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Lernen, was Schneewitt­chen hilft

Große Nachfrage nach pädagogisc­hen Theaterpro­jekten, doch es werden immer weniger

- Von Ann-Christin Schneider, Magdeburg dpa/nd

Zwischen Fantasie und Realität: Mit dem Theater können Pädagogen für Jugendlich­e eine Brücke zu brisanten Themen ihres Alltags bauen. Doch es fehlt Unterstütz­ung – ein Bericht aus Sachsen-Anhalt.

Hänsel ist Alkoholike­r, und Schneewitt­chen leidet an Fresssucht: Auf der Suche nach einem glückliche­n Moment begegnet die jugendlich­e Hauptfigur Jojo den Grimmschen Märchenfig­uren in der Erwachsene­nwelt mit all ihren Problemen. Die Schüler der achten Klasse der Sportsekun­darschule »Hans Schellheim­er« können schnell Ursachen dafür nennen, warum es mit den Figurenhea­terhelden der deutschspr­achigen Erstauffüh­rung »Jojo am Rande der Welt« von Stéphane Jaubertie so schlecht läuft: Liebeskumm­er, Angst, zu hoher Druck. Im Stuhlkreis sitzen die 13 Schüler gemeinsam mit der Magdeburge­r Theaterpäd­agogin Sabine Oeft und erzählen über ihre Erfahrunge­n mit Drogen und Süchten.

Für Projekttag­e wie diese sehen sich die Theater viel zu wenig unterstütz­t vom Land – die Nachfrage ist groß, bewältigen müssen sie wenige Theaterpäd­agogen. »Sucht ist kein einfaches Thema für Jugendlich­e in diesem Alter. Oft wollen sie mit Erwachsene­n darüber nicht reden, obwohl das wichtig wäre«, sagt Oeft. »Da ist das Theater ein anderer, spielerisc­her Zugang, damit sie sich öffnen.« Seit vier Jahren arbeitet sie am Puppenthea­ter Magdeburg als Theaterpäd­agogin und setzt sich für kulturelle Bildung bei Kindern und Erwachsene­n ein.

Erfahrunge­n vermitteln, Entscheidu­ngen zeigen und Lösungsweg­e anbieten – das will die Theaterpäd­agogik. Deswegen arbeitet Oeft mit Kindergärt­en, Schulen, aber auch Erwachsene­n zusammen, um eine andere Weise des Lernens zu zeigen. »Aber ich bin auf die Mitarbeit von Freiwillig­en angewiesen, um Organisati­on und Planung aller Anfragen und Angebote terminlich absichern zu können«, sagt Oeft.

Die massiven Kürzungen im Kulturbere­ich hinterlass­en auch bei den Theaterpäd­agogen Spuren. Oeft ist die einzige Theaterpäd­agogin am Puppenthea­ter Magdeburg. Auch am Anhaltisch­en Theater Dessau gibt es nur eine solche Stelle. An den Bühnen in Halle mussten die Stellen für Theaterpäd­agogen von fünf auf drei gekürzt werden. »Mit dem darstellen­den Spiel kann man so viel mit auf den Weg geben. Das geht uns alles verloren, wenn die Theaterpäd­agogik nicht weiter ausgebaut wird«, sagte der Landesgesc­häftsführe­r des Deutschen Bühnenvere­ins, Ulrich Katzer. Auch für den Intendante­n des Puppenthea­ters, Michael Kempchen, ist ein solches Angebot an allen Theatern wichtig. »Immer mehr Kindertage­sstätten, Schulen und Familien fragen nach pädagogisc­hen Projekten.« Kempchen nimmt für sich in Anspruch, für die Theater im Land zu sprechen.

Oeft erzählt offen und ehrlich vor den Schülern der achten Klasse von ihren eigenen Erfahrunge­n – etwa von Rückfällen beim Rauchen. Sie schafft Vertrauen und spricht die Sprache der Jugendlich­en. So öffnen sich auch die 14-jährigen Schüler und erzählen von stundenlan­gem Spielen an Computer oder Spielkonso­le, dem alkoholsüc­htigen Onkel oder dem Kumpel, der zu oft Joints raucht. Deutschleh­rerin Sa- bine Krühne ist überrascht über die Offenheit ihrer Schüler. Schon im vorigen Schuljahr hat sie gemeinsam mit Oeft mit der Planung dieses Projekts begonnen. »Oft heißt es Bildung oder Kultur – und die Leidtragen­den sind die Schüler. Wer geht denn noch ins Theater?« sagt Krühne. Sie habe das Interesse für Theater fördern wollen.

Mit Balanceübu­ngen zeigt Oeft den Jugendlich­en noch, wie wichtig es ist, ausgeglich­en zu sein, um gar nicht erst auf die schiefe Bahn zu geraten. »Es gibt so viele verschiede­ne Methoden, mit denen wir vermitteln können«, sagt sie. »Theaterpäd­agogik kann viel bewirken.« Deshalb sollten eher neue Stellen für Theaterpäd­agogen geschaffen statt dass welche gestrichen werden.

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Foto: dpa/Jens Wolf Engagiert: Die Theaterpäd­agogin Sabine Oeft arbeitet mit Schülern der Sportsekun­darschule.

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