Lernen, was Schneewittchen hilft
Große Nachfrage nach pädagogischen Theaterprojekten, doch es werden immer weniger
Zwischen Fantasie und Realität: Mit dem Theater können Pädagogen für Jugendliche eine Brücke zu brisanten Themen ihres Alltags bauen. Doch es fehlt Unterstützung – ein Bericht aus Sachsen-Anhalt.
Hänsel ist Alkoholiker, und Schneewittchen leidet an Fresssucht: Auf der Suche nach einem glücklichen Moment begegnet die jugendliche Hauptfigur Jojo den Grimmschen Märchenfiguren in der Erwachsenenwelt mit all ihren Problemen. Die Schüler der achten Klasse der Sportsekundarschule »Hans Schellheimer« können schnell Ursachen dafür nennen, warum es mit den Figurenheaterhelden der deutschsprachigen Erstaufführung »Jojo am Rande der Welt« von Stéphane Jaubertie so schlecht läuft: Liebeskummer, Angst, zu hoher Druck. Im Stuhlkreis sitzen die 13 Schüler gemeinsam mit der Magdeburger Theaterpädagogin Sabine Oeft und erzählen über ihre Erfahrungen mit Drogen und Süchten.
Für Projekttage wie diese sehen sich die Theater viel zu wenig unterstützt vom Land – die Nachfrage ist groß, bewältigen müssen sie wenige Theaterpädagogen. »Sucht ist kein einfaches Thema für Jugendliche in diesem Alter. Oft wollen sie mit Erwachsenen darüber nicht reden, obwohl das wichtig wäre«, sagt Oeft. »Da ist das Theater ein anderer, spielerischer Zugang, damit sie sich öffnen.« Seit vier Jahren arbeitet sie am Puppentheater Magdeburg als Theaterpädagogin und setzt sich für kulturelle Bildung bei Kindern und Erwachsenen ein.
Erfahrungen vermitteln, Entscheidungen zeigen und Lösungswege anbieten – das will die Theaterpädagogik. Deswegen arbeitet Oeft mit Kindergärten, Schulen, aber auch Erwachsenen zusammen, um eine andere Weise des Lernens zu zeigen. »Aber ich bin auf die Mitarbeit von Freiwilligen angewiesen, um Organisation und Planung aller Anfragen und Angebote terminlich absichern zu können«, sagt Oeft.
Die massiven Kürzungen im Kulturbereich hinterlassen auch bei den Theaterpädagogen Spuren. Oeft ist die einzige Theaterpädagogin am Puppentheater Magdeburg. Auch am Anhaltischen Theater Dessau gibt es nur eine solche Stelle. An den Bühnen in Halle mussten die Stellen für Theaterpädagogen von fünf auf drei gekürzt werden. »Mit dem darstellenden Spiel kann man so viel mit auf den Weg geben. Das geht uns alles verloren, wenn die Theaterpädagogik nicht weiter ausgebaut wird«, sagte der Landesgeschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins, Ulrich Katzer. Auch für den Intendanten des Puppentheaters, Michael Kempchen, ist ein solches Angebot an allen Theatern wichtig. »Immer mehr Kindertagesstätten, Schulen und Familien fragen nach pädagogischen Projekten.« Kempchen nimmt für sich in Anspruch, für die Theater im Land zu sprechen.
Oeft erzählt offen und ehrlich vor den Schülern der achten Klasse von ihren eigenen Erfahrungen – etwa von Rückfällen beim Rauchen. Sie schafft Vertrauen und spricht die Sprache der Jugendlichen. So öffnen sich auch die 14-jährigen Schüler und erzählen von stundenlangem Spielen an Computer oder Spielkonsole, dem alkoholsüchtigen Onkel oder dem Kumpel, der zu oft Joints raucht. Deutschlehrerin Sa- bine Krühne ist überrascht über die Offenheit ihrer Schüler. Schon im vorigen Schuljahr hat sie gemeinsam mit Oeft mit der Planung dieses Projekts begonnen. »Oft heißt es Bildung oder Kultur – und die Leidtragenden sind die Schüler. Wer geht denn noch ins Theater?« sagt Krühne. Sie habe das Interesse für Theater fördern wollen.
Mit Balanceübungen zeigt Oeft den Jugendlichen noch, wie wichtig es ist, ausgeglichen zu sein, um gar nicht erst auf die schiefe Bahn zu geraten. »Es gibt so viele verschiedene Methoden, mit denen wir vermitteln können«, sagt sie. »Theaterpädagogik kann viel bewirken.« Deshalb sollten eher neue Stellen für Theaterpädagogen geschaffen statt dass welche gestrichen werden.