Die Wunderrübe
Vom Meeresstrand unter die Erde, aus der Erde in sandige Kisten, in Essig versenkt ins Gurkenglas und jetzt als Superfood und Delikatesse auf die Teller: Die wundersame Geschichte der Roten Rübe
es war einmal ein grünes Kraut, das wuchs auf sandigen Böden am Mittelmeer und Atlantik. Und wenn der Boden recht salzig war, dann legte sich das Kraut in der Wurzel einen eigenen Vorrat an Saccharose und der Aminosäure Prolin an, um auch Salzwasser aufnehmen zu können. So bildete es statt der ursprünglich schmalen, sich tief in den Boden streckenden Wurzeln eine kürzere und dickere Wurzelknolle aus.
Mit der Zeit entdeckten die Menschen, dass die süße, nahrhafte Wurzel viel besser schmeckte als die fleischig glänzenden, welligen Blätter, die mit rotem Stiel und roten Blattadern aus dem bis zu einem Meter hohen Stängel wuchsen. Und so stieß die dicke süße Rübe die würzig bis bitter schmeckenden Blätter vom Speiseplan und die Menschen vergaßen, welche Kraft ihnen die gesunden Blätter einst geschenkt hatten. Sie züchteten und züchteten, bis nicht mehr das grüne
Kraut, sondern die Knolle zum Kennzeichen der Pflanze wurde. Und mit der Form wandelte sich der Name: Die einst auch Meer- oder Seemannsgold genannte wilde (Meeres-)rübe (Beta vulgaris var. maritima) entwickelte sich zur hellen Zucker- und Steckrübe oder zur gelb, rosa, geringelt oder rot wachsenden roten Rübe.
So wurde die Rübe (Beta vulgaris) die Mutter von vier stolzen Geschlechtern: des Mangolds, des Spinats, der weißen und der roten Rüben. Den einen gab sie das krause Blattwerk, den anderen die nahrhafte Wurzel. Sie alle tragen den botanischen Namen ihrer Mutter, gehören – im Gegensatz zur Karotte, die zwar den Rüben ähnlich sieht, aber ein echter Doldenblütler (Apiaceae) ist – zur Familie der Fuchsschwanzgewächse (Amaranthaceae) und sind unglaublich gesund. Zur genauen Kennzeichnung trägt die Rote Rübe oder Bete die Bezeichnung Beta vulgaris subsp. Vulgaris.
VON BETEN UND BLETEN BIS ZUR ROTEN KUGEL
Die ältesten Früchte der wilden Rübe fanden sich in einer jungsteinzeitlichen Küstensiedlung im nördlichen Holland. Nicht weit davon wachsen übrigens heute die letzten wilden Rüben in Deutschland: auf der Insel Helgoland (siehe kleines Bild oben).
Zwischen 800 und 400 v. Chr. tauchen bei Griechen und Römern (Theophrastos, Dioskurides, Plinius und andere) Beschreibungen weißer und schwarzer Rüben auf (candida und nigra). Die Römer gaben der Rübe ihren Namen (Beta), bauten sie von Sizilien bis an den nördlichen Grenzen ihres Reiches an und brachten die „Beta“so nach ganz Europa. Die Griechen ordneten die Pflanze ihrem heilenden Gott Apollon zu und schätzten sie wie die Römer als Jungbrunnen und Aphrodisiakum – völlig zu Recht, denn mittlerweile weiß man, dass die enthaltenen Aminosäuren und Mineralien wie Bor die Produktion von Sexualhormonen steigern. In Rom glaubt man bis heute, dass zwei, die von derselben Roten Bete essen, sich ineinander verlieben.
In mittelalterlichen Schriften ist die Zuordnung schwierig. Paracelsus empfiehlt die Beta zur Heilung von Blutkrankheiten, Hildegard von Bingen als Mittel gegen Hautkrankheiten. Das Lorscher Arnzeibuch nennt zu Ende des 8. Jahrhunderts gleich mehrere Einsatzbereiche. „ Wenn der Kopf aufgrund eines Überschusses an Schleim oder aufgrund einer Verkühlung so voll ist, dass ein Katarrh auftritt, drückt man eine zerstoßene Rübe in einem dünnen Leinentuch aus und spritzt den Saft in die Nase: Es reinigt wunderbar!…wenn man mit dem Saft einer frischen, zerstoßenen Rübe häufig den grindigen Kopf im Bade wäscht, so hilft das schnell…gegen Schmerz und Schwellung der Hoden: Man legt Rübe auf Wasser- oder auf Honigbasis auf die Schwellung…desgleichen bekämpft man wunderbar die beginnende Gicht: Man legt die sehr fein gemahlene Asche einer verbrannten Rübe mit Rinderblut vermischt auf.“
BETA BEI KATARRH
Bis heute ist allerdings nicht sicher, ob die Ratschläge für Mangold, gelbe oder rote Rüben gelten, da in den Originaltexten der Oberbegriff „Beta“steht. Das Buch „De Composita“des Straßburger Wundarztes Brunsschwig nennt um 1500 den Brauch, „Blete“und Mangold als Abführmittel zu nutzen und Katarrhe und ähnliche Zustände durch „faustgroße in Asche weich gebratene Rübenstücke“zu kurieren. Etwa zur gleichen Zeit (1578) schreibt der Schweizer Arzt Conrad
Gessner in seiner „Historia plantarum“von „der Beta, deren Saft, besonders jener der roten Art, reinigend auf Nase und Gehirn wirkt, daher er deren katarrhalische Abflüsse stillt.“Klar ist die Zuordnung auch bei der Sammlung „geheimer“Rezepte (De secretis libri VII, 1562) des Pedemontanus, denn er beschreibt, dass der Saft der Rübe und ihrer Blätter als Haarfärbemittel , als Zusatz zu Augensalben und Lippenrot sowie zum Färben von Zuckerzeug genutzt wurde.
DELIKATESSE DES ADELS
Von Italien aus eroberte die Rote Bete Europa und so beschrieb der französische Pflanzenkundige Olivier de Serres in seinem „Théâtre d’agriculture“um 1600 voller Begeisterung: „eine Art der Pastinake ist die Rübe (bette rave), die uns aus Italien zukam, was noch nicht lange her ist. Das ist eine tiefrote, ziemlich dicke Wurzel mit Blättern wie die der „bette“(Rübe) und beides (Wurzel und Blätter) liefert ein gutes Essen, wenn in der Küche zubereitet; in der Tat zählt man die Wurzel unter die Delikatessen, und der Saft, den sie beim Kochen liefert und der dem deutschen Zuckersirup ähnelt, ist prächtig anzusehen wegen seiner hochroten Farbe.“
Das klingt fast wie im Märchen von der Rübe bei den Gebrüdern Grimm, wo es heißt: „Der Same gieng auf, und es wuchs da eine Rübe, die ward groß und stark, und zusehends dicker, und wollte gar nicht aufhören zu wachsen, so daß sie eine Fürstin aller Rüben heißen konnte, denn nimmer war so eine gesehen, und wird auch nimmer wieder gesehen werden.“
Eine Fürstin war die Rote Rübe in dieser Zeit tatsächlich. Sie galt in ganz Europa als Delikatesse und wurde roh wie gekocht mitsamt den Blättern zubereitet. Ab dem 18. Jahrhundert wurde das Gemüse dann überall angebaut und die Sorten gezüchtet, die wir heute überwiegend finden: die Rote Kugel, die saftreiche Moneta, die milden Varianten Jannis und Forona oder die nitratarme Detroit 2.
DIE GESUNDEN INHALTSSTOFFE DER ROTEN RÜBE
Die meisten Anwendungsgebiete der Volksheilkunde hat die Wissenschaft bestätigt. Wenn ein Gemüse den Namen Superfood verdient hat, dann die Rote Bete. Sie besteht trotz ihrer Süße überwiegend aus Wasser (90 Prozent) und ist daher gern gesehener Bestandteil von Diäten. 100 Gramm Fruchtfleisch haben knapp 50 kcal, dabei nur 0,1 g Fett, 2 g Eiweiß und weniger als 9 g Kohlehydrate. Die Rote Bete ist reich an Mineralstoffen wie Kalzium,
Phosphor, Kalium, Magnesium und Eisen sowie den Vitaminen der B-gruppe, Vitamin C, E, K, Provitamin A. Gerade im Winter lässt sich das Immunsystem mit Roter Bete stärken. Um möglichst viele Inhaltsstoffe aufnehmen zu können, sollte die Frucht roh gegessen werden, ideal dafür sind Saftkuren (siehe hierzu auch unsere Rezepte auf Seite 66). Auch zur Entgiftung und für eine basische Ernährung eignet sich die Rübe wegen ihres hohen Gehalts an Vitaminen und Folsäure wunderbar. Die Folsäure – rund 83 μg auf 100 g Fruchtfleisch – macht die Rote Bete zu einer Empfehlung insbesondere auch in der Schwangerschaft und nach Verletzungen oder Operationen, weil Folsäure das Gewebewachstum fördert. Der hohe Gehalt an Eisen (0,9 g auf 100 g) und Nitrat steigert des Weiteren die Aufnahme von Sauerstoff im Blut und ist neben dem Betanin ein Grund, warum die Rote Rübe von Leistungssportlern so geschätzt wird. Kalium und Nitrat helfen darüber hinaus, den Blutdruck zu senken, und beugen auf diese Weise unter anderem Herz-kreislauf-erkrankungen vor. Da pflanzliches Eisen zusammen mit Vitamin C besser vom Körper aufgenommen werden kann, sollten der Ro
ten Bete übrigens immer einige Spritzer Zitronen- oder Orangensaft zugefügt werden. Dies verhindert auch die Umwandlung von Nitrat in Nitrit.
SUPERKRÄFTE DANK BETANIN
Eine ganz besondere Rolle unter den Inhaltsstoffen der Roten Rüben spielen die sekundären Pflanzenstoffe, vor allem das Flavonoid Betanin und seine verwandten Substanzen Betalaine, Betaxanthine, Betacyanine. Betanin ist das effektivste Osmose-mittel im Zellstoffwechsel und stützt unter anderem Leber und Galle. Betanine können den Fettabbau verbessern und Leberschäden vermeiden und senken den Homocysteinspiegel im Blut. Homocystein schädigt die Blutgefäße und gilt als Auslöser von Alzheimer-demenz, Parkinson, Depressionen und Herz-kreislauf Erkrankungen, Schlaganfall und Herzinfarkt. Je höher der Gehalt an Betanin im Blut ist, desto niedriger sinkt der Homocystein-spiegel, was die roten Blutkörperchen schützt. Es gibt auch Hinweise, dass die Leistungsfähigkeit im Sport, bei
Russisches Hausmittel: Rübensaft als Nasentropfen
Spülen Sie etwa 4 Knollen vor der Zubereitung des Arzneimittels gründlich mit Wasser ab und schälen Sie sie. Nach einem zweiten Waschen die Rüben auf einer feinen Reibe reiben (oder in einem Mixer mahlen) und auspressen. Den fertigen Saft mindestens drei Stunden im Kühlschrank stehenlassen und anschließend mit Trinkwasser (2 EL warmes Wasser pro Löffel Saft) verdünnen. Den Saft wie Nasentropfen benutzen, er soll selbst bei zähem Schnupfen helfen. Man kann auch den Saft von gekochtem Gemüse verwenden, er ist aber weniger wirksam.
Ausdauer wie Muskelleistung, durch den roten Farbstoff steigt. Betanin wird leicht über den Darm aus der Nahrung aufgenommen und ist auch in hoher Dosierung ungiftig.
BLUTBILDEND UND HILFSMITTEL BEI KREBS
Die Traditionelle Chinesische Medizin wendet die Rote Rübe zur Herzstärkung an, zur Dämpfung eines übererregten Gemüts, zur Verbesserung des Blutes und gegen Trägheit der Leber. Im Ayurveda gilt die „chukandar“genannte Pflanze als blutbildendes Mittel. Mitte des 20. Jahrhunderts beobachteten Mediziner eine geschwulsthemmende Wirkung der Roten Rübe, weshalb sie mittlerweile auch als Zusatzbehandlung bei der Krebstherapie eingesetzt wird.
VORSICHT: Sehr hohe Mengen von Roten Beten zu essen, kann auch schädlich sein. Denn das in der Pflanze enthaltene Nitrat kann zu Nitrit gewandelt werden, das wiederum krebserregende Nitrosamine bilden kann. Wegen des hohen Gehalts an Oxalsäure (beeinträchtigt die Aufnahme von Kalzium) sollten Kleinkinder und Menschen, die zur Bildung von Nierensteinen neigen, Rote Bete nur in Maßen genießen.
ZUBEREITUNG UND AUFBEWAHRUNG
Die Rote Bete gilt als klassisches Wintergemüse, frisch und regional ist sie von September bis März im Angebot. Sie hält sich auch ohne Kühlschrank lange, wenn man sie kühl und dunkel aufbewahrt. Wer Platz in seinem Keller findet, stellt dort eine Kiste auf und schichtet die ungewaschenen Knollen vorsichtig zwischen feuchtem Sand ein. Wichtig ist dabei, dass die Blätter zwei Zentimeter oberhalb der Knolle abgedreht werden und die Haut der Rüben unverletzt bleibt. Sonst blutet die Knolle aus und verliert ihre Wirkstoffe. Achten Sie auf die Temperatur: Wird es zu warm (ab etwa 5 Grad Celsius), beginnt die Knolle auszutreiben. Wenn es friert, bekommt sie dunkle Flecken und verändert den Geschmack. In ein feuchtes Tuch oder Zeitungspapier gewickelt, hält sich das Gemüse auch bis zu drei Wochen im Kühlschrank. Weil sie so stark färbt, sollte man die Roten Rüben nur mit Einmalhandschuhen bearbeiten.
AM BESTEN ROH
Am gesündesten ist die Knolle roh als Salat oder Saft, sie schmeckt aber auch gekocht hervorragend. Ob traditionell zubereitet, wie bei Borschtsch und
dem Seefahrergericht Labskaus oder ganz modern. Wer auf der Suche nach einem fleischlosen Rezept ist, dem empfehle ich einen Blick auf www.veg gies.de/tag/rote-bete, hier gibt es salzige wie süße Ideen – nicht nur für Veganer. Besonders zart werden die Rüben im Backofen, sie lassen sich wie Ofenkartoffeln zubereiten und dann mit einem Kräuterdip aus der Schale löffeln oder zusammen mit anderem Gemüse auf einem Blech zubereiten.
Auch wenn Sie schlechte Erinnerungen an den fertigen Rote-bete-salat Ihrer Kindheit haben, haken Sie das Thema „Einlegen“nicht vorschnell ab. Fermentiert, also vergoren, sind die Roten Beten wegen der zusätzlichen Milchsäurebakterien besonders gesund und lange haltbar. Vielleicht kann Sie der Blog www.rosenundkohl. de mit seinen wunderschönen Fotos und Rezepten inspirieren, den roten Knollen im Glas mit Orange oder Apfel und Fenchel noch eine Chance zu geben. Sie hätten es verdient.