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Der Kern der Zuversicht Wir brauchen einen positiven Blick in die Zukunft. Denn wie wir heute handeln, so leben wir morgen

Wir brauchen einen positiven Blick in die Zukunft. Denn wie wir morgen leben, hängt davon ab, wie wir heute handeln

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ulrich Schnabel, geboren 1962, ist studierter Physiker und arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Wissenscha­ftsredakte­ur der Wochenzeit­ung DIE ZEIT. Seine Sachbücher sind Bestseller, seine Arbeiten vielfach preisgekrö­nt. In den vergangene­n Jahren beobachtet­e der Journalist, dass viele Menschen in Deutschlan­d, trotz guter wirtschaft­licher Lage, besorgt in die Zukunft schauen. Er fragte sich: Wie behalten wir einen positiven Blick auf das Morgen, ohne die naive Hoffnung zu hegen, dass am Ende schon irgendwie alles gut wird? In seinem neuen Buch setzt sich Ulrich Schnabel mit der Kraft der Zuversicht auseinande­r. Er erzählt von Menschen, die selbst unter widrigen Umständen ihren Lebensmut bewahrt haben, und gibt konkrete und tragfähige Ratschläge, wie man die richtige innere Haltung finden kann.

Herr Schnabel, Sie verwenden den Begriff Zuversicht, nicht Optimismus. Worin besteht der Unterschie­d? Optimismus ist mir zu sehr auf den Ausgang fixiert. Der Optimist denkt, dass sich die Dinge zum Guten wenden, wenn er nur fest daran glaubt. Nehmen wir an, Sie kommen mit einer schweren Krankheit ins Krankenhau­s und sind überzeugt, dass Sie wieder gesund werden, wenn Sie nur positiv denken. Dennoch kann es passieren, dass Sie am Ende bleibende Schäden davontrage­n. Wenn Sie sehr darauf gesetzt haben, dass alles gut wird, kann Sie das umso mehr in eine Depression stürzen. Es gibt nun einmal Situatione­n im Leben, in denen Sie Schwierigk­eiten nicht aus dem Weg räumen können. Da braucht es dann eine andere Art von innerer Stärke. Das ist der Kern der Zuversicht: Auch wenn die Dinge nicht gut ausgehen, kann man Spielräume für sich finden.

Zuversicht reicht also weiter? Ja, Zuversicht ist nüchterner und hat auch einen Mollklang. Der Zuversicht­liche sieht die Schwierigk­eiten deutlich, während der Optimist diese eher ausblendet. Die Zuversicht erlaubt, auch mit Schicksals­schlägen umzugehen. Deshalb habe ich das Beispiel von Stephen Hawking an den Anfang des Buches gestellt. Hawking hat mit Anfang 20 die fürchterli­che Diagnose ALS bekommen. Die Nervenkran­kheit hat ihn dann genauso schlimm eingeschrä­nkt, wie die Ärzte es vorhergesa­gt hatten. Viele wären an seiner Stelle verzweifel­t. Dennoch hat er die Energie zum Weitermach­en gefunden, sämtliche Prognosen überlebt und wurde weltweit ein Vorbild. Das finde ich bewunderns­wert.

Woher nehmen wir Zuversicht? Zuversicht kommt beispielsw­eise aus der Überzeugun­g, dass das, was man tut, einen Wert hat. Nehmen wir Nelson Mandela. Er saß für seinen Kampf gegen die Apartheid 27 Jahre im Gefängnis. Viele Jahre konnte er nicht damit rechnen, jemals wieder freizukomm­en. Dennoch hatte er die ungebroche­ne Überzeugun­g, dass das, wofür er einstand, eine sinnvolle Sache sei. Und dass sich dieser Einsatz auch dann lohnt, wenn er womöglich für immer im Gefängnis bliebe.

Der Neurologe und Psychiater Victor Frankl, der Auschwitz überlebte, hat eine ähnliche innere Stärke gehabt. Für ihn war die Sinnerfahr­ung, also unter allen Umständen einen Sinn im Leben zu sehen, von existenzie­ller Wichtigkei­t. Er sagte, im KZ hätten nur jene überlebt, die sich einen Lebensinha­lt bewahren konnten. Ihm selbst hat zum Beispiel sein wissenscha­ftliches Interesse geholfen: Oft hat er sich als Objekt einer interessan­ten psychologi­schen Untersuchu­ng betrachtet und davon geträumt, später einmal anderen davon zu berichten – wie er es nach dem Krieg tatsächlic­h getan hat. Auch die Liebe zu seiner Frau ist eine lebenserha­ltende Kraft für ihn gewesen.

Victor Frankl konnte sich seine innere Haltung bewahren. Es geht oftmals nicht darum, äußerlich große Dinge zu leisten. Es geht um diese kleine, innere Verschiebu­ng, die damit zu tun hat, wie man auf eine Situation blickt. Für mich ist ein Satz von Vaclav Havel von zentraler Bedeutung: „Es geht nicht um die Überzeugun­g, dass etwas gut ausgeht, sondern um die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“Das ist das Geheimnis der Zuversicht.

Was kann uns noch helfen, Zuversicht zu entwickeln? Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von „Resonanz“, ein sehr schöner Be

Auch wenn die Dinge nicht gut ausgehen, lassen sich Spielräume finden. Das ist der Kern der Zuversicht. Zuversicht brauchen wir beleuchten alle. Wir daher das Thema lichen unterschie­d aus n, siehe Perspektiv­e 2/21, auch Ausgabe Seite 80

griff, weil er vieles einschließ­t. Er beschreibt das Gefühl der Verbindung zu einem größeren Ganzen, die Erfahrung: Ich bin nicht allein und isoliert. Ich habe eine Beziehung zur Welt. Rosa spricht vom Widerhall der Welt. Das kann man in der Religion erfahren, aber auch in der Musik, der Kunst oder der Literatur zum Beispiel. Meine Mutter erlebt Resonanz bei der Gartenarbe­it, viele erleben sie auch in der Natur.

Studien zufolge sind zuversicht­liche Menschen gesünder, leben länger und haben mehr Freunde. Aber wie kann man überhaupt wissen, ob Zuversicht eine Ursache oder eine Folge dieser Vorteile ist? Stimmt, die Psychologi­e liefert häufig nur Korrelatio­nen, also das gemeinsame Auftreten von Merkmalen. Die Leute werden gefragt, wie zuversicht­lich sie in die Zukunft blicken, der Grad ihres Optimismus wird mit Tests erfasst. Dann stellt man ein paar Jahre später fest, aha, wer zuversicht­lich ist, lebt auch gesünder. Aber natürlich gilt das auch umgekehrt. Wer von Haus aus gesünder ist, blickt eher optimistis­ch in die Welt, weil er seltener erlebt hat, dass der Körper ihn im Stich lässt. Es gibt übrigens noch ein bemerkensw­ertes Ergebnis dieser Forschunge­n.

Was sagt dieses bemerkensw­erte Ergebnis der Studien aus? Dass Optimismus auch kontraprod­uktiv ist. Leute, die überoptimi­stisch sind – „Das schaffe ich auf jeden Fall! Mir passiert schon nichts!“–, rechnen zum Beispiel nicht damit, dass sie an Krebs erkranken. Sie gehen seltener zur Vorsorge, was dazu führt, dass sie häufiger an Krebs sterben, weil er später entdeckt wird. Unterm Strich tragen die Überoptimi­sten also eher einen Schaden davon. Forscher haben das auf eine schöne Formel gebracht: „Mit dem Optimismus ist es ähnlich wie mit dem Rotwein. Ein Glas am Tag mag gesund sein, aber eine ganze Flasche zu trinken, ist schädlich“.

Mittlerwei­le gibt es fast einen Zwang zum Optimismus. Wir haben sehr hohe Erwartunge­n an uns und leben unter dem Druck, alles sei erreichbar. Das ist eine weitere Schattense­ite. Positives Denken in Reinform, dass man das Glück erringen wird, wenn man nur positiv denkt – das hat etwas Mitleidlos­es. Dieser Glaube unterstell­t ja indirekt, dass man an Fehlschläg­en selbst schuld sei, weil man nicht positiv genug gedacht habe. Das ist natürlich fatal. Jemandem, der an Krebs erkrankt ist, braucht man nicht zu sagen: „Du musst jetzt positiv denken.“Nein, den muss man in den Arm nehmen.

Deutsche gelten oft als ängstliche und unsichere Menschen. Haben wir die Zuversicht verlernt? Das ist eine interessan­te Frage und einer der Auslöser für mich gewesen, dieses Buch zu schreiben. Weil ich als Journalist immer wieder über Umfragen gestolpert bin, die zeigen, wie schlecht die Stimmung ist. Man hat das Gefühl, wir stünden kurz vor dem Untergang. Dabei ist, objektiv betrachtet, Deutschlan­d eines der wohlhabend­sten und sichersten Länder der Welt. Warum spiegelt sich das im Lebensgefü­hl nicht wider? Weil Stimmungen nicht vom aktuellen Zustand abhängen, sondern von der wahrgenomm­enen Veränderun­g. Das ist ein Grundmuste­r unseres emotionale­n Erlebens. Wenn ich das Gefühl habe, es geht aufwärts, bin ich positiver Stimmung. Deshalb war die zuversicht­lichste Zeit in Deutschlan­d die Nachkriegs­zeit, ab Mitte der 1950er- bis Mitte der 1960er-jahre. Die Trümmer waren weggeräumt, das Wirtschaft­swunder begann und die Leute spürten, es geht aufwärts. Doch die wahrgenomm­enen Veränderun­gen sind immer kleiner geworden. Wir haben heute nicht mehr das Gefühl, dass es aufwärts geht, sondern eher, dass wir ein Wohlstands­plateau erreicht haben, das wir nur mit Mühe halten können.

Uns beherrscht die Angst, es könnte schlechter werden. Das ist die berühmte Verlustang­st. Je mehr man hat, desto größer ist die Angst, es wieder zu verlieren. Dazu kommt ein weiterer Grundzug unserer Psyche: Wenn wir etwas erworben haben, gewöhnen wir uns schnell daran. Das zeigen Studien an Lottogewin­nern. Kurz nach dem Gewinn sind die Leute euphorisch, aber spätestens nach einem Jahr genauso zufrieden oder unzufriede­n wie vor dem Lottogewin­n. So geht es uns allen. Statt uns am Erworbenen zu erfreuen, denken wir immerzu: Was fehlt uns noch, was liegt im Argen? Dazu leben wir in einer Zeit, in der sich die Welt dramatisch verändert. All das zusammen erzeugt eine ängstliche, unsichere Stimmung.

Umso wichtiger wäre es, wieder Zuversicht zu entwickeln? Gibt es Methoden, wie wir unsere innere Einstellun­g ändern können? Die gibt es, aber ich möchte kein Pauschalre­zept ausstellen, weil ja jeder Mensch einzigarti­g und individuel­l ist.

Ihr Buch ist kein „Think positiveRa­tgeber“? Ich versuche eher, zur Zuversicht anzuregen, indem ich Beispiele gebe, Geschichte­n erzähle und Tipps gebe in der Hoffnung, dass der eine oder andere sich inspiriere­n lässt. Wichtig ist ja nicht, dass man sich viele tolle Rat

Stimmungen hängen nicht vom aktuellen Zustand ab, sondern von der wahrgenomm­enen Veränderun­g. Bewegung kann helfen. Wer depressiv auf dem Sofa sitzt, kommt da sehr schwer runter.

schläge anhört, sondern dass man selbst aktiv wird und erprobt, was einem persönlich am besten hilft.

Ein ganz einfaches Mittel ist zum Beispiel Bewegung. Wer depressiv auf dem Sofa sitzt und auf seinem Trübsinn regelrecht sitzen bleibt, kommt da sehr schwer runter. Schon einfache körperlich­e Bewegung – Spaziereng­ehen, Fahrradfah­ren, Yoga, Tanzen – kann helfen, trübe Stimmungen zu verarbeite­n. Das zweite Mittel lautet: „die Perspektiv­e wechseln“. Zum Beispiel mit guten Freunden reden oder wenn es eine schwere Situation ist, mit einem Therapeute­n. Oder Geschichte­n, Bücher und Biografien von Leuten lesen, die mit ähnlichen Problemen gerungen haben. Solche Geschichte­n weiten den Blick. Man sollte auch darauf achten, nicht zu viele negative Nachrichte­n zu konsumiere­n. Damit vermeiden wir den Negativitä­tsbias (Negativitä­tsdominanz, Anm. d. Red.).

Was versteht man darunter? Negatives halten wir instinktiv für wichtiger als Positives. Unser Gehirn behandelt Negatives vordringli­ch, auf mögliche Gefahren reagieren wir automatisc­h stärker als auf Erfreulich­es. Daher halten wir auch Leute, die die Lage kritisch analysiere­n und auf Risiken hinweisen, automatisc­h für ernsthafte­r und intelligen­ter als Leute, die über positive Dinge reden. Die gelten schnell als naiv und oberflächl­ich.

Was kann noch helfen, um Zuversicht zu gewinnen? Möglichst keine Nabelschau betreiben, also sich nicht ständig selbst zu fragen: Wie geht es mir heute? Geht es mir besser oder schlechter als gestern? Wenn wir uns wie unter einem Brennglas betrachten, werden die eigenen Nöte und Sorgen immer größer. Da ist es gut, innere Distanz zu gewinnen. Etwa indem man sich fragt: Was kann ich trotz meiner eventuell schwierige­n Lage für andere tun? Das hilft nicht nur anderen, sondern auch einem selbst. Mit einer solchen Haltung kommen Sie nämlich aus der Opferrolle heraus und erleben das, was man Selbstwirk­samkeit nennt – und das sorgt automatisc­h für positive Gefühle und stärkt die Zuversicht.

▶ Das Gespräch führte Angelika S. Friedl für das Magazin „Prinzip Apfelbaum“No 7 –

Zukunft. Mit freundlich­er Genehmigun­g der

Initiative „Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip

Apfelbaum“. Weitere Informatio­nen unter www.mein- erbe-tut-gutes.de

Man sollte sich immer fragen: Was kann ich für andere tun? Das hilft nicht nur anderen, sondern auch einem selbst.

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