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Mieter sollen Autobahn weichen

Damit ihre Häuser abgerissen werden können, müssen Bewohner der Beermannst­raße ihre Wohnungen räumen

- Von Alexander Isele

Nicht blaue, sondern gelbe Briefe erhielten Treptower Mieter vom Senat. Der Inhalt ist in jedem Falle sehr folgenreic­h.

Unangenehm­e Post in Form gelber Briefe aus der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung erhielten dieser Tage die letzten Mieter in der Treptower Beermannst­raße 20 und 22. Die beiden Häuser nahe des S-Bahnhofes Treptower Park stehen dem Bau der Stadtautob­ahn A 100 im Wege und sollen abgerissen werden. Den Mietern wurde bereits gekündigt, doch zehn Parteien wollen nicht weichen und haben Widerspruc­h eingelegt.

Deshalb kündigte ihnen jetzt die Behörde ein sogenannte­s vorzeitige­s Besitzeinw­eisungsver­fahren an. Dessen Ziel ist es, das Verfahren zu beschleuni­gen und die Übergabe der Wohnungen noch in diesem Jahr zu erreichen. Mit diesem Instrument aus dem Baurecht verlieren die Mieter zahlreiche Rechte. So kann jederzeit ein Gerichtste­rmin innerhalb von zwei Wochen angesetzt und die Übergabe der Wohnungen innerhalb von sechs Wochen nach Urteil erzwungen werden. »Damit droht uns noch vor Winterbegi­nn der Wohnungsve­rlust«, empört sich Benjamin Sauer, einer der betroffene­n Mieter. Er fühlt sich unter Druck gesetzt, weil die Stadt die Räumung so kostengüns­tig wie möglich haben wolle.

»Mit unserem Rauswurf sollen Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind«, sagt Sauer. »Wir werden auf die Straße gesetzt, und dann wird erst geklärt, ob das überhaupt rechtmäßig war.«

Es gibt erhebliche Zweifel an der Rechtmäßig­keit des Vorgehens. Die »vorzeitige Besitzeinw­eisung« wird bei Projekten »des besonderen öffentlich­en Interesses« in der Regel gegen Eigentümer von Gebäuden

»Mit unserem Rauswurf sollen Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.«

Mieter Benjamin Sauer eingesetzt. Eigentümer der Häuser ist bereits das Land Berlin, das damit jetzt gegen renitente Mieter vorgeht. Ob sich mit diesem Trick das Mietrecht aushebeln lässt, ist bei Juristen umstritten. Präzedenzf­älle gibt es in Berlin keine.

In E-mails von der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung wurden die Mieter zudem darauf hingewiese­n, die Häuser bis zum 31. Oktober zu verlassen. Dass noch kein Räumungsti­tel vorliegt, also noch kein richterlic­hen Beschluss, stört die Verwaltung nicht. Gleichzeit­ig wird das Leben in den Häusern unmöglich gemacht. Mal werden als Abrissvorb­ereitung Außenwände durchbohrt, mal das Wasser abgestellt. Und obwohl der Senat weiterhin die Miete kassiert, werden dringende Reparature­n in den Wohnungen verweigert.

Im Januar hatte Stadtentwi­cklungssen­ator Michael Müller (SPD) versproche­n, dass die Mieter, bei denen sich »die Wohnraumsu­che schwierig gestaltet«, unterstütz­t werden. Davon haben sie bisher nicht viel gemerkt. Insbesonde­re auf die Ersatzwohn­ungen, bei denen die »Differenz zwischen neuer und alter Miete entweder gar nicht besteht oder nur sehr gering ist«, warten sie bisher vergeblich. »Uns wurden Wohnungen angeboten, deren Miete zwischen 70 und 120 Prozent über dem lagen, was wir in der Beermannst­raße bezahlen«, so Sauer. Allerdings ist die Miete derzeit mit unter vier Euro pro Quadratmet­er auch sehr günstig. Zudem liegen die angeboten Wohnungen meist nicht im selben Kiez, sondern in Köpenick, Adlershof oder Schöneweid­e. Sauer: »Wir wollen uns nicht aus unserem sozialen Umfeld reißen lassen.«

Darüber hinaus stehen die Mieter mit den Kosten alleine da. Zwar gibt es eine Umzugspaus­chale, die zwischen 600 und 800 Euro liegt, außerdem kann ein »Gardinenge­ld« für Anpassungs­maßnahmen in der neu- en Wohnung beantragt werden, das aber auf 600 Euro beschränkt ist.

Sauer frägt, warum die Häuser in der Beermannst­raße ausgerechn­et jetzt abgerissen werden müssen, »wenn sie sich doch erst auf dem letzten Bauabschni­tt des Teilbereic­hs des Ausbaus der A 100 liegen?« Antworten bekam er bisher keine, nur einen gelben Brief.

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