Sinti und Roma wehren sich gegen Vorurteile
Programm des Europarates unterstützt Ausbildung von Mediatoren und den Aufbau lokaler Gruppen, die Probleme thematisieren sollen
Am Freitag präsentierte der Europarat in Berlin sein Programm ROMED 2. Es soll Sinti und Roma befähigen, selbst Probleme anzusprechen.
In letzter Zeit machen »Armutsflüchtlinge« immer wieder Schlagzeilen. Hinter diesem Begriff verbergen sich die oft vollkommen verelendeten Roma aus Bulgarien und Rumänien. Weitgehend unbeachtet von der deutschen Öffentlichkeit blieb hingegen ein Programm des Europarates namens ROMED, in dessen Rahmen auch hierzulande Sinti und Roma zu Mediatoren ausgebildet wurden. Das Programm sei »das billigste des Europarates«, lobte am Freitag Christoph Leucht, der ROMED in Deutsch- land betreut. Laut Leucht stehen für ROMED und seinen Nachfolger ROMED2 jeweils eine Million Euro zur Verfügung. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass das Programm in 22 Ländern läuft und dabei insgesamt 1300 Menschen die Mediatorenausbildung durchlaufen.
In Deutschland sollen diese Mediatoren nun in sechs Kommunen helfen, Vorurteile abzubauen und die hier leben Sinti und Roma im täglichen Leben zu unterstützen. In der ersten Phase des Projekts sind unter anderem Berlin-Mitte, Mannheim und Bremen mit im Boot. Hier sollen auch städtische Angestellte einen »Sensibilisierungsworkshop« absolvieren. Auf der anderen Seite sollen aktive Mitglieder aus jenen Sinti- und Roma-Familien, in denen die Mediatoren arbeiten, sogenannte Community Action Groups bilden. Diese Gruppen sollen »lokale Vorschläge zur Verbesserung des Zugangs zu Bildung, Wohnen, Gesundheit und Beschäftigung entwickeln«.
Wichtig sei, das Selbstbewusstsein der eigentlich sehr heterogenen Gruppen zu stärken, betonte Romeo Franz, der Geschäftsführer der HildegardLagrenne-Stiftung, die sich um Bildung und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland bemüht. Dazu zähle auch der »Abbau gegenseitiger Vorurteile durch Runde Tische«. Franz, der sich als »preußischer Sinto« vorstellte, machte in seiner Ansprache deutlich, dass Sinti und Roma keinesfalls identisch seien. Während die »Sinti seit 600 Jahren im deutschsprachigen Raum leben«, kämen Roma aus Bulgarien und Rumänien. Oft aber würde man beide Gruppen in den selben Topf werfen, so Franz. Der Sinto hofft, dass sich ROMED als Instrument erweisen wird, »die Mehrheitsgesellschaft, die vom Antiziganismus infiziert ist, zu heilen«. Unter Antiziganismus versteht man laut Duden die »Abneigung oder Feindschaft gegenüber Sinti und Roma«. Dass diese in Europa weit verbreitet ist, bestätigte der Roma-Beauftragte des Europarats, Ulrich Bunjes. »Der Antiziganismus hat in Europa in den vergangenen Jahren stark zugenommen«, so Bunjes. Das Aufkommen neuer sozialer Medien habe das Problem sogar noch verschärft.
Angesichts dieser Umstände wirkt die eine Million Euro, die man ROMED 2 zur Verfügung stellt, wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Bunjes formulierte es anders: »Alltägliche Probleme müssen vor al- lem auf lokaler Ebene gelöst werden«. Es gebe genug Fördermittel in Europa für die Eingliederung von Sinti und Roma, unterstrich Bunjes. »Das Problem ist aber die Bereitschaft von Städten und Gemeinden, sich zu engagieren.«
Bereits am Freitagvormittag hatten Vertreter der Sinti und Roma sowie Politiker jener 500 000 Menschen gedacht, die von den Nationalsozialisten als »Zigeuner« umgebracht wurden. Anlass war der zweite Jahrestag der Eröffnung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas, das am 24. Oktober 2012 im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Reichstagsnähe eingeweiht worden war. Am gestrigen Freitag fehlte Merkel allerdings.