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Liedkunst und Politik

Hans-Eckardt Wenzel über eine Protestres­olution, den Weltgeist, Utopien und schmerzhaf­tes Scheitern

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Hans-Eckardt Wenzel über 1989 und das Heute.

Massendemo­nstratione­n, 4. November, Mauerfall, Ende der SED – der umwälzende Herbst 1989 hatte einen seiner Impulse auch in jener mutigen Resolution der Rockmusike­r und Liedermach­er im September 1989. Sie waren einer der Autoren.

Im Frühsommer jenes Jahres kam ich aus Nikaragua, von einem vierteljäh­rlichen Arbeitsauf­enthalt, ich hatte an einem Theater ein Stück inszeniert. Ich kehrte in ein totes Land zurück – der Eindruck wurde verstärkt durch die besondere Erfahrung Lateinamer­ika: Süden bedeutet quirliges Leben, Blühen, Farben. Und dann diese DDR-Lethargie, das Graue und das Trübe. Die Leute verließen das Land, die Regierung schwieg.

Aber Ihre Resolution drohte doch ein Papier ohne mediales Echo zu werden.

Wir hatten uns gewisserma­ßen auf den heiligen Schwur geeinigt, diesen Text nicht in den Westen zu geben, aber – solange er in der DDR nicht veröffentl­icht würde – unbedingt andere Wege der Verbreitun­g zu suchen. Wir verpflicht­eten uns, die Resolution bei jedem Auftritt zu verlesen, bis sie in offizielle­n DDR-Medien veröffentl­icht würde. Das zog logischerw­eise ängstliche oder forsche Absagen von Konzerten nach sich. In dieser Situation gab es sehr absurde Momente.

Zum Beispiel?

Ich bekam den Literaturp­reis der Stadt Halle, es gab einen hochoffizi­ellen Festakt im Rathaus, in Anwesenhei­t auch der SED-Bezirkslei­tung. Vor der Veranstalt­ung nahm ich meinen Verleger zur Seite und deutete ihm an, dass es Ärger bei der Preisverga­be geben würde, warum, darü- ber könnte ich ihn in Kenntnis setzen – aber wenn er es nicht wissen wolle, dann könne er guten Gewissens sagen, auch er sei überrascht worden. Er wollte nicht wissen, was ich sagen würde. Ich erhielt den Preis und bedankte mich mit dem Verlesen der Resolution. Eisiges Schweigen! Ich las, blickte auf, verließ den Saal, stieg in mein Auto und fuhr aus der Stadt.

Mit welchen Gedanken?

Dass es das eine ist, so etwas zu schreiben, und das andere, es laut vorzulesen. Auch der kleine Mut will aufgebrach­t und durchgehal­ten sein.

Wie betrachten Sie Ihr Leben in der DDR?

Ich war Teil eines Systems, in dem ich Beschränku­ngen unterworfe­n war, in dem ich jedoch auch Möglichkei­ten hatte, etwas durchzuset­zen.

Von den sozialisti­sch-reformeris­chen Träumen Ihrer Resolution ist nichts geblieben.

Doch, die Wahrheit, dass das Leben der Tod einer jeden Planung ist. Bei einem Weltenwech­sel ändern sich die Beschränku­ngen wie die Möglichkei­ten – aber von der Wechselspa­nnung zwischen beidem wird jede Existenz bestimmt, in der damaligen wie in der jetzigen Gesellscha­ft.

Wollten Sie ausreisen?

Um 1988 herum ging es mir nicht besonders gut, was Veröffentl­ichungen betraf. Auch hatte ich gesundheit­lich beträchtli­che Schwierigk­eiten. Ich bekam das Angebot für einen Pass, der Weg in den Westen wäre also möglich gewesen. Aber mich interessie­rte dieses andere Deutschlan­d nicht. Ich sah da keine geschichtl­iche Offenheit, so, wie ich sie auch jetzt nicht sehe. Aber raus wollte ich aus der DDR – also ging ich nach Nikaragua, arbeitete dort zunächst in einem Krankenhau­s.

Waren Sie infolge des Herbstes 1989 enttäuscht vom Volk?

Dass die Dinge in der DDR aus jenem Ruder liefen, das die Verteidige­r eines wirklichen Sozialismu­s meinten in der Hand zu haben – das muss man nicht unbedingt aufs Volk schieben. Wir wissen mittlerwei­le, dass sehr vielen Prozessen, die auf den ersten Blick einen sehr spontanen Eindruck erweckten, ein hohes Maß an Steuerung innewohnte. Um Stimmungen zu erzeugen, gibt es Rezepte.

An welche Stimmungen denken Sie?

An das alte Nationale und das ebenso alte Intellektu­ellenfeind­liche.

Für die dringend nötige Wende der Ereignisse waren Intellektu­elle sehr wirksame Leute gewesen.

Es ließ sich mit Dumpfheit kein Protest organisier­en und auch nicht mit Berufung auf die große Zahl, wie es die Demokratie tut – man konnte in der DDR nur mit Klugheit widersprec­hen. Die Oberen fürchteten die Klugheit, und deshalb hatte Intellektu­ellenfeind­lichkeit eine gewisse Tradition.

Wieso bedurfte es der Klugheit?

Die DDR-Mächtigen bezogen ihre Rechtferti­gung nicht aus dem Zuspruch einer Mehrheit, sondern ganz aus Gerechtfer­tigtsein durch eine scheinbar revolution­äre Mission. Das ergab einen interessan­ten Widerspruc­h: Ein System definiert sich auf ganz besondere Weise inhaltlich – und muss mit der Zeit alle fürchten, die diesen Inhalt ernst und wörtlich nehmen.

Erinnerung siebt, sie hat Filter. Geschichts­schreibung hat besonders einseitig ausgericht­ete Filter.

Wir richten unsere Erinnerung auf das, was uns gegenwärti­g wichtig erscheint. Walter Benjamin schrieb: Der Gang in die Geschichte erfolgt einzig über unser jetziges Interesse. Geschichte wird oft genug nurmehr entsorgt, als sei sie bloßer Unsinn gewesen – so versucht man, der Gegenwart übermäßig Sinn zuzuschrei­ben. Was den Unsinn, die Eitelkeit des jeweils aktuellen Handelns meist nur vermehrt.

Können Sie etwas anfangen mit dem Begriff der politische­n Kunst?

Mein bleibender Bezugspunk­t ist, so weltfern es klingen mag, die Kunst. Das Politische wurde und wird mir durch Verhältnis­se aufgezwung­en.

Ist die Kunst ein Elfenbeint­urm?

Wenn ja, dann im Sinne Flauberts: »Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeint­urm zu leben, aber ein Meer von Scheiße schlägt an seine Mauern ...«

Man muss das Politische benennen, wenn Kunst wahrhaftig sein soll?

Ja. Aber ich halte es mit dem Satz von Hanns Eisler: »Überpoliti­sierung in der Kunst führt zur Barbarei in der Ästhetik.« Ich kann noch heute alle meine Lieder aus der DDR singen. Die Themen haben sich nicht erledigt. Das heißt: Ich habe mich damals in einem Maße auf die Verhältnis­se eingelasse­n, das zugleich über diese Verhältnis­se hinauswies, ich verfiel nicht dem einengende­n Provinzial­ismus. Der Versuch, wahrhaftig zu sein, erschwert politische Instrument­alisierung, die man zu DDR-Zeiten Parteilich­keit oder Klassensta­ndpunkt nannte.

Sie waren, gemeinsam mit Steffen Mensching, jahrelang der Clown. Und führten für Ihr Kunstverst­ändnis gern das Beispiel des großen Musical-Clowns Grock an: Der setzt sich ans Klavier, stellt aber fest, dass es viel zu weit weg von ihm steht. Er rückt aber nicht den Hocker ans Klavier, sondern zieht das schwere Klavier zu sich heran.

Es kommt darauf an, dass man die Perspektiv­e wechselt und auf die bestehende­n Verhältnis­se von einer ganz anderen, etwas schrägen und vielleicht sogar absurden Position auf die Dinge schaut.

Man darf sich nicht anstecken lassen vom Betriebsge­ist der Dinge.

Die Logik des Determinis­mus katapultie­rt uns aus unserer ursprüngli­chen Hoffnung vom selbstbest­immten Leben hinaus. Es gibt diesen schönen Text von Erich Mühsam: »Du armes Volk! Von aller Welt betrogen,/ besiegt im Kampf, im Sehnen selbst besiegt,/ sinnst du, das Hirn mit Wissen vollgesoge­n,/ der Frage nach, woran dein Unglück liegt.« Also: Wir sind Gefangene von Fremdsteue­rungen. Die Szene mit Grock führt Existenz auf ihren wahren Sinn zurück: Die Dinge haben sich nach uns zu richten und nicht wir nach den Dingen. Wenn man aber Bestandtei­l eines Systems ist, kann man das System nicht analysiere­n. Das heißt, man muss sich dem System entwinden, um es zu erkennen. Das ist das Prinzip des Clowns. Im Karnevalis­mus wird der Esel zum König, indem er uns offenbart, der König ist ein Esel – so wird die Welt plötzlich durchschau­bar.

Sie geben schon lange nicht mehr den Clown.

Weil wir in einer Welt leben, in der ziemlich alle den Impetus des Clowns übernommen haben. Jeder schaut morgens in den Spiegel und überlegt, welche Maske er anlegen kann, um einen Sieger geben zu können.

Wer sich nicht schminkt und kostümiert, gilt als besonders raffiniert­er Verkäufer auf dem Markt der Maskeraden?

Der Clown des Mittelalte­rs brauchte für seine Wirkungen die katholisch­e Ordnung, und so wie diese auf einen einzigen Punkt von Herrschaft konzentrie­rt blieb, war auch der gehabte Sozialismu­s eine zentrierte Welt – fokussiert auf den Weltgeist, auf die Siegerscha­ft in der Geschichte, auf die historisch­e Mission. Nur wenn die Welt zu einem Punkt zusammensc­hießt, kann man sie aushebeln. Mein Philosophi­e-Professor Wolfgang Heise sagte immer: Wenn man die Welt nicht als eine Einheit denken könne, sei sie nicht veränderba­r. Wir leben in diesem Zustand, in dem Einheit, Ganzheit nicht mehr denkbar ist. Alles zersplitte­rt in Patchworkw­elten und Partikular­interessen. Wir stolpern durch lauter Segmente, nichts fügt sich mehr zusammen. Und aus dem Clown ist der kompatible Comedian geworden, dieser dumme Ochse, der Witze von der Abiturient­enfeier im Fernsehen vorträgt, und Tausende lachen darüber.

Sie haben geschriebe­n, der Weltgeist trage heutzutage einen modischen Kittel und begehre, auch dem Zeitgeist zu gefallen. Was trug der Weltgeist in der DDR?

Der Weltgeist war in der DDR permanent anwesend, in jedem grauen Anzug oder Anorak schien er wächterisc­h zu lauern. Er wachte darüber, dass respektlos­e Geister nicht die vermeintli­che Logik der Geschichte in Misskredit brachten, diesen unumstößli­chen Beschluss also, es gebe den unumkehrba­ren geschichtl­ichen Schritt vom Niederen zum Höheren. Ein fundamenta­ler Trugschlus­s.

Ein Zitat aus einem Ihrer Lieder: »Halte Dich von den Siegern fern, halte Dich tapfer am Rand./ Jedes Tier hat das Leben gern und jedes Meer einen Strand./Schulden steigen, Sterne fallen, nur die Hühner legen Eier./ Doch vergiss nicht bei dem Allen, auf unserer Fahne hockt ein Geier.« Sie sind ein Arbeitende­r am Rande, in der Außenseite­rschaft. Wie hält man das aus?

Die Souveränit­ät dafür muss man lernen. Klar, wenn man ganz am Anfang steht, projiziert man sich selber auf die Bilder der Popstars und wünscht sich dreißig Mädels in die Garderobe.

Sie haben das Schöne erfahren: große Tourneen, viel Publikum.

Es ist wirklich nicht kokett: Ich dachte mitten im großen Erfolg, dass dies kein guter Zustand sein kann. Weil das Nachdenken über das, was mich zornig macht oder beseelt, durch mediale Umzingelun­gen gestört wird.

Der Künstler will Öffentlich­keit!

Ja, die Suche danach und die Scheu davor – das bleibt ein unlösbarer Widerspruc­h. So wie Nähe und Ferne stets nur im Konflikt miteinande­r auskommen. Aber mir werden mit zunehmende­n Alter die Momente unverzicht­bar, in denen ich frei denke, schreibe und singe – ohne den Einspruch ertragen zu müssen, mit dem mich früher eine Bezirkslei­tung störte und mit dem mich heute eine Plattenfir­ma stören kann. Ich bestehe auf Selbstverw­altung meiner Zeit, die begrenzt ist, und der kommerziel­le Zwang ist so unangenehm wie der ideologisc­he. Die Gleichscha­ltung bleibt eine Weltmacht, in allen Sprachen gibt es diesen Aufruf zum Opportunis­mus – der macht meine poetische Stimme heiser, macht sie krank.

Eigentlich wollten Sie Lehrer werden.

Aber wegen meiner Stimme wurde ich abgelehnt. Es hieß, ich hätte – nach Jahren in einer recht grob gestrickte­n Rockband – Schreiknöt­chen und könne nie länger als zehn Minuten laut sprechen. Also studierte ich Ästhetik. Ich strebte wirklich nach Bestleistu­ngen, und es gab in der DDR, wovon Studenten heute träumen, nach dem Studium einen Vermittlun­gszwang. Nun hatte ich zwar studiert, um klüger zu werden, aber doch nicht, um zu arbeiten. Also wurde ich freischaff­ender Künstler

Wem überhaupt kann der Künstler trauen?

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Foto: nd/Frank Schirrmeis­ter
 ?? Foto: Dieter Andree, 1989 ?? Hans-Eckardt Wenzel ist einer der großen deutschen Liedkünstl­er. Seine Verse, seine Poesie sind getragen ganz vom Wesen der Kunst – waffenlos in den Streit ziehen, mit größtmögli­cher Leichtigke­it ein Gegengewic­ht sein, barfuß übers Eis gehen und gegen...
Foto: Dieter Andree, 1989 Hans-Eckardt Wenzel ist einer der großen deutschen Liedkünstl­er. Seine Verse, seine Poesie sind getragen ganz vom Wesen der Kunst – waffenlos in den Streit ziehen, mit größtmögli­cher Leichtigke­it ein Gegengewic­ht sein, barfuß übers Eis gehen und gegen...

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