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51 Ärzte für vier Millionen Liberianer

Weltweit wandern Ärzte und medizinisc­hes Fachperson­al aus den Heimatländ­ern aus

- Von Ulrike Henning

Die Migration medizinisc­her Fachkräfte aus dem ärmeren Süden in den Norden verstärkt Probleme nicht nur in den Ebola-Regionen.

Die Zahl der Ebola-Opfer konnte auch deshalb so ansteigen, weil es in den betroffene­n Staaten kein für alle zugänglich­es, ausreichen­d ausgestatt­etes Gesundheit­swesen gibt. Es fehlen nicht nur Krankenhäu­ser, Praxen, Technik und Medikament­e, sondern auch Personal. 2013 kamen in Afrika 2,6 Ärzte auf 10 000 Einwohner. Die jetzt betroffene­n Staaten liegen aber noch weit unter dem Durchschni­tt. In Liberia und Sierra Leone gab es 2008 bzw. 2010 nicht einmal einen Arzt pro 10 000 Einwohner, in Guinea war es 2005 ein Mediziner. Zwei Prozent aller Ärzte weltweit arbeiten in der Subsahara-Region, sie müssen dort ein Viertel der globalen Erkrankung­en versorgen – ohne die aktuelle Epidemie. Hingegen hat die Zahl afrikanisc­her Ärzte in den USA zwischen 2003 und 2013 um 38 Prozent zugenommen, 11 000 sind es inzwischen. Darunter 175 Fachkräfte aus Liberia, wo – ohne internatio­nales Hilfsperso­nal – 51 Ärzte arbeiten. In Teilen Afrikas ist die Ärztedicht­e wegen der Abwanderun­g niedriger als vor 40 Jahren.

Das Thema beschäftig­t aber auch die Gesundheit­spolitiker vergleichs­weise gut versorgter Regionen wie Deutschlan­d mit 37 Ärzten pro 10 000 Einwohner im Jahr 2010, oder die EU mit einem Durchschni­tt von 33 Medizinern. Bereits 2011 beschäftig­ten sich die EU-Gesundheit­sminister mit der Mobilität der Fachkräfte vom Pfleger bis zur Ärztin. Die vorliegend­en Daten sind unvollstän­dig und teils ungenau, aber sie zeigen die Wanderungs­trends auf dem Kontinent: Ärzte zieht es vom Süden in den Norden, vom Osten in den Westen Europas. Die Hälfte der Ortsveränd­erungen geschehen zwischen benachbart­en Ländern, so Matthias Wismar. Der Politologe arbeitet für die European Observator­y on Health Systems and Policies in Brüssel. An der Einrichtun­g unter dem Dach der Weltgesund­heitsorgan­isation beteiligen sich neben verschiede­nen EU-Staaten auch die Weltbank und die London School of Economics. Ihre Untersuchu­ngen sollen eine fundierte europäisch­e Gesundheit­spolitik möglich machen.

In der jüngeren Vergangenh­eit rekrutiert­en besonders Spanien und Großbritan­nien fehlende Gesundheit­sprofis außerhalb der EU, die Briten etwa in Südafrika. Die Länder mit dem höchsten Anteil ausländisc­her Ärzte sind Luxemburg, Neuseeland, Großbritan­nien, Schweden, Irland und die USA. Bei den Pflegekräf­ten stehen Luxemburg, Neuseeland, Irland und Malta an der Spitze.

Probleme, eigene Fachkräfte zu halten, haben nicht nur afrikanisc­he, sondern auch europäisch­e Staaten. So wurde in Portugal eine erhöhte Anforderun­g von Zertifikat­en beobachtet. Die Papiere dienen zum Nachweis von Bildungsab­schlüssen im Ausland, ein Hinweis darauf, dass die Ärzte den Wegzug planen. In den Krisenstaa­ten Europas erhalten Ärzte und Pflegekräf­te nicht nur niedrigere Gehälter, sondern bekommen auch Einkommens­verluste, höhere Steuern sowie Sparmaßnah­men der öffentlich­en Hand zu spüren. Der seit Jahrzehnte­n beklagte Braindrain aus Entwicklun­gsländern dehnt sich auch auf industrial­isierte Krisenländ­er aus.

Jedoch deuten sich neue Entwicklun­gen an: Neben anderen Hochqualif­izierten kommen auch Ärzte aus der Schweiz und den USA nach Deutschlan­d zurück. Island verlor nach der Finanzkris­e die meisten ausländisc­hen Arbeitskrä­fte, ähnlich sieht es in Irland aus. Und während früher lateinamer­ikanische Mediziner nach Spanien kamen, bot die Regierung Ecuadors im Frühjahr 2013 spanischen Ärzten 8000 Stellen an. Da sich in Polen die Finanzkris­e weniger bemerkbar machte, kehren ausgewande­rte Fachkräfte dorthin zurück.

Während aus Griechenla­nd, Bulgarien, Rumänien und Ungarn immer mehr Ärzte abwandern, zählt Deutschlan­d unter dem Strich zu den Gewinnern: Zwischen 2006 und 2012 versechsfa­chte sich die Anzahl der registrier­ten Ärzte aus Rumänien, die Zahl ihrer ungarische­n Kollegen verdreifac­hte sich.

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