»Zu unserem Dasein gehört der Kampf«
Die Fangewalt in Italien ufert aus, und die politischen Maßnahmen dagegen verschärfen sie nur weiter
Im italienischen Fußball sind Ultras von Rechtsextremen unterwandert und extrem gewaltbereit. Es gibt sogar Tote. Die Politik reagiert mit Verboten, die so gar nicht hilfreich sind.
In Tor di Quinto, im Norden Roms, war am Dienstagabend alles ruhig, als der FC Bayern München dem AS Rom seine Grenzen aufzeigte. Die Ruhe war ungewohnt, denn hier, nur eine Viertelstunde vom Olympiastadion entfernt, befand sich bis vor wenigen Wochen noch eine Bastion sehr auffälliger Roma-Fans. Auf dem weitläufigen Gelände in der Viale Tor di Quinto zwischen zwei vom Nationalen Olympischen Komitee Italiens betriebenen Sportstätten wohnte und arbeitete Daniele De Santis, jener Ultra, der im Mai am Rande des Pokalfinales zwischen dem SSC Neapel und dem AC Florenz eine Pistole zückte und drei Napoli-Fans niederschoss. Ciro Esposito erlag seinen Schussverletzungen. De Santis selbst wird im Krankenhaus von Viterbo etwa 100 Kilometer nördlich von Rom behandelt; er steht dort unter Polizeiaufsicht.
In seinem einstigen Reich gehen jetzt seltsame Dinge vor sich. Massige Dobermänner brechen in dumpfes Bellen aus und springen an dem Zaun hoch, wenn man sich dem Areal nähert, wo De Santis Stammbar »Trifoglio« war und wo er selbst auch seinen Unterschlupf hatte. Mehrere Fußballfelder liegen in unmittelbarer Nachbarschaft. Auf einem organisierte der Roma-Ultra Spiele. Auf einem anderen spielt und trainiert der sechstklassige US Boreale. »Wir wussten gar nicht, in wessen Nachbarschaft wir uns befinden. Als all diese Gewaltereignisse ausbrachen haben wir einfach nur Fußball gespielt«, sagt einer der Männer, die zum Training eilen.
Gewissen Eindruck macht, dass während des kurzen Gesprächs Schussgeräusche von einem der Nachbargrundstücke kommen. Hatte
»Es gibt keine Fanarbeit. Die Klubs haben vor Sanktionen Angst, die sie selbst treffen können und greifen daher nicht energisch durch.«
Soziologe Mauro Valeri sich De Santis hier seine Waffe besorgt? Befindet sich hier gar eine Trainingsstätte von Roms Rechtsextremisten? Die Spekulationen werden noch von einer Kampfbahn angeheizt, die sich ebenfalls auf dem Gelände befindet. Versehen mit halb zerstörten Häuserkampfelementen erinnert der Parcours an eine verwahrloste Sturmbahn der NVA.
In der gewalttätigen rechtsextremen Szene hatte De Santis zuvor Karriere gemacht. Zweimal stand er auf Listen neofaschistischer Wahlbündnisse als Kandidat, zuletzt 2008 auf einer Kommunalwahlliste des späteren römischen Bürgermeisters Gianni Alemanno. Der hat vor seiner Zeit als gesetzter Forstminister in einer der Berlusconi-Regierungen eine Laufbahn als Aktivist der extremen Rechten hinter sich. Er wurde zu acht Monaten Gefängnis wegen eines Brandanschlags auf die sowjetische Botschaft 1982 verurteilt. De Santis, ein knappes Jahrzehnt jünger, soll Medien zufolge Alemanno mitunter als Bodyguard gedient haben.
Die physischen Voraussetzungen dafür trainierte er sich beim Fußball an. 1994 gehörte er zu jenen festgenommenen Ultras, die während Auseinandersetzungen mit der Polizei am Rande des Ligaspiels Brescia gegen AS Rom einen Vizepräfekten mit einem Messer traktiert haben sollen. Mit ihm angeklagt waren Protagonisten der extremen Rechten. Einige davon heuerten später in der von Alemanno geleiteten Kommunalverwaltung Roms an. De Santis selbst blieb offenbar Aktivist an der Basis, präsent in Straßenschlachten und im Stadion. 2004 gehörte er zu Anführern der RomaFans, die während des Derbys gegen Lazio erst die Stimmung mit dem Gerücht eines zu Tode gekommenen Kindes erhitzten und später »Verhandlungsführer« gegenüber RomaKapitän Francesco Totti waren, mit dem Ziel, das Spiel doch noch fortzusetzen.
Diese doppelte Verankerung im Ultramilieu und im faschistischen Lager ist seit den 80er Jahren eine Besonderheit in Italiens Fußball. »Damals versuchten faschistische Organisationen wie Forza Nuova und MSI Gefolgschaften im Stadion zu rekrutieren«, erinnert sich der Soziologe Mauro Valeri, der seit Anfang der 90er Jahre ein Beobachtungsportal zu Rassenhass in Italiens Fußball betreibt. Den damals einsetzenden Rassismus in den Stadien hielt Valeri in einem Gespräch mit »nd« für eine Konsequenz der rechten Militanz auf den Rängen.
Im Gegensatz zu anderen Ländern konnte sich dieses Gedankengut auch deshalb unter Fans ausbreiten, weil die hiesigen Klubs zu inaktiv waren. »In Italien gibt es keine Fanarbeit der Klubs. Die haben Angst vor Sanktionen, die sie selbst treffen können und greifen daher nicht energisch durch«, analysiert Valeri. Die Vereine betonen bei Gewaltexzessen gern, dass es sich nur um vereinzelte Elemente handele, die die Masse der friedlichen Fans in Misskredit brächten.
Das stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. Einerseits sind viele Ultras stolz auf ihre politische Unabhängigkeit. Giancarlo Capelli, mehr als ein halbes Jahrhundert lang Milan-Fan und langjähriger Sprecher der dortigen Ultras, stellte gegenüber »nd« seinen Stolz darüber heraus, dass bei den Rossoneri trotz des Eigentümers Silvio Berlusconi Politik keinen Platz habe. »Wir sind Ultras. Wir suchen die Auseinandersetzung untereinander, das ja. Aber Politik hat im Stadion nichts zu suchen«, meint er. »Il Barone«, wie sein Kampfname lautet, gibt aber zu, dass dies bei anderen Vereinen anders ist. Und straffer organisierte politische Gruppen können schnell eine Hegemonie erlangen, wenn sie nur energisch genug Präsenz zeigen.
Vor allem die Anhängerschaften der beiden römischen Klubs fallen immer wieder als rechtsextrem auf, weil dort starke rechte Minderheiten den Diskurs bestimmen. Roma-Fans beschimpften Lazio-Anhänger als »Juden«, was angesichts mancher SSSymbolik in der Lazio-Fankurve äußerst paradox wirkt; gekontert wurde mit Spruchbändern, auf denen Auschwitz als Heimat der Roma-Fans verortet wurde.
Zu Ereignissen in anderen Fanlagern will Milan-Fanboss »Barone« nicht Stellung nehmen. Der mittlerweile mehr als 60 Jahre zählende Vater und Großvater hat aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine Verschärfung der Gewalt ausgemacht, die er selbst bedauert. »Zum Ultradasein gehört zwar der Kampf. Aber man muss auch wissen, wann man aufhört. Niemals darf es zu Toten kommen. Das wünscht sich doch keiner«, meint er. Sichtlich mitgenommen hat ihn die Erfahrung der Beerdigung des Neapelfans Ciro Esposito, bei der er eine Milan-Abordnung anführte.
»Jüngere Fans wollen sich sich nicht mehr an die Regeln der Alten halten und suchen die Eskalation
Giancarlo »Il Barone« Capelli, Sprecher der Milan-Ultras
»Il Barone« sieht zwei Ursachen der steigenden Gewaltspirale: Einerseits jüngere Fans, die sich nicht mehr an die Regeln der Alten halten wollen und die Eskalation suchen. Andererseits den Staat, der immer neue Sanktionen entwickelt und so auch den Zorn moderaterer Fans auslöst. Der obligatorische Fanausweis etwa hat dazu geführt, dass viele Fans auf Jahresabonnements verzichten und an Auswärtsfahrten nicht mehr teilnehmen. Im Oktober brachte Italiens Premier Matteo Renzi ein Gesetzespaket durchs Parlament, das ein Stadionverbot auch bei Delikten außerhalb des Stadions wie Raub, Drogenhandel oder Körperverletzung möglich macht. Auch gegen ganze Gruppen können Stadionverbote verhängt werden. Die am schärfsten kritisierte Maßnahme hat die Regierung nach einem gemeinsamen Besuch verschiedener Fanvertreter allerdings zurückgezogen: Das provisorische Stadionverbot, das allein bei Verdacht auf Organisation von gewalttätigen Fanaktivitäten ausgesprochen werden sollte.
Im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte ist in der öffentlichen Wahrnehmung organisiertes Anhängertum in den Bereich der organisierten Kriminalität gerückt. Und der Staat reagiert darauf mit Gesetzen, die sich an denen zur Bekämpfung jener Kriminalität orientieren. Dass die Gewaltspirale dadurch nur weiter voranschreitet und einzelne extreme Gruppen sogar glauben, den auch bewaffneten Kampf dagegen aufnehmen zu müssen, ist voraussehbar.
Daniele De Santis ist aus dieser Dynamik vorerst ausgeschlossen. Nach seiner Genesung erwartet ihn ein Prozess wegen Totschlags. Die Polizei hat seine Bar »Trifoglio« geschlossen. Und ganz so paramilitärisch wie auf den ersten Blick ist das Gelände dann doch nicht. Die Sturmbahn wird vor allem von Paintball-Liebhabern genutzt, wie die zahlreichen Farbspuren belegen. Die Geräusche von den Schüssen stammen von der italienischen Nationalmannschaft der Sportschützen, die nebenan trainiert.
Manches ist nicht so, wie es scheint. Das Problem der Gewalt im italienischen Fußball wird auch durch eine verzerrte Wahrnehmung verschärft. Die einen negieren das Problem komplett, andere bagatellisieren es, wieder andere sehen in jedem Stadionbesucher einen potenziellen Gewalttäter. Ein Teufelskreis, nicht nur in Tor di Quinto.