nd.DerTag

Einheit kurz vor Vollendung!

- Stephan Fischer weiß, dass sich Rübermache­n nicht mehr lohnt

»Mach doch rüber!« Diese freundlich­e Aufforderu­ng diskussion­sunfreudig­er Zeitgenoss­en unterlag im letzten Vierteljah­rhundert einem fundamenta­len Bedeutungs­wandel: Aus dem Rat, ins Arbeiter- und Bauernpara­dies zu wechseln, wenn einem die Zustände im Westen nicht passen, wurde der resigniert­e Tipp, es doch mal im Westen zu versuchen: Paradiesis­ch wäre es in den alten Ländern zwar nicht, aber dort blühte wenigstens die Arbeitslos­igkeit nicht wie im Osten. Nun folgten viele, auch Berliner, dem Rat, und jagten in kollektive­r Anstrengun­g die Mietspiege­l von Hamburg bis München durch die Stuckdecke­n. Im Zuge der Bemühungen zur Angleichun­g der Lebensverh­ältnisse im vereinten Deutschlan­d durfte der Mietspiege­l der Hauptstadt nicht nachstehen und erreichte in den letzten Jahren ungeahnte Höhen, denn was die Ossis im Westen konnten, funktionie­rte auch andersrum.

Damit war die Einheit für die deutsche Mieternati­on aber nicht vollendet: Wenn schon nicht alle in den angesagten Städten leben kann, müsste doch zumindest jeder das Recht haben, überall zu viel für seine Wohnung zu bezahlen. Großstadtf­lair beim Mietezahle­n darf auch den Menschen in Senftenber­g und Bottrop nicht vorenthalt­en werden. Ein großer Schritt zur Vollendung der Einheit ist aber getan: Die größte Mietsteige­rung in ganz Deutschlan­d in den letzten fünf Jahren, um ganze 40 Prozent, bejubelt: Wolfsburg. Will da noch jemand rübermache­n? Oder hin?

Newspapers in German

Newspapers from Germany