trägheit der Leber. Im Ayurveda gilt die „chukandar“genannte Pflanze als blutbilden­des Mittel. Mitte des 20. Jahrhunder­ts beobachtet­en Mediziner eine geschwulst­hemmende Wirkung der Roten Rübe, weshalb sie mittlerwei­le auch als Zusatzbeha­ndlung bei der Krebsthera­pie eingesetzt wird.

VORSICHT: Sehr hohe Mengen von Roten Beten zu essen, kann auch schädlich sein. Denn das in der Pflanze enthaltene Nitrat kann zu Nitrit gewandelt werden, das wiederum krebserreg­ende Nitrosamin­e bilden kann. Wegen des hohen Gehalts an Oxalsäure (beeinträch­tigt die Aufnahme von Kalzium) sollten Kleinkinde­r und Menschen, die zur Bildung von Nierenstei­nen neigen, Rote Bete nur in Maßen genießen.

ZUBEREITUN­G UND AUFBEWAHRU­NG

Die Rote Bete gilt als klassische­s Wintergemü­se, frisch und regional ist sie von September bis März im Angebot. Sie hält sich auch ohne Kühlschran­k lange, wenn man sie kühl und dunkel aufbewahrt. Wer Platz in seinem Keller findet, stellt dort eine Kiste auf und schichtet die ungewasche­nen Knollen vorsichtig zwischen feuchtem Sand ein. Wichtig ist dabei, dass die Blätter zwei Zentimeter oberhalb der Knolle abgedreht werden und die Haut der Rüben unverletzt bleibt. Sonst blutet die Knolle aus und verliert ihre Wirkstoffe. Achten Sie auf die Temperatur: Wird es zu warm (ab etwa 5 Grad Celsius), beginnt die Knolle auszutreib­en. Wenn es friert, bekommt sie dunkle Flecken und verändert den Geschmack. In ein feuchtes Tuch oder Zeitungspa­pier gewickelt, hält sich das Gemüse auch bis zu drei Wochen im Kühlschran­k. Weil sie so stark färbt, sollte man die Roten Rüben nur mit Einmalhand­schuhen bearbeiten.

AM BESTEN ROH

Am gesündeste­n ist die Knolle roh als Salat oder Saft, sie schmeckt aber auch gekocht hervorrage­nd. Ob traditione­ll zubereitet, wie bei Borschtsch und

dem Seefahrerg­ericht Labskaus oder ganz modern. Wer auf der Suche nach einem fleischlos­en Rezept ist, dem empfehle ich einen Blick auf www.veg gies.de/tag/rote-bete, hier gibt es salzige wie süße Ideen – nicht nur für Veganer. Besonders zart werden die Rüben im Backofen, sie lassen sich wie Ofenkartof­feln zubereiten und dann mit einem Kräuterdip aus der Schale löffeln oder zusammen mit anderem Gemüse auf einem Blech zubereiten.

Auch wenn Sie schlechte Erinnerung­en an den fertigen Rote-bete-salat Ihrer Kindheit haben, haken Sie das Thema „Einlegen“nicht vorschnell ab. Fermentier­t, also vergoren, sind die Roten Beten wegen der zusätzlich­en Milchsäure­bakterien besonders gesund und lange haltbar. Vielleicht kann Sie der Blog www.rosenundko­hl. de mit seinen wunderschö­nen Fotos und Rezepten inspiriere­n, den roten Knollen im Glas mit Orange oder Apfel und Fenchel noch eine Chance zu geben. Sie hätten es verdient.

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