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GDL muss sich bedroht sehen

Forscher Heiner Dribbusch zum Tarifeinhe­itsgesetz und der aktuellen Häufung von Streiks

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Sowohl bei der Bahn als auch bei Lufthansa gab es in den vergangene­n Wochen ungewöhnli­ch heftige Arbeitsnie­derlegunge­n. Ist das Ausdruck einer neuen Streikkult­ur in Deutschlan­d?

Das glaube ich nicht. Gerade bei Bahn und Lufthansa wird über einen längeren Zeitraum betrachtet eher selten gestreikt. Natürlich haben Streiks im Verkehrsse­ktor auch immer unmittelba­re Auswirkung­en für viele Menschen, was sicherlich die öffentlich­e Wahrnehmun­g prägt. Zumal in diesem Herbst beide Tarifausei­nandersetz­ungen parallel laufen. Doch es ist kein Beispiel für eine neue Streikkult­ur.

Den Sparten- und Berufsgewe­rkschaften wird vielfach vorgeworfe­n, sie wollten sich materielle Vorteile auf Kosten anderer Teile der Belegschaf­ten verschaffe­n.

Dass ein Abschluss bei den Lokführern oder Piloten zu niedrigere­n Abschlüsse­n in anderen Bereichen geführt hätte, kann ich nicht erkennen. Insgesamt sind die Berufsgewe­rkschaften weder erfolgreic­her noch durchsetzu­ngsstärker als die Industrieg­ewerkschaf­ten. Generell bin ich aber überzeugt, dass es besser ist, wenn Gewerkscha­ften gemeinsam und nicht getrennt mit den Unternehme­n verhandeln und dort, wo es überschnei­dende Organisati­onsbereich­e gibt, tarifpolit­isch kooperiere­n. Dies geschieht ja seit vielen Jahren im öffentlich­en Dienst, ist aber derzeit bei der Bahn offenbar nicht möglich.

Führen die derzeitige­n Streiks zu einer Entsolidar­isierung in den betroffene­n Betrieben?

Vielleicht nicht zu einer Entsolidar­isierung, aber sicher zu Konflikten. Dies gilt weniger für die Lufthansa – da gibt es ja nur eine Gewerkscha­ft, die für die Piloten verhandelt, aber für die Bahn. Hier hat die GDL erklärt, dass sie nicht mehr wie bisher nur für die Lokführer verhandeln will, son-

Heiner Dribbusch

Rainer Balcerowia­k: dern auch für andere Berufsgrup­pen des Fahrperson­als. Das ist ihr gutes Recht, aber es war ebenso klar, dass dies die EVG, die diese Berufsgrup­pen bislang alleine vertreten hat, nicht widerspruc­hslos hinnimmt. Ich halte in dieser Situation den Vorschlag der EVG für sehr vernünftig, sich zusammenzu­setzen und gemeinsam tarifpolit­ische Zuständigk­eiten zu klären.

Nun pocht ja insbesonde­re das Management der Bahn auf die Tarifeinhe­it, dabei gelten bereits für viele Berufsgrup­pen unterschie­dliche Vergütungs­regeln, z.B. bei den Servicekrä­ften.

Bahn und Lufthansa untergrabe­n seit Jahren durch Ausgründun­gen in Serviceges­ellschafte­n oder Billigflug­li- nien einheitlic­he Tarifstand­ards. Ein Trend, der auch in anderen Bereichen – Stichwort: Leiharbeit – zu beobachten ist. Es ist auch nicht so, dass die Unternehme­nsleitunge­n nicht mit zwei Gewerkscha­ften in einem Betrieb leben könnten. Mir scheint vielmehr, dass es Bahn und Lufthansa auch darum geht, durch Eskalation Druck auf den Gesetzgebe­r zu machen, damit letztlich das Streikrech­t insgesamt eingeschrä­nkt wird.

Die Bundesregi­erung will in Kürze einen Gesetzentw­urf zur Tarifeinhe­it vorlegen, der die Rechte von Minderheit­sgewerksch­aften auf eigene Tarifvertr­äge und damit auch deren Streikrech­t einschränk­t. Ist dies nach ihrer Einschätzu­ng mit dem Grundgeset­z vereinbar?

Es wäre auf alle Fälle ein gravierend­er Eingriff in Gewerkscha­ftsrechte, und es ist sehr fraglich, ob dies von der Verfassung gedeckt ist. Ein solches Gesetz wäre aber auch im Sinne der gewerkscha­ftlichen Einheit nicht zielführen­d. Im Gegenteil: Es würde die Spaltung noch verschärfe­n, da dann natürlich noch erbitterte­r versucht werden würde, in einzelnen Sparten oder Betrieben Mehrheiten zu erreichen. Das aktuelle Vorgehen der GDL hat auch mit diesen Gesetzespl­änen zu tun, da sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen muss. Doch noch einmal: Man muss das Streikrech­t von Gewerkscha­ften wie der GDL ohne Wenn und Aber verteidige­n. Es nutzt den Beschäftig­ten jedoch letztendli­ch wenig, wenn Konflikte zwischen Gewerkscha­ften auf derart aggressive Weise ausgefocht­en werden. Abgrenzung­skonflikte wird es immer geben, auch zwischen DGB-Gewerkscha­ften.

Die Streiks bei der Bahn können ja nun auch nicht ewig weitergehe­n. Wie könnten nach Ihrer Einschätzu­ng mögliche Kompromiss­linien aussehen?

Die Situation ist sicherlich verfahren. Es wäre gut, wenn sich die Gewerkscha­ften einigten. Denkbar wäre, eventuell zunächst einmal zum Status quo zurückzuke­hren: Die GDL verhandelt weiter federführe­nd für Lokführer, die EVG für die anderen Berufsgrup­pen. Wer wo die Mehrheit der Gewerkscha­ftsmitglie­der stellt, könnten beide eventuell mit Hilfe Dritter klären, wie es die EVG vorschlägt. Denkbar wären eventuell auch inhaltsgle­iche Tarifvertr­äge, die von beiden Gewerkscha­ften separat unterschri­eben werden. Entscheide­nd ist: Es muss von beiden Gewerkscha­ften gewollt sein, und Voraussetz­ung ist, dass beide Seiten ihre wechselsei­tigen Interessen akzeptiere­n. Eine Gemeinsamk­eit besteht ja immerhin darin, dass beide sich klar gegen gesetzlich­e Einschränk­ungen von Tarifauton­omie und Streikrech­t ausspreche­n.

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Foto: dpa/Arno Burgi Aktionsein­heit oder herumstehe­n?
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Foto: Hans-Böckler-Stiftung Die Aufregung über die parallelen Streiks bei Deutscher Bahn und Lufthansa ist derzeit groß in Deutschlan­d. Zu Unrecht, meint Streikfors­cher von der gewerkscha­ftsnahen HansBöckle­r-Stiftung im Gespräch mit »nd«-Autor Längerfris­tig werde dort eher selten...

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