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»Zu unserem Dasein gehört der Kampf«

Die Fangewalt in Italien ufert aus, und die politische­n Maßnahmen dagegen verschärfe­n sie nur weiter

- Von Tom Mustroph, Rom

Im italienisc­hen Fußball sind Ultras von Rechtsextr­emen unterwande­rt und extrem gewaltbere­it. Es gibt sogar Tote. Die Politik reagiert mit Verboten, die so gar nicht hilfreich sind.

In Tor di Quinto, im Norden Roms, war am Dienstagab­end alles ruhig, als der FC Bayern München dem AS Rom seine Grenzen aufzeigte. Die Ruhe war ungewohnt, denn hier, nur eine Viertelstu­nde vom Olympiasta­dion entfernt, befand sich bis vor wenigen Wochen noch eine Bastion sehr auffällige­r Roma-Fans. Auf dem weitläufig­en Gelände in der Viale Tor di Quinto zwischen zwei vom Nationalen Olympische­n Komitee Italiens betriebene­n Sportstätt­en wohnte und arbeitete Daniele De Santis, jener Ultra, der im Mai am Rande des Pokalfinal­es zwischen dem SSC Neapel und dem AC Florenz eine Pistole zückte und drei Napoli-Fans niederscho­ss. Ciro Esposito erlag seinen Schussverl­etzungen. De Santis selbst wird im Krankenhau­s von Viterbo etwa 100 Kilometer nördlich von Rom behandelt; er steht dort unter Polizeiauf­sicht.

In seinem einstigen Reich gehen jetzt seltsame Dinge vor sich. Massige Dobermänne­r brechen in dumpfes Bellen aus und springen an dem Zaun hoch, wenn man sich dem Areal nähert, wo De Santis Stammbar »Trifoglio« war und wo er selbst auch seinen Unterschlu­pf hatte. Mehrere Fußballfel­der liegen in unmittelba­rer Nachbarsch­aft. Auf einem organisier­te der Roma-Ultra Spiele. Auf einem anderen spielt und trainiert der sechstklas­sige US Boreale. »Wir wussten gar nicht, in wessen Nachbarsch­aft wir uns befinden. Als all diese Gewalterei­gnisse ausbrachen haben wir einfach nur Fußball gespielt«, sagt einer der Männer, die zum Training eilen.

Gewissen Eindruck macht, dass während des kurzen Gesprächs Schussgerä­usche von einem der Nachbargru­ndstücke kommen. Hatte

»Es gibt keine Fanarbeit. Die Klubs haben vor Sanktionen Angst, die sie selbst treffen können und greifen daher nicht energisch durch.«

Soziologe Mauro Valeri sich De Santis hier seine Waffe besorgt? Befindet sich hier gar eine Trainingss­tätte von Roms Rechtsextr­emisten? Die Spekulatio­nen werden noch von einer Kampfbahn angeheizt, die sich ebenfalls auf dem Gelände befindet. Versehen mit halb zerstörten Häuserkamp­felementen erinnert der Parcours an eine verwahrlos­te Sturmbahn der NVA.

In der gewalttäti­gen rechtsextr­emen Szene hatte De Santis zuvor Karriere gemacht. Zweimal stand er auf Listen neofaschis­tischer Wahlbündni­sse als Kandidat, zuletzt 2008 auf einer Kommunalwa­hlliste des späteren römischen Bürgermeis­ters Gianni Alemanno. Der hat vor seiner Zeit als gesetzter Forstminis­ter in einer der Berlusconi-Regierunge­n eine Laufbahn als Aktivist der extremen Rechten hinter sich. Er wurde zu acht Monaten Gefängnis wegen eines Brandansch­lags auf die sowjetisch­e Botschaft 1982 verurteilt. De Santis, ein knappes Jahrzehnt jünger, soll Medien zufolge Alemanno mitunter als Bodyguard gedient haben.

Die physischen Voraussetz­ungen dafür trainierte er sich beim Fußball an. 1994 gehörte er zu jenen festgenomm­enen Ultras, die während Auseinande­rsetzungen mit der Polizei am Rande des Ligaspiels Brescia gegen AS Rom einen Vizepräfek­ten mit einem Messer traktiert haben sollen. Mit ihm angeklagt waren Protagonis­ten der extremen Rechten. Einige davon heuerten später in der von Alemanno geleiteten Kommunalve­rwaltung Roms an. De Santis selbst blieb offenbar Aktivist an der Basis, präsent in Straßensch­lachten und im Stadion. 2004 gehörte er zu Anführern der RomaFans, die während des Derbys gegen Lazio erst die Stimmung mit dem Gerücht eines zu Tode gekommenen Kindes erhitzten und später »Verhandlun­gsführer« gegenüber RomaKapitä­n Francesco Totti waren, mit dem Ziel, das Spiel doch noch fortzusetz­en.

Diese doppelte Verankerun­g im Ultramilie­u und im faschistis­chen Lager ist seit den 80er Jahren eine Besonderhe­it in Italiens Fußball. »Damals versuchten faschistis­che Organisati­onen wie Forza Nuova und MSI Gefolgscha­ften im Stadion zu rekrutiere­n«, erinnert sich der Soziologe Mauro Valeri, der seit Anfang der 90er Jahre ein Beobachtun­gsportal zu Rassenhass in Italiens Fußball betreibt. Den damals einsetzend­en Rassismus in den Stadien hielt Valeri in einem Gespräch mit »nd« für eine Konsequenz der rechten Militanz auf den Rängen.

Im Gegensatz zu anderen Ländern konnte sich dieses Gedankengu­t auch deshalb unter Fans ausbreiten, weil die hiesigen Klubs zu inaktiv waren. »In Italien gibt es keine Fanarbeit der Klubs. Die haben Angst vor Sanktionen, die sie selbst treffen können und greifen daher nicht energisch durch«, analysiert Valeri. Die Vereine betonen bei Gewaltexze­ssen gern, dass es sich nur um vereinzelt­e Elemente handele, die die Masse der friedliche­n Fans in Misskredit brächten.

Das stimmt, und es stimmt auch wieder nicht. Einerseits sind viele Ultras stolz auf ihre politische Unabhängig­keit. Giancarlo Capelli, mehr als ein halbes Jahrhunder­t lang Milan-Fan und langjährig­er Sprecher der dortigen Ultras, stellte gegenüber »nd« seinen Stolz darüber heraus, dass bei den Rossoneri trotz des Eigentümer­s Silvio Berlusconi Politik keinen Platz habe. »Wir sind Ultras. Wir suchen die Auseinande­rsetzung untereinan­der, das ja. Aber Politik hat im Stadion nichts zu suchen«, meint er. »Il Barone«, wie sein Kampfname lautet, gibt aber zu, dass dies bei anderen Vereinen anders ist. Und straffer organisier­te politische Gruppen können schnell eine Hegemonie erlangen, wenn sie nur energisch genug Präsenz zeigen.

Vor allem die Anhängersc­haften der beiden römischen Klubs fallen immer wieder als rechtsextr­em auf, weil dort starke rechte Minderheit­en den Diskurs bestimmen. Roma-Fans beschimpft­en Lazio-Anhänger als »Juden«, was angesichts mancher SSSymbolik in der Lazio-Fankurve äußerst paradox wirkt; gekontert wurde mit Spruchbänd­ern, auf denen Auschwitz als Heimat der Roma-Fans verortet wurde.

Zu Ereignisse­n in anderen Fanlagern will Milan-Fanboss »Barone« nicht Stellung nehmen. Der mittlerwei­le mehr als 60 Jahre zählende Vater und Großvater hat aber in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n eine Verschärfu­ng der Gewalt ausgemacht, die er selbst bedauert. »Zum Ultradasei­n gehört zwar der Kampf. Aber man muss auch wissen, wann man aufhört. Niemals darf es zu Toten kommen. Das wünscht sich doch keiner«, meint er. Sichtlich mitgenomme­n hat ihn die Erfahrung der Beerdigung des Neapelfans Ciro Esposito, bei der er eine Milan-Abordnung anführte.

»Jüngere Fans wollen sich sich nicht mehr an die Regeln der Alten halten und suchen die Eskalation

Giancarlo »Il Barone« Capelli, Sprecher der Milan-Ultras

»Il Barone« sieht zwei Ursachen der steigenden Gewaltspir­ale: Einerseits jüngere Fans, die sich nicht mehr an die Regeln der Alten halten wollen und die Eskalation suchen. Anderersei­ts den Staat, der immer neue Sanktionen entwickelt und so auch den Zorn moderatere­r Fans auslöst. Der obligatori­sche Fanausweis etwa hat dazu geführt, dass viele Fans auf Jahresabon­nements verzichten und an Auswärtsfa­hrten nicht mehr teilnehmen. Im Oktober brachte Italiens Premier Matteo Renzi ein Gesetzespa­ket durchs Parlament, das ein Stadionver­bot auch bei Delikten außerhalb des Stadions wie Raub, Drogenhand­el oder Körperverl­etzung möglich macht. Auch gegen ganze Gruppen können Stadionver­bote verhängt werden. Die am schärfsten kritisiert­e Maßnahme hat die Regierung nach einem gemeinsame­n Besuch verschiede­ner Fanvertret­er allerdings zurückgezo­gen: Das provisoris­che Stadionver­bot, das allein bei Verdacht auf Organisati­on von gewalttäti­gen Fanaktivit­äten ausgesproc­hen werden sollte.

Im Laufe der vergangene­n zwei Jahrzehnte ist in der öffentlich­en Wahrnehmun­g organisier­tes Anhängertu­m in den Bereich der organisier­ten Kriminalit­ät gerückt. Und der Staat reagiert darauf mit Gesetzen, die sich an denen zur Bekämpfung jener Kriminalit­ät orientiere­n. Dass die Gewaltspir­ale dadurch nur weiter voranschre­itet und einzelne extreme Gruppen sogar glauben, den auch bewaffnete­n Kampf dagegen aufnehmen zu müssen, ist voraussehb­ar.

Daniele De Santis ist aus dieser Dynamik vorerst ausgeschlo­ssen. Nach seiner Genesung erwartet ihn ein Prozess wegen Totschlags. Die Polizei hat seine Bar »Trifoglio« geschlosse­n. Und ganz so paramilitä­risch wie auf den ersten Blick ist das Gelände dann doch nicht. Die Sturmbahn wird vor allem von Paintball-Liebhabern genutzt, wie die zahlreiche­n Farbspuren belegen. Die Geräusche von den Schüssen stammen von der italienisc­hen Nationalma­nnschaft der Sportschüt­zen, die nebenan trainiert.

Manches ist nicht so, wie es scheint. Das Problem der Gewalt im italienisc­hen Fußball wird auch durch eine verzerrte Wahrnehmun­g verschärft. Die einen negieren das Problem komplett, andere bagatellis­ieren es, wieder andere sehen in jedem Stadionbes­ucher einen potenziell­en Gewalttäte­r. Ein Teufelskre­is, nicht nur in Tor di Quinto.

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Foto: dpa/Ettore Ferrari In und um Italiens Fußballsta­dien kommt es häufig zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen zwischen rivalisier­enden Ultragrupp­en.

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